Antisemitismus-AffäreSöder bestellt Aiwanger ein – Kanzler fordert Aufklärung

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Bayerns Vize-Regierungschef bestreitet, das Flugblatt verfasst zu haben. Markus Söder und Olaf Scholz reagieren am Montag.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat von der bayerischen Landesregierung eine dringende Klärung der Vorwürfe gegen Bayerns Vizeregierungschef und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) gefordert. In der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus Aiwangers Schulzeit „muss nach Ansicht des Bundeskanzlers alles umfassend und sofort aufgeklärt werden, und es müsste dann gegebenenfalls auch politische Konsequenzen haben“, sagte Vizeregierungssprecher Wolfgang Büchner am Montag in Berlin.

„Dieses Flugblatt, das ist wirklich eine abstoßende Geschichte, das kann man nicht anders sagen“, fügte Büchner hinzu. Es sei ein „wirklich furchtbares menschenverachtendes Machwerk“. Der Sprecher wies darauf hin, dass „die Landesregierung des Freistaates Bayern“ für die Klärung der Vorwürfe zuständig sei.

Markus Söder bestellt Hubert Aiwanger ein

Nach den Erklärungen seines Stellvertreters Hubert Aiwanger hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Montag bereits eine Sondersitzung des Koalitionsausschusses einberufen. Söder habe die Freien Wähler für Dienstagvormittag zu der Sitzung einbestellt, teilte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) am Montag mit.

„Wir haben die Erklärung zur Kenntnis genommen. Aber es bleiben viele Fragen offen. Diese kann nur Hubert Aiwanger persönlich beantworten“, sagte Herrmann. „Wir erwarten, dass dies zeitnah geschieht. Die Vorwürfe sind zu ernst, als dass sich ein stellvertretender Ministerpräsident nur schriftlich äußert und entscheidende Fragen unbeantwortet lässt.“ Aiwanger müsse sich über die schriftliche Stellungnahme hinaus „persönlich und umfassend erklären“. „Es geht um das Ansehen Bayerns.“

Grüne, SPD und FDP sehen Markus Söder in der Verantwortung

Grüne, SPD und FDP hatten eine Stellungnahme von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gefordert - und zwar umgehend. Je nachdem, wie diese ausfällt, wollten die drei Oppositionsfraktionen dann über einen möglichen Antrag auf eine Sondersitzung im Landtag entscheiden.

„Für uns ist eine Sondersitzung weiter auf dem Tisch. Aber erstmal muss Markus Söder sich äußern - und zwar bald“, hatte Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze der Deutschen Presse-Agentur in München gesagt. FDP-Fraktionschef Martin Hagen betonte ebenfalls: „Der Ball liegt beim Ministerpräsidenten. Er muss sich am Montag zum Skandal um seinen Stellvertreter erklären. Abhängig von seiner Reaktion werden wir beraten, ob wir eine Sondersitzung einberufen.“

Flugblatt-Affäre um Aiwanger: SPD will Sondersitzung im Landtag

Die SPD hatte sich als erstes für eine Sondersitzung des Landtags ausgesprochen. Der SPD-Fraktionsvorstand habe bereits einstimmig dafür votiert, sagte Fraktionschef Florian von Brunn.

„Ziel ist, die Entlassung von Hubert Aiwanger auf die Tagesordnung des Landtags zu setzen, um die notwendigen Konsequenzen zu ziehen - bevor noch mehr Schaden für Bayern entsteht.“ Von Brunn schrieb beim Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter, das Flugblatt sei „keine Jugendsünde“. Aiwanger sei offenbar gemeinsam mit seinem Bruder für Entstehung und Verbreitung des Schriftstücks verantwortlich.

FDP und Grüne wollten aber zunächst noch auf die Reaktion Söders warten. „Deren Stimmen sind notwendig“, so von Brunn in Richtung der beiden anderen Oppositionsparteien. Er habe dann vorgeschlagen, dass man sich am Montag noch einmal kurzschließe.

Ob die Einberufung des Koalitionsausschusses durch Söder der Opposition reicht, bleibt abzuwarten.

Freie Wähler in Rheinland-Pfalz distanzieren sich von Aiwanger

Der rheinland-pfälzische Landesvorsitzende der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, verurteilt das antisemitische Flugblatt unterdessen „auf das Schärfste“. „Wir sind schockiert darüber, dass jemand dazu in der Lage ist, ein derart widerliches und abstoßendes Flugblatt zu verfassen und in Umlauf zu bringen“, sagte Wefelscheid in Mainz. „Es darf kein Zweifel daran bestehen, dass Antisemitismus in der Partei Freie Wähler keinen Raum hat. So steht es in unserem Wahlprogramm und so wird es auch von uns politisch gelebt.“

Der Landesverband habe am Sonntagmorgen den Bundesvorsitzenden Aiwanger gefragt, warum sich ein bis mehrere dieser Flugblätter in seiner Schultasche befanden. „Diese Frage hat der Landesvorstand Hubert Aiwanger gestern Morgen unter Abschrift an den gesamten Bundesvorstand übermittelt.“ Eine Antwort habe bis Montagmorgen noch nicht vorgelegen.

Hubert Aiwanger gibt Besitz von Flugblatt zu

Freie-Wähler-Chef Aiwanger (52) hatte am Samstagabend schriftlich zurückgewiesen, als Minderjähriger zu Schulzeiten in den 1980er Jahren ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) berichtet hatte. „Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend“, hieß es in einer Erklärung Aiwangers.

Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien „ein oder wenige Exemplare“ in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf gestand Aiwangers ein Jahr älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben: „Ich war damals total wütend, weil ich in der Schule durchgefallen war.“

Söder hatte Aiwanger am Samstag zu einer umfassenden Aufklärung gedrängt. (dpa, red)

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