Etliche Spuren führen nach DeutschlandTerrorist von Wien mit Verbindung nach NRW

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Ein bewaffneter Beamter der österreichischen Militärpolizei bewacht den Tatort nach dem Terroranschlag am 2. Novemeber nahe der Synagoge im Wiener Stadtzentrum.

Anzor W., 22, erhielt am Freitagmorgen an seinem Wohnort in Pinneberg (Schleswig-Holstein) Besuch vom Bundeskriminalamt (BKA). Die Beamten interessierten sich für seine Kontakte via Telegram-Messenger zu dem islamistischen Attentäter von Wien, der vor gut einer Woche vier Menschen in der Innenstadt erschoss, darunter eine 24-jährige deutsche Studentin. Die Bundesanwaltschaft hat Ermittlungen übernommen und erwirkte die Durchsuchungsbeschlüsse.

Neben dem deutschen Gefährder mit tschetschenischen Wurzeln stellten die Ermittler auch bei drei weiteren Islamisten Datenträger sicher. Zwei von ihnen hatten sich erst im Juli für einige Tage bei Kujtim Fejzulai, dem Wiener Todesschützen, aufgehalten. Eine BKA-Sprecherin betonte, dass die vier Männer nur als Zeugen geführt würden.

Etliche Spuren führen nach Deutschland

Derzeit versuchen die Staatsschützer jenes extremistische Netzwerk aufzudecken, das hinter dem Anschlag in Wien steckt. Dabei stießen die Sicherheitsbehörden auf etliche Spuren, die nach Deutschland führen.

Anzor W., alias Mohammed fiel den Sicherheitsbehörden bereits Ende März 2016 auf. Als die Staatsschützer einen islamistischen Gefährder aus Münster bei einer Straßenkontrolle wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verhafteten, saß der damals 18-jährige gebürtige Hamburger Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zufolge neben dem Wagenlenker. Die beiden befanden sich gerade auf dem Rückweg von einem Osterseminar in der Hildesheimer Moschee des irakischen Hasspredigers Sheikh Abu Walaa.

Strafverfolger entdeckten ein Notizbuch mit Aufzeichnungen aus dem Osterseminar von Abu Walaa

Seinerzeit ermittelte das Landeskriminalamt (LKA) NRW gegen den mutmaßlichen Statthalter der Terrormiliz Islamischer Staat in Deutschland. Er soll ein weitreichendes radikal-islamisches Salafisten-Netzwerk in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen gelenkt haben. Die Abu-Walaa-Clique soll junge Muslime radikalisiert und für den IS rekrutiert haben. Seit drei Jahren steht die Riege wegen diverser Terrorvorwürfe in Celle vor Gericht.

Bei Anzor W. fand sich in einem Taschen-Koran ein handschriftliches To-do-Memo. Offenbar ging es darum, die Ausreise in die syrische Kriegsregion vorzubereiten. Da war von Sport treiben die Rede, den letzten Monat wollte der junge Eiferer vor allem mit seiner Familie verbringen. Als die Ermittler sich nach dem Sinn der Notizen erkundigten, beteuerte W., dass er eine Reise nach Saudi-Arabien plane, um Arabisch zu lernen.

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In seinem Rucksack entdeckten die Strafverfolger ferner ein Notizbuch mit Aufzeichnungen aus dem Osterseminar des Sheikh Abu Walaa. In der Kladde heißt es: „Besser, wenn sich Städte und Dörfer zerstören, als dass ein Gesetz regiere, das nicht von Allah sei.“ Von Krieg und Kampf ist die Rede und dem Wunsch, lieber getötet zu werden, als von Menschen gemachte Gesetze zu achten. Ein Islamwissenschaftler kam zum Schluss, dass der Sheikh jungen Seminaristen wie Anzor W. einimpfte, die hiesige demokratische Grundordnung abzulehnen. Die Zeilen deuteten auf eine salafistische Gehirnwäsche hin. Die aufgefundene Checkliste am Ende der Aufzeichnungen, so das Fazit, werde häufig „auch für Selbstmordattentäter (Märtyrer) erstellt“. Nach kurzer Vernehmung kam Anzor W. wieder frei.

Im Jahr darauf versuchte sich der Deutsch-Tschetschene nach Syrien abzusetzen, wurde aber durch bulgarische Grenzposten gestoppt und zurückgeschickt. Das Landgericht Hamburg verurteilte ihn zu einer Bewährungsstrafe.

Kontaktlinien zwischen deutschen und österreichischen Islamisten spielen eine vielschichtige Rolle

2019 siedelte der inzwischen als islamistischer Gefährder eingestufte Extremist nach Wien über; im Oktober 2020 wurde er jedoch nach Deutschland ausgewiesen. Die Hintergründe sind noch unklar. Fakt ist, dass sich Anzor W. über Messengerdienste mit dem späteren Wiener Attentäter austauschte.

Laut Vermerken der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf befiehlt die IS-Kommandoebene „Schläferzellen (...) für die erlittenen Gebietsverluste in Syrien und im Irak (...) Anschläge in Westeuropa“ durchzuführen. Dresden, Nizza, Paris, Wien: Die Anschläge durch radikale Muslime häufen sich erneut. Dabei spielen die Kontaktlinien zwischen deutschen und österreichischen Islamisten eine vielschichtige Rolle. Es geht um die Beschaffung falscher Pässe, Waffenhandel, das Sammeln von Spendengeldern für inhaftierte Brüder und gegenseitige logistische Hilfe. So enttarnten die Strafverfolger in Düsseldorf und Mönchengladbach eine tadschikische Gruppe namens Takim, die über NRW hinaus enge Verbindungen zu kaukasischen Dschihadisten in Österreich und Frankreich pflegte.

Die siebenköpfige Gruppe soll unter anderem Attentate mit ferngelenkten Drohnenbomben geplant haben. Der mutmaßliche Anführer Ravsan B. aus Wuppertal muss sich derzeit vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf verantworten. 

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