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Bundeswehr im Weltraum„Wir müssen unsere Satelliten verteidigen“

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Generalmajor Michael Traut, Weltraumkommando BW

Generalmajor Michael Traut

Das Weltraumkommando der Bundeswehr ist in NRW stationiert. Generalmajor Michael Traut erklärt, warum der Schutz unserer Infrastruktur im Weltraum von zentraler Bedeutung ist. 

Herr Generalmajor, als das neue Gebäude des Weltraumkommandos in Uedem am Niederrhein eingeweiht wurde, waren dort auch Darsteller in Star-Wars-Uniform zu sehen. Bildet die Bundeswehr demnächst auch Astronauten aus?

(lacht). Nein. Das waren externe Darsteller, die im Rahmen einer ehrenamtlichen Wohltätigkeitsaktion Spenden gesammelt haben. Unser Auftrag ist es, die Lage im Weltraum aufzuklären und unsere Systeme zu schützen. Dazu braucht es keine bemannten Raumfahrzeuge.

Wozu brauchen wir die Bundeswehr im Weltraum?

Vielen Menschen ist nicht klar, wie viel Weltraumtechnologie eigentlich in unserem täglichen Leben steckt. Weltraum gehört zu unserer kritischen Infrastruktur. Das Navigationssystem im Auto, SMS-Nachrichten, Stromnetze, Banküberweisungen oder Wettervorhersagen funktionieren nur mit Hilfe von Satellitensignalen. Wenn die ausfallen, würde vieles in kurzer Zeit zum Erliegen kommen. Deswegen müssen wir Maßnahmen treffen, um die Systeme, die im Weltraum unter deutscher Flagge unterwegs sind, zu schützen und gegebenenfalls auch zu verteidigen.

Wie angespannt ist die Sicherheitslage im Weltraum?

Die ist äußerst angespannt. Wir haben dort keinen Krieg, aber es herrscht auch kein Frieden. Wir leben in einem Zwischenstadium, in dem die Akteure ihre Figuren schon aufstellen, um auf eine Auseinandersetzung vorbereitet zu sein. Wenn es einen Krieg zwischen Russland und der Nato geben würde, dann fände dieser auch definitiv im Weltraum statt, weil die Akteure von ihren Fähigkeiten im Weltraum abhängig sind. Der Blick in den Weltraum lässt mich oft nicht gut schlafen. Länder wie Russland und China haben mittlerweile erhebliche militärische Fähigkeiten im Weltraum entwickelt.

Was meinen Sie damit?

Da gibt es mehrere Szenarien. Wir erleben zum Beispiel, dass die Satellitenkommunikation regelmäßig gestört wird. Wenn sie versuchen würden, in Ostpolen mit Google Maps Auto zu fahren, wird es zeitweise unmöglich sein. Das GPS-Signal kann nicht empfangen werden, weil die Russen die Verbindung regelmäßig stören. Zu Beginn des Ukraine-Kriegs wurde der Satellitendienst KA-Sat gehackt, der Breitbandkunden in der Ukraine versorgt. Damals blieben deshalb in Europa auch ein paar tausend Windräder stehen. Wir erleben jetzt regelmäßig, dass Spionagesatelliten neben Systemen westlicher Staaten auftauchen, um unsere Kommunikation abzuhören oder gegebenenfalls zu stören.

Wie funktioniert das – kann man Satelliten so zielgenau steuern?

Absolut. Die russischen Spionagesatelliten sind mit einem außerordentlich leistungsfähigen Antrieb ausgestattet, mit dem sie vom Boden aus kommandiert werden können. Die Chinesen können ihre Systeme sogar schon nachbetanken und verfügen über erstaunliche Fähigkeiten. So haben sie uns vor drei Jahren demonstriert, dass sie in der Lage sind, an einen unkooperativen Satelliten anzukoppeln und ihn abzuschleppen. Die Chinesen könnten solche Manöver auch mit unseren Systemen versuchen. Das sollte uns eine Warnung sein.

Wie sieht die Bedrohung durch Russland im All aus?

Wir haben es derzeit mit zwei russischen Aufklärungssatelliten vom Typ Luch-Olymp zu tun. Die beiden beobachten nicht die Erde, sondern andere Satelliten. Die Luch-Olymp bewegen sich an Systeme westlicher Nationen heran, parken quasi daneben ein und hören zum Beispiel die Kommunikation ab. Die Satelliten fliegen dann bei einem Tempo von 12.000 Stundenkilometern nur einige Kilometer entfernt nebeneinander her. Das ist kein Zufall, sondern sorgfältig geplant.

Wie reagiert das Weltraumkommando auf solche Manöver?

Es gibt mehrere Möglichkeiten. Wir können zum Beispiel einfach unsere Kommunikation abstellen und auf andere Systeme umschalten. Oder wir drehen den Spieß um, indem wir den Russen Dinge zeigen, die wir ihnen gerne zeigen möchten, um sie in die Irre zu führen. Zukünftig wollen wir unsere Satelliten auch mit aktiven oder offensiven Schutzmaßnahmen verteidigen.

Was meinen Sie damit?

Die Bundesregierung hat vor wenigen Wochen die Weltraumsicherheitsstrategie vorgestellt. Wir investieren bis 2030 rund 35 Milliarden Euro in neue Systeme. Dabei wird die Fähigkeit zur Verteidigung mit dem Ziel der Abschreckung in den Fokus gerückt.

Weltraumlagezentrale des Weltraumkommandos der Bundeswehr

Deutsche Satelliten sollen künftig also auch angriffsfähig werden?

Deutschland hat endlich die Bedeutung des Weltraums für unsere Sicherheit erkannt. Wir wollen künftig nicht nur passiv schützen, sondern auch aktiv wirken können, wie etwa mit eigenen „Störern“. Die könnten auf sogenannten Wächtersatelliten installiert werden, die unsere großen Systeme begleiten und schützen. Wir sind gerade dabei, Prototypen solcher offensivfähigen Wächtersatelliten für die Bundeswehr anfertigen zu lassen.

Was sollen diese „Bodyguards“ denn können?

Im Weltraum haben viele Systeme die Funktion der optischen Aufklärung. Die Linsen sind so genau, dass sie aus einem niedrigen Orbit die Überschrift auf einer Broschüre lesen könnten. Solche Satelliten kann man vorübergehend blind machen, indem man zum Beispiel die Optik mit einem Laser blendet. Das geht bislang von der Erde aus, aber das kann man natürlich auch mit einem Wächtersatelliten machen. Es kann sein, dass es zu regelrechten „Dogfight-ähnlichen“ Manövern kommen wird, bei denen die Satelliten sich wechselseitig verfolgen.

Der Begriff „Dogfight“ (Hundekampf) stammt aus dem Ersten Weltkrieg und bezeichnet ein Luftduell von Kampfmaschinen in engen Kurven…

Ja, es ist eine Zuspitzung. Man kann das auch weniger martialisch als Proximity-Operations, also Rendezvous-Manöver, bezeichnen.

Die „Wächter“ werden jetzt also für den Zweikampf fit gemacht.

Wenn Sie so wollen, ja. Man könnte zum Beispiel auch die Linse eines Aufklärungssatelliten im Vorbeifliegen mit Aerosolen besprühen. Dann könnte das System für ein paar Wochen keine scharfen Bilder mehr machen. Das sind Beispiele für mildere Mittel, die den Gegner für einen gewissen Zeitraum außer Gefecht setzen, ohne das System final zu zerstören. Eine kinetische Auseinandersetzung wiederum würde fatale Folgen haben und muss unbedingt verhindert werden. Die Nutzung des ganzen Orbits könnte durch die umherfliegenden Trümmerteile stark beeinträchtigt werden.

Welchen praktischen Nutzen haben die Aktivitäten im All für die Bundeswehreinheiten am Boden?

Früher hatten wir viel Zeit und wenig Geld, heute ist es umgekehrt
Generalmajor Michael Traut

Der ist sehr erheblich. Wir sichern zum Beispiel die Kommunikation zu den Einheiten in entlegenen Teilen der Welt. Und wir können unsere Leute vor drohenden Ausspähungen warnen, indem wir sie darüber informieren, wenn sie von russischen oder chinesischen Aufklärungssatelliten überflogen werden. Das ist zum Beispiel für die Marine wichtig. Wir können unseren U-Booten genau die Zeiten nennen, in denen sie besser nicht auftauchen sollten. Oder wir warnen die Kompanien bei der Infanterie, in denen ukrainische Soldaten ausgebildet werden. Zudem ist die Aufklärung durch Satellitenbilder für die Truppe von zentraler strategischer Bedeutung. Denken Sie an die Bilder des russischen Aufmarschs vor dem Ukraine-Krieg. Die haben einen großen Verteidigungsvorteil für die ukrainische Armee ausgemacht.

In der Vergangenheit wurden Bundeswehrsatelliten auch durch Russland ins All geschossen. Was muss sich jetzt ändern?

Mit dem European Launcher Challenge (ELC) haben wir ein Programm der ESA, das Raketenstarts auf europäischem Boden fördert. Das funktioniert bei kleineren Systemen, denn wir müssen heutzutage meist nicht mehr riesige Boliden in den Raum bringen. Bei großen Nutzlasten sind wir aber auf die Ariane (große europäische Trägerrakete, Anm. d. Red.) angewiesen. Da müssen wir dringend zu engeren Startintervallen kommen. Derzeit gibt es nur etwa fünf Starts pro Jahr, nach meiner Auffassung sollten deutlich mehr möglich sein.

Warum kann man große Raketen nicht auf dem europäischen Festland starten?

Für große Raketenstarts brauchen sie 300 Kilometer leeren Raum vor sich in die Richtung, in die sie fliegen wollen. Man muss ja immer damit rechnen, dass etwas schiefgeht. Deshalb geht das nur von Startpunkten an der Küste oder in der Wüste. Die erste Startstufe kommt schnell wieder herunter. Die sollte besser niemandem aufs Haus krachen.

Die Bundeswehr muss wegen der Zeitenwende große Kraftanstrengungen unternehmen, um die Versäumnisse der vergangenen Jahre aufzuholen. Geht die Aufholjagd im Weltraum schneller als bei der Truppe?

Ja. Wir haben ein enormes kreatives Potenzial hier in Deutschland und verfügen über eine breite technologische Basis. Deswegen sind wir gut aufgestellt. Viele Firmen, die früher mit Luft- und Raumfahrt nichts zu tun hatten, bringen sich heute mit ihren Ideen ein. Davon können wir stark profitieren. Früher hatten wir viel Zeit und wenig Geld, heute ist es umgekehrt.