Politikerin Amtsberg im Interview„Es ist absolut zynisch, dass ausgerechnet Iran uns für zu wenig Schutz von Frauen kritisiert“

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Luise Amtsberg, (Bündnis90/Die Grünen) ist Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt.

Luise Amtsberg, (Bündnis90/Die Grünen) ist Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt.

Was macht eine Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung? Luise Amtsberg im Interview über Gaza, Abschiebestopp und die Ruanda-Lösung.

Ist Deutschland mit einem moralischen Zeigefinger in der Welt unterwegs? Mit dem Vorwurf versuchten die Kritiker von ihren eigenen Defiziten abzulenken, sagt die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg. Sie fordert eine dauerhafte Feuerpause in Gaza, schnelle Visaverfahren für Menschenrechtsaktivisten aus Russland und einen Abschiebestopp für iranische Geflüchtete. Forderung der Union, Asylverfahren nach Ruanda zu verlagern, weist sie deutlich zurück.

Frau Amtsberg, gerade hat der Europarat in Deutschland Nachbesserungsbedarf bei den Menschenrechten festgestellt. Deutschland tue zu wenig gegen Armut, Diskriminierung und Rassismus. Im UN-Menschenrechtsrat gab es vor kurzem ähnliche Kritik. Halten Sie die für gerechtfertigt?

Amtsberg: Ja, ich halte die Kritik für gerechtfertigt. Nur wenn wir hohe Ansprüche an uns selbst stellen, können wir andernorts eine starke Stimme für die Menschenrechte sein. Und deshalb müssen wir uns Kritik genau anhören, auch wenn sie von Staaten kommt, die eine deutlich schlechtere Menschenrechtsbilanz haben als wir. Es ist zwar absolut zynisch, dass ausgerechnet Iran uns für zu wenig Schutz von Frauen kritisiert, während Frauen in Iran für den Kampf um ihre Freiheit zu Tausenden vom Regime inhaftiert und angegriffen werden. Aber klar: Nicht nur bei der Armutsbekämpfung und in der Gleichstellungspolitik gibt es noch viele Defizite in Deutschland. Zu Recht wird von Deutschland auch erwartet, Rassismus und Diskriminierung entschiedener zu bekämpfen.

Es gibt den Vorwurf, die deutsche Außenpolitik sei mit dem moralischen Zeigefinger in der Welt unterwegs. Können Sie das nachvollziehen?

Wir unterstützen unter Druck geratene Menschen gegen ihre despotischen Regierungen, setzen uns für eine stärkere Beteiligung von Frauen in politischen Prozessen ein, nehmen Geflüchtete auf. Denn Menschenrechte sind universell. Wir übernehmen Verantwortung und arbeiten für die Einhaltung der Menschenrechte und des internationalen Rechts. Wir federn menschliches Leid durch humanitäre Hilfe ab. Das tut längst nicht jeder. Der Vorwurf des moralischen Zeigefingers kommt meiner Erfahrung nach häufig von Regierungen oder Akteuren, die versuchen, von eigenen Defiziten oder Menschenrechtsverletzungen abzulenken.

Welches Land macht Ihnen in Punkto Menschenrechte am meisten Sorgen?

Ich pflege keine Rangliste. Neben den humanitären Krisen steht die Lage der Frauen in Iran stark im Fokus unserer Arbeit. In Afghanistan ist es lebensgefährlich, sich für Frauenrechte einzusetzen. In Russland stehen Oppositionelle unter starken staatlichen Repressionen für Freiheit ein. Die Ukrainerinnen und Ukrainer kämpfen jeden Tag für Frieden.

Die Fact-Finding-Mission der Uno zum Iran hat gerade ihren Bericht vorgelegt und spricht angesichts des Vorgehens der iranischen Regierung gegen Menschen, die mehr Frauen- und Freiheitsrechte fordern, von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dass dort Leute verhaftet, gefoltert, zu Tode verurteilt werden oder ohne vernünftigen Gerichtsprozess im Gefängnis sitzen, war bekannt. Was ist das Neue an dem Bericht?

Es ist wichtig, dass die internationale Staatengemeinschaft als Kollektiv festhält, wie das iranische Regime gegen friedlich Protestierende vorgeht. Die Erkenntnisse werden gerichtsfest dokumentiert. Dadurch bekommen die Opfer die Möglichkeit, ihre Fälle zur Anklage zu bringen. Selbst wenn Verantwortliche nicht festgenommen werden können, kann juristisch festgehalten werden, dass Unrecht geschehen ist. Das ist nicht nur für Betroffene enorm wichtig. Es erhöht auch den Druck auf das Regime.

Die iranische Regierung hat den Bericht als einseitig kritisiert.

Richtig. Da drängt sich die Frage auf, warum Iran die Berichterstatterinnen der Vereinten Nationen nicht ins Land lässt und die Vorwürfe von Folter, unrechtmäßiger Inhaftierung und brutaler Niederschlagung von Protesten widerlegt.

Das Mandat der Fact Finder läuft am 5. April aus. Braucht es eine Verlängerung?

Ja, unbedingt. Selbst wenn die Proteste verdeckter stattfinden, heißt das nicht, dass das Regime weniger repressiv dagegen vorgeht. Iranerinnen und Iraner kämpfen weiter für ihre demokratischen Freiheiten. Besonders hoch ist der Druck auf Minderheiten, wie die Bahai, die Kurden, die Belutschen oder die queere Community. Deshalb muss die Fact Finding Mission ihre Arbeit fortsetzen.

Die Deutschiranerin Nahid Taghavi, die sich für Frauenrechte eingesetzt hat, wurde zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, gegen den Deutschiraner Jamshid Sharmahd wurde wegen Terrorvorwürfen die Todesstrafe verhängt. Beide sind seit 2020 im Iran inhaftiert. Gibt es irgendwelche Fortschritte beim Bemühen um ihre Freilassung?

Wir setzen uns intensiv und mit größter Anstrengung für Deutsche in iranischer Haft ein, hochrangig, auf allen zur Verfügung stehenden Kanälen und bei jeder Gelegenheit. Zu Einzelfällen kann ich mich zum Schutz der Betroffenen nicht äußern.

Welche Konsequenz ziehen Sie für den Umgang mit Geflohenen aus dem Iran in Deutschland?

Menschen, die vor diesem Regime geflohen sind, sollten sich nicht fürchten müssen, wieder zurückgeführt zu werden. Sie müssen sich hier dauerhaft sicher fühlen können. Ich kann deshalb nicht nachvollziehen, warum die Innenministerkonferenz den Abschiebestopp nicht verlängert hat.

Um in der Region zu bleiben: Auch Israel wird vorgeworfen, Menschenrechte zu verletzen – mit den Angriffen auf Gaza und der mangelhaften Versorgung der dort lebenden Palästinenserinnen und Palästinenser. Israel rechtfertigt sich mit Selbstverteidigung nach den Hamas-Massakern vom letzten Oktober und damit, die Hamas zerstören zu wollen. Wo verläuft für Sie die Grenze des Zulässigen?

Israel hat ein Recht darauf, sich zu verteidigen. Die Hamas hat am 7. Oktober das schlimmste Massaker an jüdischem Leben seit der Shoa verübt, sie hat immer noch Geiseln in ihrer Gewalt und trachtet immer noch danach, Israel zu zerstören. Das lässt sich nicht beiseite wischen. Richtig ist auch: die Art der Kriegsführung in Gaza verursacht unverhältnismäßig viele zivile Opfer. Die humanitäre Situation der Menschen ist katastrophal. Israel muss seine militärische Strategie ändern. Es braucht sofort eine humanitäre Feuerpause, die zu einer dauerhaften und nachhaltigen Waffenruhe führt, und deutlich mehr humanitäre Hilfsgüter. Hierfür müssen weitere Grenzübergänge geöffnet werden. Das ist mehr als dringend.

Deutschland schickt humanitäre Hilfe für Gaza und Mahnungen an die israelische Regierung. Die EU hat Sanktionen gegen radikale Siedler verhängt. Reicht das?

Wir müssen unsere engen Beziehungen zu Israel nutzen, um den Menschen in Gaza zu helfen. Das hat Priorität. Gleichzeitig dürfen wir die Lage im Westjordanland nicht aus dem Blick verlieren. Ich bin der festen Überzeugung, dass Terrorismus in der Region nur der Boden entzogen werden kann, wenn die Palästinenser in Würde und selbstbestimmt leben können. Dafür braucht es die Zwei-Staaten-Lösung, die jedoch von einer immer aggressiver werdenden illegalen Siedlungspolitik Israels und damit verbundener Gewalt gegen palästinensische Landbesitzer gefährdet wird. Und wir müssen die sehr vitale und vielfältige israelische und palästinensische Zivilgesellschaft stärker unterstützen. Besonders jene, die weiterhin nach einem friedlichen Zusammenleben streben.

In Russland müssen Oppositionelle um ihr Leben fürchten, die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen und Journalisten wurde beschränkt. Was können Sie dort noch ausrichten?

Es ist in autoritären Staaten herausfordernd, Menschenrechtsverteidigende zu unterstützen. Sie sind ständiger Gefahr ausgesetzt und manchmal wird sie durch Kontakte mit uns noch größer. Umso wichtiger ist es, dass sie ihre Arbeit auch aus Deutschland fortsetzen können, wenn sie zu uns geflohen sind. Das betrifft Menschen aus Russland, genauso aber Iran oder andere Diktaturen. Es braucht für sie humanitäre Visa, die zügig erteilt werden können und die Möglichkeit zum Beispiel von einem befristeten Schengenvisum in einen sicheren Schutzstatus zu wechseln, den so genannten Spurwechsel. Vereinsgründungen müssten erleichtert werden und natürlich braucht es finanzielle Unterstützung und auch öffentliche Räume, in denen sie ihre Erfahrungen teilen können.

Die Bundesregierung prüft gerade, Asylverfahren in Drittstaaten zu verlagern. Die Union hat dafür Ruanda in den Blick genommen. Was halten Sie davon?

Ich halte dieses ganze Vorhaben für rechtlich unzulässig, innen- und außenpolitisch fatal und auch aus praktischen Gründen völlig abwegig. Die gesamte Debatte kratzt maximal an der Oberfläche und wenn es um die konkrete Umsetzung geht, wird auch die Union ganz still. Wirklich umsetzbare Vorschläge höre ich nicht. Mich ermüden solche Diskussionen, weil sie uns in der Sache nicht voranbringen.

Demnächst muss wieder ein Bundeshaushalt aufgestellt werden. Finanzminister Christian Lindner hat Sparen verordnet. Was bedeutet das in Ihrem Bereich?

Die angedachten Kürzungen hätten sicherheitspolitisch, geopolitisch und mit Blick auf die Menschenrechte weltweit spürbare Auswirkungen. Krisen zu stabilisieren oder abzuwenden, erfordert Geld. Deutschland gehört zu den großen humanitären Gebern weltweit. Wenn wir Lücken reißen, werden andere sie füllen. Es kann nicht in unserem Interesse sein, dass immer mehr Länder in Abhängigkeit von Russland oder China geraten.

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