NabuSorge um Schmetterlinge nach Zählaktion in NRW

Lesezeit 4 Minuten
Ein Schachbrettfalter und eine Hummel sitzen auf einer Flockenblume auf der Schwäbischen Alb.

Ein Schachbrettfalter und eine Hummel sitzen auf einer Flockenblume

Zahlreiche Menschen in NRW haben für eine Aktion des Naturschutzbundes Schmetterlinge gezählt. Das Problem: Es gab nicht viel zu zählen. 

Das Positive vorweg: Viele Menschen in NRW haben ein Herz für Falter. Das hat die Schmetterlings-Zählaktion des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) vom 15. Juni bis 15. Juli gezeigt. „Es haben sich zahlreiche Menschen beteiligt und informiert. Sowohl zur Situation der Schmetterlinge als auch zu Maßnahmen, die man im eigenen Garten umsetzen kann, um den Faltern zu helfen“, sagte Alina Pickart, die naturschutzfachliche Leiterin des Projektes. Allerdings, und das ist die weniger gute Nachricht: „Es gab nicht viel zu beobachten.“ Den Faltern in NRW geht es, wie den Insekten insgesamt, nicht gut.

Zum achten Mal in Folge hatte der Nabu NRW über das vom Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr NRW geförderte Projekte „Mehr Platz für Falter – Jetzt wird´s bunt!“ zum Zählen aufgerufen. Die Ergebnisse wurden in dieser Woche mit dem Hinweis veröffentlicht, dass „Anlass zur Sorge“ bestehe. Es wurden rund 17.000 Beobachtungen gemeldet, nur wenig mehr als die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr (29.000). Am häufigsten wurden die Weißlinge gesichtet (rund 3.200 Meldungen). Mit einigem Abstand folgen auf Platz zwei und drei Admiral und Zitronenfalter mit knapp über und knapp unter 900 Beobachtungen. Auf Platz vier landete das Große Ochsenauge (850), auf Platz 5 der kleine Fuchs, dicht gefolgt vom Tagpfauenauge (jeweils rund 780 Meldungen).

Nabu fordert mehr Schutz für Insekten

„2023 ist ein außerordentlich schlechtes Schmetterlingsjahr“, sagte Karl-Heinz Jelinek. Das hatte der Experte zur Halbzeit der Zählaktion im „Kölner Stadt-Anzeiger“ bereits vermutet – nach Auswertung der gesamten Zählung hat sich das nun bestätigt. „Der sowieso schon lange zu beobachtende Artenschwund wie auch der Rückgang der Individuenzahlen innerhalb einer Art aufgrund von Nutzungsintensivierung, Strukturverlust und Pestizideinsatz wird nun noch durch die Auswirkungen des Klimawandels verstärkt“, erklärte Jelinek. Für ihn und seine Kolleginnen und Kollegen beim Nabu sind die Schmetterlinge dabei ein bunter, gut sichtbarer – aber doch kleiner Teil eines sehr viel größeren Problems.

„Der dramatische Schwund der Insekten, Pflanzen und der Biodiversität insgesamt darf so nicht weitergehen“, fordert Heide Naderer, die Vorsitzende des Nabu NRW, angesichts der beunruhigenden Zählergebnisse: „Schutzgebiete und sensible Bereiche in NRW müssen endlich konsequent von der Pestizidnutzung ausgeschlossen werden, und auch in der Agrarlandschaft muss der Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden reduziert werden.“

Neu sind diese Forderungen nicht. Das Problem ist erkannt und wissenschaftlich belegt. Nach dem Willen der EU soll auch etwas passieren. Aber es geht schleppend voran. Gerade wurde zwar als Teil des Green Deal der EU-Kommission das „Gesetz zur Wiederherstellung der Natur“ (Nature Restoration Law) auf den Weg gebracht. Aber in abgeschwächter Form und nur mit einer sehr knappen Mehrheit. Bis konkrete Handlungsanweisungen für die einzelnen Staaten auf dem Tisch liegen, kann es noch dauern. Bis diese umgesetzt werden, flattern möglicherweise noch weniger Schmetterlinge durch unsere Gärten.

„Unsere gesamte Lebensgrundlage ist bedroht“

Eva Lisges ist Referentin für Landwirtschaft und Naturschutz beim Nabu NRW. Die Ergebnisse der Schmetterlingszählung hätten ihr „einen Schreck“ versetzt, sagt sie. „Aber das kann zum Teil auch eine natürliche Schwankung sein, ein Wetterphänomen.“ Was ihr jedoch „wirklich Angst“ mache, sei der langfristige Trend: „Es geht nicht nur die Zahl der Arten zurück, sondern auch die Zahl der Individuen, die Biomasse in unserem Ökosystem wird weniger.“ Und anders als die Klimakrise sei die Biodiversitätskrise noch nicht wirklich präsent bei den Menschen, sagt Lisges: „Unsere gesamte Lebensgrundlage ist bedroht, aber die Dringlichkeit wird noch nicht genügend wahrgenommen.“

Nach Angaben des Europäischen Rates befinden sich 80 Prozent der europäischen Lebensräume in einem schlechten Zustand. Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung der Natur“ soll eine Renaturierung von Feuchtgebieten, Flüssen, Wäldern, Ökosystemen in Meeren, aber auch von Natur im städtischen Raum vorangetrieben werden. Teil des Green Deal ist auch die „Verordnung zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln“ (Sustainable Use Regulation), wonach der Einsatz von Pestiziden halbiert werden soll. Wie die Maßnahmen genau aussehen, wird jetzt auf EU-Ebene festgelegt. Treten die Verordnungen in Kraft, bekommen die Mitgliedstaaten nochmal Zeit, um die Maßnahmen zu planen und umzusetzen. Lisges kritisiert: „Aber wir müssten hier in NRW nicht warten, bis die EU fertig ist, wir könnten auch einfach mal voran gehen.“

Vor allem von den großen Bauernverbänden kommt Widerstand. Sie sehen nicht nur ihre Erträge gefährdet, sondern auch die Ernährungssicherheit im Land. Dagegen argumentiert Nabu-Expertin Lisges: „Würden wir unseren Fleischkonsum auf die Hälfte reduzieren, hätten wir genug Fläche in Deutschland, um naturschutzgerecht wirtschaften zu können.“ 800 Gramm Fleisch isst aktuell im Durchschnitt jeder Deutsche pro Woche. 400 Gramm wären nach Angaben der Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) völlig ausreichend. Und deutlich gesünder. Für uns. Für die Schmetterlinge. Für unser gesamtes Ökosystem.

KStA abonnieren