Die Bundeswehr ist laut dem Militärnachrichtendienst MAD so bedroht wie nie. Gleichzeitig wächst die Sorge vor Extremismus innerhalb der Truppe.
Jahresbericht des MADBedrohung durch Spionage und Sabotage „so präsent wie nie“

Soldaten des Panzergrenadierbataillons 122 auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr.
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Der Jahresbericht des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) liest sich wie eine 72 Seiten starke Mahnung. Die Bedrohung durch Spionage und Sabotage sei „so präsent wie nie“, warnt der Nachrichtendienst der Bundeswehr mit Sitz in Köln. In der Spionageabwehr bilanziert die Behörde für 2024 einen Höchststand an verdächtigen Vorfällen. Dazu verzeichnet sie mehr Extremismus-Verdachtsfälle innerhalb der Truppe.
Als „logistische Drehscheibe“ der Nato sei die Bundeswehr ein „bedeutendes Ziel nachrichtendienstlicher Angriffe“, schreibt der MAD. Er unterteilt die Arbeit ausländischer Nachrichtendienste in drei Säulen: Informationsgewinnung, Beeinflussung und Vorbereitung sowie Durchführung von Sabotage. „Auch vor Tötungsmaßnahmen oder Entführungen scheuen einige ausländische Nachrichtendienste nicht zurück“, so die Behörde. „Hauptakteure der gegen die Bundeswehr gerichteten nachrichtendienstlichen Angriffe sind Russland und China.“
Russische Nachrichtendienste unter Erfolgsdruck
Als Beispiel für Desinformation nennt der MAD die abgehörten „Taurus“-Gespräche von Luftwaffen-Offizieren im März 2024. Inhalte des Gesprächs hatte der staatlich kontrollierte russische Fernsehsender „RT“ veröffentlicht. Die Offiziere hatten über die Diskussion gesprochen, ob der Marschflugkörper „Taurus“ an die Ukraine geliefert werden könnte.
Insbesondere die russischen Nachrichtendienste stünden seit dem Überfall auf die Ukraine unter Erfolgsdruck. Der MAD beschreibt ein „erhebliches Interesse an Informationen, die einen taktischen Vorteil auf dem Gefechtsfeld bedeuten“. Darunter: Daten über die Reichweite und Wirkung von Waffensystemen sowie Informationen, die eine Ortung dieser Waffensysteme im Verteidigungsfall ermöglichen.
Besonders gefährdet seien Bundeswehrangehörige, die Familie in Russland und Belarus haben. Das habe sich im Fall eines deutschen Soldaten gezeigt, der bei der Einreise nach Russland von seiner Familie getrennt wurde. Über mehrere Stunden sei er befragt worden, teils von mutmaßlichen Mitgliedern des russischen Geheimdienstes. Die Mitarbeiter erfassten seine Fingerabdrücke und werteten sein Handy aus. „Der Soldat wurde zu Kooperation aufgefordert und befand sich - nachvollziehbar! - auch im Hinblick auf die Rückkehr zu seiner Familie in einer großen Drucksituation“, schreibt der MAD. Später wandte er sich an den MAD.

Konrad-Adenauer-Kaserne, Köln: Hier sitzt das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (MAD).
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Eine der größten Bedrohungen für die Streitkräfte sieht der MAD in der Sabotage. „Ein Informant oder Saboteur an der richtigen Stelle kann größeren Schaden anrichten als ein Artilleriegeschütz“, schreibt die Behörde. Als Beispiel für Verunsicherung durch Sabotage nennt sie einen Vorfall in Köln-Wahn im August 2024. Damals wurde ein Eindringling bei einem Wasserwerk der Luftwaffenkaserne gesichtet. Die Bundeswehr riegelte die gesamte Kaserne ab, sie befürchtete eine Kontamination des Trinkwassers. Soldaten sollen Krankheitssymptome geschildert haben, später stellte sich heraus: Sie standen in keinem Zusammenhang mit dem Vorfall. Das Trinkwasser war sauber. Trotzdem habe der Fall „erhebliche Unruhe verbreitet“ und Ermittler beschäftigt, schreibt der MAD. Ein anderer Fall betraf die Marine: Als ein Boot in einer Werft lag, seien Schäden „an systemrelevanten Komponenten“ festgestellt worden. Der MAD geht von Sabotage aus, das Marineboot musste länger als geplant in der Werft bleiben.

Von links nach rechts: Martin Jäger, Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Martina Rosenberg, Präsidentin des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst, und Sinan Selen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz
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Deutschland sei fest im Blickfeld ausländischer Geheimdienste, schreibt MAD-Chefin Martina Rosenberg. Sie verweist auf ein Zitat, das Napoleon zugeschrieben wird: Ein Spion ersetze 20.000 Mann an der Front. „Wenn man den Schaden sieht, den bereits eine einzelne Person anrichten kann, ist dies mehr als zutreffend“, so Rosenberg. „Spionage muss auch heute wieder als Vorbereitungshandlung auf mögliche militärische Auseinandersetzungen gesehen werden.“
Mehr rechtsextreme Verdachtsfälle
Eine weitere „zentrale Aufgabe“ des MAD bleibe die Extremismus-Abwehr, so Rosenberg. Der MAD gilt als „Verfassungsschutz“ der Truppe. Als solcher schien er 2024 besonders ausgelastet: Die Behörde bearbeitete 524 Verdachtsfälle – 41 mehr als im Vorjahr. Ein Großteil fällt in den Bereich Rechtsextremismus, wo auch der Anstieg am deutlichsten ist: Von 308 auf 413 – ein Plus um ein Drittel. Ein Soldat warb beispielsweise in den sozialen Medien für eine Veranstaltung mit dem Schwerpunkt „Remigration“, durchgeführt von einer rechtsextremen Gruppe. Ein weiterer nahm an einer Demonstration einer neonazistischen Jugendgruppe teil. Insgesamt stufte der MAD elf Soldaten als Rechtsextremisten ein, bei weiteren 26 stellte er eine fehlende Verfassungstreue fest.
Dagegen verzeichnet der MAD einen deutlichen Rückgang bei Reichsbürgern und Selbstverwaltern: Ihre Zahl ging auf fünf zurück (2023: 35 Fälle). Mit 35 Verdachtsfällen blieb die Zahl im Bereich Islamismus unverändert, Bundeswehrangehörige mit Bezügen zum Linksextremismus entdeckte man selten. Beim auslandsbezogenen Extremismus verzeichnet der MAD leichte Rückgänge.

