Experte erklärt PhänomenWarum es jetzt viel weniger Schmetterlinge in NRW gibt

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Der Tagpfauenauge war 2022 einer der meistgezählten Schmetterlinge in NRW.

Naturschützer haben dazu aufgerufen, Schmetterlinge zu zählen. Erste Ergebnisse bereiten den Experten Sorgen.

Karl-Heinz Jelinek sitzt in der Bahn, er ist auf dem Weg nach Frechen zur Quarzgrube, Falter beobachten. Aber für ein Telefonat zu seinem Fachgebiet hat der Schmetterlingsexperte des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) immer Zeit. Ob die Quarzgrube ein Geheimtipp sei für spannende Beobachtungen? „Nein“, sagt Jelinek. Darum gehe es ihm nicht. „Ich freue mich, wenn ich Falter sehe, aber wenn nichts da ist, wird auch das dokumentiert.“ Jelineks Interesse gilt dem Zustand der Normallandschaft. Denn der ist bedenklich. Zwei Drittel der 2500 in NRW vorkommenden Falter-Arten gelten als gefährdet.

Schmetterlinge in NRW: 2022 wurden 29.000 Falter gezählt

Sie fallen ins Auge, wenn sie so hübsch bunt durch unsere Gärten flattern. Aber wir merken kaum, dass wir ihnen genauso wie anderen Insekten das Leben schwer machen. Der Nabu NRW versucht deshalb seit 2016, mit einer landesweiten Schmetterlings-Zählaktion auf das Problem aufmerksam zu machen. Bei dem vom Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz NRW geförderten Projekt „Mehr Platz für Falter – Jetzt wird’s bunt!“ ist die Bevölkerung noch bis zum 15. Juli aufgerufen, im Garten, am Straßenrand oder in öffentlichen Grünanlagen Falter zu zählen und die Beobachtungsdaten zu melden. Aktuell läuft die Aktion zum achten Mal.

Große Kohlweißling Pieris brassicae, ein Tag alt, kurz vor dem ersten Flug, sitzt auf Finger

Großer Kohlweißling

Im vergangenen Jahr waren 29.000 Falter gezählt worden. Die Kohlweißlinge lagen mit 6300 Sichtungen vor dem Tagpfauenauge (5000) und dem Kleinen Fuchs (3100). Danach kamen Großes Ochsenauge (1900) sowie Admiral und Zitronenfalter (je 1100). Weil sie auffälliger und besser zu beobachten sind, stehen die Tagfalter im Vordergrund – tatsächlich gehören aber 95 Prozent der 2500 Falterarten in NRW zu den etwas unscheinbaren, nach Ansicht der Experten aber ebenso faszinierenden Nachtfaltern.

Experte rechnet mit schlechtem Schmetterlingjahr

Noch wird kräftig gezählt im Land. Aber Jelinek prophezeit nach ersten Ergebnissen und aufgrund eigener Beobachtung bereits: „Diesmal haben wir wahrscheinlich ein schlechtes Schmetterlingsjahr.“ Warum? „Wegen des Dürresommers im vergangenen Jahr“, erklärt der Experte: „Da sind reihenweise Raupen verhungert.“ Zumindest jene der Arten, die sich zwischen Juli und September entwickeln. Ob sie eine Generation pro Jahr hervorbringt oder bis zu vier, ist von Schmetterlingsart zu Schmetterlingsart verschieden. Wichtig ist immer, dass die Raupen genügend Futterpflanzen finden und die fertigen Schmetterlinge genügend Blüten mit Nektar.

Brombeer-Perlmuttfalter, Brombeerperlmuttfalter Brenthis daphne, Raupe auf einem Blatt, Oesterreich marbled fritillary Brenthis daphne, caterpillar on a leaf, Austria BLWS643579 *** Blackberry fritillary Brenthis daphne , caterpillar on a leaf, Austria marbled fritillary Brenthis daphne , caterpillar on a leaf, Austria BLWS643579 Copyright: xblickwinkel/McPHOTO/A.xSchauhuberx

Im Dürresommer 2022 sind viele Rauben verhungert. Diese ist ein Brombeer-Perlmuttfalter

Beides wird jedoch zunehmend knapp in unserer Welt. Nicht nur für Schmetterlinge, sondern auch für andere Insekten. Die Falter leisten keinen so immensen Bestäubungs-Beitrag wie etwa die Bienen, verzichtbar seien sie deshalb aber keineswegs, betont Jelinek. „Dieses Nützlichkeitsdenken ist problematisch“, sagt er: „Unsere Natur ist ein riesiges System, das zusammenspielt. Wenn man da immer mehr Steinchen rausnimmt, geht das eine Zeitlang gut. Wie bei einem Stapel Dosen, aus dem hier und da eine herausgenommen wird. Aber irgendwann bricht alles zusammen. Genau das passiert wahrscheinlich in den nächsten Jahrzehnten mit unserer Umwelt.“

Uns steht der Dreck irgendwann bis zum Hals“
Karl-Heinz Jelinek, Nabu

Schmetterlinge sind die Mannequins unter den Insekten. So schön bunt flattern sie elegant durch die Lüfte, jeder sieht sie gern an. Sie stechen nicht wie Mücken oder Wespen und sie nerven nicht wie Fliegen. Jelinek bezeichnet sie als „die Spitze des Eisbergs“, das, was wir gut erkennen können von der Insektenwelt. Fliegen zum Beispiel wollen wir am liebsten gar nicht sehen. Sollten wir aber. Denn gäbe es sie nicht, bliebe all der Kot in Wald und Wiesen liegen. Die Fliegen werden allerdings auch weniger. So sterben ihre Larven etwa am Gift im Kot unserer Haushunde, das sich dort durch die gängigen Entwurmungskuren befindet. „Uns steht der Dreck irgendwann bis zum Hals“, glaubt Jelinek.

Der Schornsteinfeger droht auszusterben

Den Schmetterlingen und mit ihnen den Insekten insgesamt geht immer mehr Lebensraum verloren. Auf den „dramatischen Artenschwund unserer heimischen Insektenfauna“ will der Nabu NRW mit seiner Zähl-Aktion aufmerksam machen. Es fehlt an den nötigen Futterpflanzen. Pestizide oder andere Gifte setzen den Tieren zu. Und auch der Klimawandel hat Einfluss auf den Schmetterlingsbestand. So sei der Schornsteinfeger hierzulande dabei, auszusterben, sagt Jelinek. „Vor 25 Jahren war er bei uns noch der häufigste Tagfalter, aber er verträgt diese Sommer vom mediterranen Typ nicht.“ Andere Arten dagegen profitierten von der Erwärmung. Den Brombeer-Perlmuttfalter etwa gab es bis vor einigen Jahren in NRW nicht. Inzwischen komme er jedoch vor, erklärt der Schmetterlingsexperte: „Noch sieht man ihn selten, aber er ist dabei, sich zu etablieren.“

Nahaufnahme eines Admiral-Schmetterlings.

Nahaufnahme eines Admiral-Schmetterlings.

Wer den Schmetterlingen insgesamt helfen will, sollte in seinem Garten darauf achten, möglichst viele Futterpflanzen stehen zu lassen. „Wilde Ecken“ seien wichtig, erklärt Alina Pickart, die beim Nabu NRW das Projekt „Mehr Platz für Falter“ leitet. Disteln mögen Schmetterlinge oder Brennnesseln, also nicht unbedingt die Lieblingspflanzen von Menschen mit schicken, akkurat zurechtgestutzten Gärten. Die Brennnessel mag nicht so schön anzusehen sein, aber sie ist Futterpflanze für die Raupen von mehr als 20 Falter-Arten. Zudem sollte man auf Pestizide verzichten, betont Pickart, „denn die töten nicht nur unerwünschte Insekten, sondern eben gleich alle“. Wichtig sei auch, über den Winter nicht alle verblühten Stängel und Pflanzenreste wegzuschneiden, da die Raupen verschiedener Falter-Arten darin gern überwintern. Kurzum: Etwas mehr Natur täte den Insekten gut. Eigentlich widerspricht das auch nicht den Bedürfnissen des Menschen, der im Grünen am besten entspannen kann.


Schmetterlinge zählen

Noch bis zum 15. Juli sammelt der Nabu NRW Daten zu Schmetterlingsbeobachtungen. Mitmachen kann jeder. Eine Stunde im Garten sitzen und zählen ist genauso möglich wie die Meldung einzelner Sichtungen bei einem Spaziergang. Es gibt Zählbögen, auf denen analog Zahlen eingetragen werden können. Aber es ist auch möglich, die Sichtungen online zu melden. Kleine Bilder der hierzulande gängigsten Falterarten helfen auch dem Laien, richtig zu zählen. Alle Infos gibt es unter: www.platzfuerfalter.de

Auszeichnung für Schmetterlings-Gärten

Der Kölner Westfriedhof hat vorgemacht, was möglich ist, und bereits eine Plakette des Nabu NRW für seine Bemühungen erhalten, wieder mehr Insekten einen Lebensraum zu bieten. Es gibt Schmetterlingsbeete, Teiche, Streuobstwiesen, die Wiesen werden weniger extensiv gemäht, auf Pestizide wird verzichtet und die nächtliche Beleuchtung wurde angepasst. Auch in Privatgärten oder rund um Kindergärten und Schulen können attraktive Bereiche für Tag- und Nachtfalter geschaffen werden. Deshalb ruft der Nabu NRW dazu auf, eine schmetterlingsfreundliche Umgestaltung zu dokumentieren und sich um eine Auszeichnung zu bewerben. Ein kostenloses Informationspaket kann hier angefordert werden: Falter@NABU-NRW.de

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