Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Einmarsch im „Rattenloch“Trump provoziert Eskalation auf Amerikas Straßen

4 min
Nationalgardisten treffen in ihrem Hauptquartier in Washington D.C. ein.

Nationalgardisten treffen in ihrem Hauptquartier in Washington D.C. ein.

Trotz sinkender Kriminalitätszahlen ruft der Präsident den Notstand für Washington aus. Demokraten und Bürgerrechtler sind alarmiert.

Im Herzen des Washingtoner Regierungsbezirks herrschte Anarchie. Randalierer hatten die Polizei überrannt, 140 Beamte teils schwer verletzt und sich gewaltsam Zutritt ins Parlamentsgebäude verschafft. Bewaffnet mit Baseballschlägern und Elektroschockern machten sie Jagd auf Kongressabgeordnete. Seelenruhig verfolgte der Präsident die Ereignisse live vorm Fernseher. Drei Stunden lang weigerte er sich am 6. Januar 2021, der Nationalgarde einen Einsatzbefehl zu erteilen.

Viereinhalb Jahre später hat sich Trumps Einschätzung der Sicherheitslage in seiner Nachbarschaft offenbar fundamental verändert. „Unsere Hauptstadt wurde von gewalttätigen Banden und blutrünstigen Kriminellen, von umherziehenden Horden wilder Jugendlicher, drogensüchtigen Wahnsinnigen und Obdachlosen übernommen“, zeterte er am Montag bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus, bevor er den Notstand für die 700.000-Einwohner-Metropole ausrief. Es klang wie ein Lagebericht aus Bagdad oder Bogota.

Sicherer und sauberer denn je

Mit der Realität hat diese apokalyptische Darstellung wenig zu tun, wie die Touristen, die gerade in der Ferienzeit über die National Mall strömen, leicht bezeugen können. Abends kann man an schönen Sommertagen auf der belebten 14th Street oder im angesagten Union Market District ohne Reservierung kaum einen Tisch vor einem Restaurant ergattern. „Ich bin in Washington aufgewachsen, und es hat sich nie sicherer oder sauberer angefühlt als heute“, bezeugt die renommierte Publizistin Anne Applebaum.

Soldaten überqueren einen Zebrastreifen.

Seit einer Entscheidung von US-Präsident Trump hat sich die Zahl der Soldaten in Washington D.C. erhöht.

Wahr ist: Washington hat seit langem ein Problem mit Kriminalität und von Drogensucht begleiteter Obdachlosigkeit. Die Mordrate ist dreimal so hoch wie in Frankfurt am Main. Vor allem jugendliche Gewalttäter bereiten Probleme. Auch hat seit der Corona-Pandemie die Präsenz von Menschen ohne Wohnsitz in Parks und unter Brücken zugenommen. Doch die Statistik zeigt einen positiven Trend: Erst im Januar hat das Justizministerium den Rückgang der Gewalttaten in Washington auf ein 30-Jahres-Tief gemeldet. Die Zahl der Morde und Tötungsdelikte sank im vergangenen Jahr um ein Drittel auf 187.

Solche Fakten interessieren Trump ebenso wenig wie eine wirkliche Lösung der Probleme. Sonst hätte er der Hauptstadt kürzlich kaum 20 Millionen Dollar Bundeszuschüsse ausgerechnet für Sicherheit gestrichen. Stattdessen stellt er nun die städtische Polizei unter Bundesaufsicht und schickt 800 für solche Aufgaben in keiner Weise ausgebildete Nationalgardisten in die Hauptstadt. Außerdem sollen bis zu 120 FBI-Beamte in den Straßen patrouillieren. „Wir werden unsere Hauptstadt zurückholen“, verkündete Trump. Ausdrücklich erklärte er, die Einsatzkräfte dürfen machen, „was immer sie wollen“.

Ein Obdachlosenlager auf dem Weg zum Golfplatz

Die beispiellose Eskalation könnte nach Meinung vieler Kritiker dem Handbuch eines Autokraten entstammen. „Verstörend und beispiellos“ nannte Washingtons Bürgermeisterin Muriel Bowser den Übergriff des Präsidenten, der sie gleichwohl nicht wirklich überrasche. Schließlich hat Trump seit Jahren die mehrheitlich schwarze und demokratische Hauptstadt im Visier, die als „ein von Ratten befallenes und mit Graffiti beschmiertes Drecksloch“ beschimpfte. Ein tätlicher Angriff auf einen Mitarbeiter seiner Kostensenkungstruppe Doge und ein Obdachlosen-Lager am Straßenrand bei der Fahrt zu seinem Golfplatz in Virginia scheinen den Groll zusätzlich befeuert zu haben.

Rechtlich kann Bowser wenig gegen die bundesstaatliche Okkupation machen: Washington besitzt einen heiklen Sonderstatus mit eingeschränkten Rechten. Anders als in allen anderen Bundesstaaten untersteht die als Reserve-Armee fungierende Nationalgarde im District of Columbia nicht der Regionalregierung, sondern dem Bund. Und laut Gesetz kann der Präsident bei einem Ausnahmezustand für zunächst 30 Tage auch die Kontrolle über die Washingtoner Polizei übernehmen. Erst danach muss der Kongress zustimmen.

Gouverneur sieht Parallelen zur Nazi-Ära

Entsprechend besorgt sind Bürgerrechtler und Demokraten-Politiker, die die Entsendung der Nationalgarde als Teil eines größeren Planes sehen. Schon jetzt setzt die Trump-Regierung Armee-Einheiten zur Bewachung von Migrantenlagern und an der mexikanischen Grenze ein. Doch die Mobilisierung in Washington sei „der größte Schritt, den Einsatz des Militärs auf US-Boden auszuweiten“, urteilt das konservative „Wall Street Journal“.

Trump machte bei seiner Pressekonferenz keinen Hehl daraus, dass er den Einsatz des Militärs auch in anderen demokratisch regierten Städten wie Oakland, New York und Chicago erwägt. Die Lage dort sei „schlimm, sehr schlimm“, behauptete er. Laut einem Bericht der „Washington Post“ wird im Pentagon schon die Schaffung einer festen Eingreiftruppe zur Niederschlagung von Protesten im Inneren der USA debattiert.

Trump bereite heimlich „die Militarisierung vieler Städte in Amerika vor“, warnt Gavin Newsom, der Gouverneur von Kalifornien. Sein Kollege Wes Moore aus Maryland sieht gar Parallelen zur Entwicklung der 1930er Jahre in Nazi-Deutschland: „Das ist extrem beunruhigend“, urteilt der Demokrat.