Frauke Brosius-Gersdorf steht im Zentrum eines Koalitionsstreits – und mit ihr die Frage, wie viel Einfluss rechte Kampagnen auf demokratische Prozesse haben.
Streit um JuristinLauterbach verteidigt Brosius-Gersdorf – Linke sieht „rechte Hetzkampagne“

Frauke Brosius-Gersdorf ist eine der drei Verfassungsrichter-Kandidatinnen und -Kandidaten. (Archivbild)
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Die kurzfristige Absetzung der Wahl von drei neuen Verfassungsrichterinnen und -richtern von der Tagesordnung des Bundestags hat eine politische Kontroverse ausgelöst. Im Mittelpunkt steht die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf, die von der SPD für das höchste deutsche Gericht vorgeschlagen wurde. Die Personalie trifft plötzlich auf Widerstand aus der Union. Dabei hatte die Fraktion der SPD zugesagt, ihre Richterkandidatin mitzutragen.
Das politische Beratungsnetzwerk Polisphere hat in einem Social-Media-Monitoring analysiert, wie die Kritik an der Personalie entstand. Der Geschäftsführer spricht von einer Kampagne: So hätten rechte Multiplikatoren wie Nius, Apollo News und Tichys Einblick Anfang Juli begonnen, Diffamierungen zu streuen. Teilweise seien Inhalte auf sozialen Plattformen zu dem Thema als Werbung geschaltet worden.
Ihre Kritik an Brosius-Gersdorf entzündet sich an mehreren Punkten: ihrer liberalen Haltung zum Thema Schwangerschaftsabbruch, ihrer Forderung nach einer Impfpflicht während der Corona-Pandemie sowie ihrer juristischen Position zu einem möglichen AfD-Verbotsverfahren. Rechte und rechtskonservative Medien hatten sie dafür in den vergangenen Wochen massiv kritisiert. Aus der AfD kam scharfer Widerspruch gegen ihre Nominierung.
Zusätzliche Brisanz erhielt die Debatte durch einen Hinweis des österreichischen Plagiatsforschers Stefan Weber, der auf inhaltliche Übereinstimmungen zwischen der Dissertation von Brosius-Gersdorf und der – erst später erschienenen –Habilitationsschrift ihres Ehemanns aufmerksam machte. Eine formale Untersuchung steht bislang aus.
Causa Brosius-Gersdorf: Grüne werfen Union Einknicken vor
Für den Grünen-Bundesvorsitzenden Felix Banaszak ist der Streit ein Ausdruck fehlender staatspolitischer Verantwortung. Mit Blick auf die Bundestagssitzung am Vortag, bei der die Wahl überraschend verschoben wurde, sagte er beim Landesparteitag seiner Partei in Hamburg: „Mit Staatstragenheit hatte das, was die da gestern aufgeführt haben, nichts zu tun.“ Die Union habe sich dem Druck von rechts gebeugt und damit in einer Zeit wachsender populistischer Bedrohung das demokratische Fundament des Staates nicht gestützt, sondern geschwächt.
„Wer in dieser Zeit staatstragend ist, nimmt nicht in Kauf, dass rechte Demokratiefeinde die Führung in diesem Land, zumindest in einem solchen Moment, übernehmen“, sagte Banaszak weiter. Den Staat zu tragen bedeute, ihn gerade dann zu schützen, wenn er von rechten Kräften herausgefordert werde.
Grünen-Politikerin Ricarda Lang schlug auf der Plattform X vor, die CDU solle überlegen, sich bei Frauke Brosius-Gersdorf zu entschuldigen. „Völlig erfundene Plagiatvorwürfe“ könnten nicht nur die Karriere der Professorin zerstören, sondern auch dem Bundesverfassungsgericht und dem Bundestag Schaden zuzufügen.
SPD hält an weiter an ihrer Kandidatin fest
Auch aus den Reihen der SPD kam deutliche Kritik am Verhalten der Union. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sonja Eichwede bekräftigte, ihre Partei halte an Brosius-Gersdorf fest. „Wir haben einen guten Vorschlag, eine herausragende Wissenschaftlerin, die in Karlsruhe sehr gut arbeiten kann.“ Die Juristin bringe alle Voraussetzungen mit, betonte Eichwede, die selbst aus dem Richterberuf kommt.
Kritikerinnen und Kritikern warf sie vor, Brosius-Gersdorf Positionen zuzuschreiben, die sie in dieser Form nie vertreten habe. „So kann man in einer Demokratie nicht miteinander umgehen“, sagte sie. Unter anderem war behauptet worden, die Juristin wolle Abtreibungen im neunten Monat erlauben. Dabei hat das die 54-jährige Professorin nie vorgeschlagen.
Der Kölner SPD-Politiker und frühere Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach meldete sich auf X zu Wort. „Ich habe Frau Brosius-Gersdorf in die Kommission Reproduktionsmedizin berufen. Ihre Position war dort weder radikal noch unerwartet“, schrieb er. „Viele Frauen denken das Gleiche. Frauen brauchen keinen Vormund.“
Auch die Linken-Abgeordnete Heidi Reichinnek sprach von einer „rechten Hetzkampagne“ gegen Brosius-Gersdorf, an der sich auch die Union beteiligt habe. Sie warf der CDU/CSU außerdem vor, bereit gewesen zu sein, ihren eigenen Kandidaten mit Stimmen der AfD zu wählen – anstatt eine breite demokratische Mehrheit zu suchen.
Unterstützung für Spahn – Rückhalt aus Nordrhein-Westfalen
Unterstützung für Jens Spahn, der sich zuvor gegen die öffentliche Kritik an konservativen Positionen in der Debatte gestellt hatte, kam unterdessen aus Nordrhein-Westfalen. Ministerpräsident Hendrik Wüst erklärte: „Jens Spahn hat recht: Wir dürfen nicht akzeptieren, dass das Eintreten für Lebensschutz von einigen als rechtsextrem diffamiert wird. Volle Solidarität mit Jens und allen anderen, die unsere Werte verteidigen!“ Damit stärkte er dem CDU-Politiker demonstrativ den Rücken – auch im Kontext der Auseinandersetzung um die Bewertung ethischer Haltungen im politischen Raum.
Die Wahl von Richterinnen und Richtern am Bundesverfassungsgericht gilt als politisch sensibel, da das höchste Gericht maßgeblich über zentrale Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens entscheidet. Die Einigung auf Kandidatinnen erfolgt üblicherweise im Konsens zwischen Regierung und Opposition. Die nun aufgeschobene Wahl betrifft drei Richterposten. Wann die Wahl nachgeholt wird, ist derzeit offen. (mit dpa und afp)