Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch„Ich habe mir niemals vorstellen können, dass so etwas Bestialisches passiert“

Lesezeit 4 Minuten
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Antisemitismusbeauftragte von Nordrhein-Westfalen, informiert sich nach dem Anschlag auf das ehemalige Rabbinerhaus an der Alten Synagoge vor Ort über die Lage und spricht mit Vertretern der Jüdischen Kultusgemeinde Essen, der Stadt, der Alten Synagoge und der Meldestelle Rias. +++ dpa-Bildfunk +++

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Antisemitismusbeauftragte von Nordrhein-Westfalen, in einer Essener Synagoge. (Archivbild)

Die Antisemitismusbeauftragte in NRW spricht über den 7. Oktober, arabischen und deutschen Antisemitismus und darüber, was ihr jetzt Hoffnung macht.

Frau Leutheusser-Schnarrenberger, der 7. Oktober 2023 war mit dem Beginn der Terror-Attacke der Hamas auf israelische Bürgerinnen und Bürger ein schrecklicher Tag, an den man sich immer erinnern wird. Was haben Sie an diesem Tag getan, was empfunden?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ich war zunächst zu Hause, als mich die Nachrichten erreichten. Ich habe versucht, mich über mein Büro in Düsseldorf und alle Kanäle zu informieren. Meine Gefühlslage ist am besten mit Erschütterung zu beschreiben. Ich habe mir niemals vorstellen können, dass so etwas Bestialisches passiert.

Nach diesem Terror gegen israelische Zivilisten dauerte es nicht lange, bis in Deutschland und auch in NRW israelische Flaggen brannten. Wie erklären Sie sich diesen Hass gegen die Opfer?

Leider hatten wir mit derlei Bildern schon häufiger zu tun. 2021 beispielsweise, als die Hamas Israel mit Raketen beschoss, gab es auch in NRW innerhalb kürzester Zeit sehr starke Solidarität mit den Palästinensern. Mehrere Hundert, manchmal Tausend Menschen haben damals hier demonstriert, nicht immer gewaltfrei. Seither ist beispielsweise das Verbrennen der israelischen Fahne ein eigener Straftatbestand. Es handelt sich dabei auch nicht um Demonstrationen gegen israelische Politik vor der israelischen Botschaft. Feinde Israels aus verschiedenen Milieus gehen also nicht den Staat Israel an, sondern die Jüdinnen und Juden, die hier leben.

„Eine einseitige Fokussierung auf alle Migranten ist deshalb ganz klar Populismus“

Mit einer verfehlten Migrationspolitik, so argumentieren rechte Kreise, hätten wir uns die arabischen Feinde Israels in den vergangenen Jahren ins Land geholt. Was sagen Sie dazu?

Es ist nichts als scheinheilig, wenn beispielsweise die AfD jetzt sagt: Wir sind islamophob und deshalb jetzt die besten Freunde der Juden. Zudem ist die Argumentation natürlich viel zu pauschal. Natürlich gibt es den arabischen Antisemitismus. In vielen Ländern, aus denen die Menschen geflohen sind, haben die Leute israelfeindliche Indoktrination erlebt. Aber es gibt auch den sekundären Antisemitismus der Deutschen, die sagen: Jetzt muss doch mal Schluss sein mit dem Schuldkult. Oder den Antisemitismus der Querdenker, die hier mit dem Ungeimpft-Davidstern rumlaufen und dadurch den Holocaust relativieren. Eine einseitige Fokussierung auf alle Migranten ist deshalb ganz klar Populismus.

Wie sieht es in den Schulen in NRW aus? Hat sich das Problem Antisemitismus dort noch verschärft?

Ich stehe mit Ministerin Feller in intensivem Kontakt, sie hat meiner Meinung nach alles getan, um die Lehrerinnen und Lehrer zum Schulbeginn mit Material auszustatten. Diese sind in besonderer Art gefordert, gerade die besondere Verantwortung der Deutschen im Unterricht klar zu machen. Mein Kenntnisstand ist, dass es nach dem Ende der Herbstferien zwar weiter zu antisemitischen Äußerungen an Schulen kam, wir aber keine massive Zunahme verzeichnen müssen.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, sitzt auf der Besuchertribüne nach einer Schweigeminute für Israel im Plenum des Landtags.

Leutheusser-Schnarrenberger nach einer Schweigeminute für Israel im Plenum des Landtags.

In Bergisch Gladbach diskutiert ein Verein gerade darüber, ob er im Rahmen eines Schweigemarsches zum schrecklichen Hamas-Terror auch den zivilen Opfern auf palästinensischer Seite gedenken darf. Wie sehen Sie das?

Wichtig ist für mich, dass Ursache und Folge nicht verwischt werden. Die Hamas hat unschuldige Israelis abgeschlachtet und mehr als 200 als Geiseln genommen. Das darf nicht relativiert werden, indem man sagt: Naja, aber die Palästinenser haben auch Rechte und Israel hat auch Fehler gemacht. Wenn man das klar trennt, dann kann man an die zivilen Opfer auf Seiten der Palästinenser im Rahmen eines Schweigemarsches meiner Meinung nach erinnern. Man muss sich klar abgrenzen von denen, die hier mit Plakaten „From the River to the Sea“ demonstrieren und Israel damit sein Existenzrecht absprechen.

Greta Thunberg, Ikone der Fridays-for-Future-Bewegung, hat sich klar auf palästinensische Seite gestellt und antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet. Was sagen Sie dazu?

Das ist erschreckend. Thunberg ist kein kleines Mädchen mehr. Sie agiert sehr politisch. Ich weiß nicht, ob das nur Naivität ist, dieser Gedanke, sie stünde auf der richtigen Seite, wenn sie Menschenrechtsverletzungen anprangert. In diesem Fall wäre sie gut beraten, sich besser zu informieren. Andere junge Menschen kann ich nur warnen, ihren Erklärungsmustern zu folgen.

Was macht Ihnen Hoffnung?

Ich besuche viele jüdische Gemeinden derzeit. Und dabei sehe ich doch auch viel Solidarität in weiten Teilen der Gesellschaft und wie gut diese von den Jüdinnen und Juden aufgenommen wird. Übrigens hatte ich unlängst auch ein Treffen mit jüdischen und muslimischen Schülerinnen und Schülern. Auch hier wird klar: Den Moslems pauschal Antisemitismus zu unterstellen ist eine Pauschalbeurteilung, die nicht zutrifft.

KStA abonnieren