Rufe nach RücktrittDer Tag nach Anne Spiegels Entschuldigung – Statement von Scholz

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Anne Spiegel während des Statements im Ministerium.

Anne Spiegel während des Statements im Ministerium.

Köln/Berlin – Am Sonntagabend um 21 Uhr bat Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) in ihr Berliner Ministerium, um ein bemerkenswertes Statement zu ihrer Zeit als Ministerin in Rheinland-Pfalz abzugeben. In den Stunden zuvor hatte unter anderem CDU-Parteichef Friedrich Merz ihren Rücktritt gefordert – und die Rufe sind am Montag nicht verstummt.

Spiegel entschuldigte sich vor laufenden Fernsehkameras am späten Abend sichtlich bewegt für eine lange Urlaubsreise, die sie anderthalb Wochen nach der Flutkatastrophe im Juli 2021 angetreten hatte. „Ich möchte mich für die Fehler ausdrücklich entschuldigen“, so Spiegel.

Die Stellungnahme am späten Abend ließ viele verblüfft zurück. Denn die Ministerin korrigierte nachträglich, während des vierwöchigen Urlaubs doch nicht per Video an Kabinettssitzungen des Landes teilgenommen zu haben. Das hatte sie zuvor behauptet. Die lange Zeit der Entspannung begründete sie auch mit der gesundheitlichen Verfassung ihres Mannes und den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf ihre vier Kinder – ein ungewöhnlicher Schritt.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat Spiegel am Montagvormittag Rückendeckung gegeben. „Was die Zusammenarbeit in der Regierung angeht, so schätzt der Bundeskanzler die Ministerin und arbeitet mit ihr eng und vertrauensvoll zusammen“, sagte Vizeregierungssprecherin Christiane Hoffmann in Berlin. Spiegels Auftritt vor der Presse am Sonntagabend habe Scholz „persönlich bewegt und betroffen gemacht“. Seiner Ansicht nach sei es „ein menschlich sehr beeindruckender Auftritt gewesen“.

Tauglichkeit in Frage gestellt

Am Montag stehen die Grünen dennoch unter besonderer Beobachtung. CSU-Generalsekretär Stephan Mayer sagte am Montag im Deutschlandfunk, es stelle sich auch angesichts des Auftritts der Grünen-Politikerin am Sonntagabend die Frage, ob sie ihr Amt noch so ausüben könne, wie es erforderlich sei. Mehrfach hatte Spiegel bei ihrem Auftritt die Stimme gestockt.

Die Regierungspartner FDP hielt sich mit Bewertungen im Fall zurück. Der designierte Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte in der Sendung „Frühstart“ bei RTL/ntv, er wolle diesen Sachverhalt nicht kommentieren. „Das müssen jetzt andere bewerten, welche möglichen Schlussfolgerungen sich daraus ergeben sollten.“ Auf die Frage, ob Spiegel dem Amt gewachsen sei, sagte er, das könne er nicht bewerten und verwies auf die Grünen.

Der Bundesvorstand der Grünen tagt am Montag in Husum, um sich auf die Landtagswahlkämpfe in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen einzustimmen. Doch um 14 Uhr werden die Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour sich bei einem geplanten Pressestatement vor allem wohl zur angeschlagenen Familienministerin äußern müssen.

Grüne sollen Spiegel Rücktritt naheglegt haben

Von ihrer Partei hatte es am Sonntagabend auf Nachfrage zunächst keine Stellungnahme. „Bild“ berichtete, dass es am Sonntag eine Krisensitzung mit den Grünen-Ministern Robert Habeck, Annalena Baerbock, und den Partei- und Fraktionsvorsitzenden gegeben habe. Dabei sei Spiegel der Rücktritt nahegelegt worden, sie habe aber darum gebeten, noch eine Chance zu bekommen, berichtete Blatt. Eine Stellungnahme der Grünen zu dem Bericht gab es zunächst nicht.

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Der Kölner Bundestagsabgeordente und Parlamentarische Staatssekretär in Spiegels Familienministerium, Sven Lehmann (Grüne), verteidigte die Politikerin auf Twitter. „Am Beispiel Anne Spiegel wird auch verhandelt, wie menschlich Politik sein darf“, schrieb er. „Politiker*innen sind Menschen. Menschen können Fehler machen oder in harten Abwägungen Entscheidungen treffen, die sie später bereuen. Wer in der Politik keine Maschinen will, bekommt Menschen.“

Am Montagmittag erhöhte sich der Druck auf Spiegel jedoch weiter: Die Familienministerin habe in einer Krisensitzung am vergangenen Donnerstag ihrer Landespartei den eigenen Urlaub verheimlicht, berichtete die „Zeit“. Die allgemeine Sichtweise in der Sitzung sei gewesen, dass Spiegels Fall nicht mit dem von Ursula Heinen-Esser vergleichbar sei. Dass auch Spiegel kurz nach der Flut einen vierwöchigen Urlaub angetreten hatte, habe die Ministerin in der Sitzung nicht erwähnt, heißt es im Bericht. Die Landesspitze habe erst aus der Presse von Spiegels Urlaub erfahren. (mdo/afp/dpa)

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