Die jüngsten Tomahawk-Gedankenspiele sorgen für Drohungen aus Moskau. Laut Experten könnte die Waffe für erhebliche Schäden sorgen.
„Direkte Kriegsbeteiligung“Oreschnik-Drohung und viel Unruhe – Trumps Tomahawks machen Moskau nervös

Ein Tomahawk-Marschflugkörper beim Start. Die Ukraine hofft auf die Lieferung des US-Waffensystems. (Archivbild)
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Manche russische Zeitungen warnen vor einem „Schritt in Richtung Dritter Weltkrieg“, die Propagandisten in Moskau zweifeln neuerdings am Verstand von US-Präsident Donald Trump und in russischen Telegram-Kanälen wird der Bevölkerung nahegelegt, doch fortan besser genau zu wissen, wo sich der nächste Luftschutzbunker befindet. Der Grund für all den Wirbel: Die US-Regierung denkt über eine Lieferung von Tomahawk-Marschflugkörpern an die Ukraine nach – und scheint damit die gewünschte Wirkung in Moskau bereits erzielt zu haben.
Während Kremlsprecher Dmitri Peskow sich am Donnerstag (2. Oktober) schmallippig angesichts der Berichte über das zuvor von Vizepräsident J. D. Vance bestätigte Gedankenspiel zeigte und lediglich eine „angemessene“ Reaktion für den Fall einer Tomahawk-Lieferung ankündigte, wählte mancher in Moskau deutlichere Worte.
Moskau droht mit Verlegung von Oreschnik-Raketen
Die Lieferung des US-Marschflugkörpers an die Ukraine werde eine „neue Phase des Krieges“ darstellen, warnte etwa der Dumaabgeordnete Alexei Schurawlew. Die USA würden durch diesen Schritt zu einem Kriegsbeteiligten.

Eine Aufnahme der US Navy zeigt einen Tomahawk-Marschflugkörper vor einem amerikanischen F-14-Kampfjet. (Archivbild)
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Russland sei dann gezwungen, seine Oreschnik-Raketen näher an den USA zu positionieren, drohte der stellvertretende Vorsitzende des russischen Verteidigungsausschusses und brachte als Standort für die russischen Waffen Venezuela ins Gespräch. Auch Schurawlews Duma-Kollege Alexei Puschkow warnte Washington vor „gefährlichen Provokationen“, durch die eine „direkte Kriegsbeteiligung“ der USA entstehen würde.
„Es wird die Situation auf dem Schlachtfeld nicht ändern“
Die deutlichen Worte in Richtung der USA sind jedoch nur die eine Seite. Während Moskau die Gerüchte über eine Tomahawk-Lieferung einerseits zum Anlass für schrille Drohungen nimmt, versucht man in Russland gleichzeitig auch den Eindruck zu erwecken, die US-Marschflugkörper würden ohnehin keine Bedrohung darstellen.
„Es wird die Situation auf dem Schlachtfeld nicht ändern, ob sie übergeben werden oder nicht“, erklärte etwa Russlands Boschafter bei den Vereinten Nationen, Wassili Nebensja. „Ich bin zuversichtlich, dass wir notfalls eine Lösung finden werden“, fügte der Diplomat an.
Moskau will Trump mit Drohungen von Lieferung abhalten
Ähnliche Taktiken habe der Kreml bereits zuvor angewandt, als über die Lieferung von Raketen wie ATACMS und HIMARS, F-16-Kampfflugzeugen sowie Abrams-Panzern an die Ukraine diskutiert worden sei, kommentierte das amerikanische Institut für Kriegsstudien die Wortmeldungen aus Moskau. Eine Eskalation habe es trotz vorheriger Drohungen jedoch nie gegeben.

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Nun versuche Russland erneut, eine westliche Überlegung „als gefährliche Eskalation darzustellen“, um die Vereinigten Staaten von einer Tomahawk-Lieferung abzuhalten, so die Einschätzung der US-Analysten, die auf eine gewisse Nervosität im Kreml hindeutet.
Nervosität in Russland: „Ich spreche von Tomahawk-Raketen“
Auch der Blick in russische Telegram-Kanäle zeigt, dass bereits die bloßen Gerüchte über eine Lieferung der weitreichenden Tomahawks durchaus ihre Wirkung in Russland entfaltet haben. „Offenbar wird sich die Kriegslage bald noch weiter verschärfen. Ich spreche von Tomahawk-Raketen“, schrieb ein russischer Propagandist zuletzt und fügte an: „Es ist kein Zufall, dass heute in russischen Städten Luftschutzübungen stattfanden. Jeder sollte wissen, wo der nächste Luftschutzbunker ist.“
Sichtbar wird die Unruhe derweil auch in Kreml-Medien, wie der russische Exil-TV-Sender „Current Time“ berichtete. Trump habe „den Verstand verloren“, hieß es dort demnach mitunter. „Die Kreml-Propaganda ist unzufrieden mit der Überlegung der USA, Tomahawk-Raketen nach Kiew zu liefern“, fasste der TV-Sender die Lage zusammen.
Tomahawk: Treffsicherer US-Marschflugkörper
Ein anonymer russischer Militärexperte erläuterte derweil der russischen Exil-Zeitung „Novaya Gazeta Europe“, warum Tomahawks durchaus für Nervosität in Russland sorgen könnten. „Das US-Militär hat die Rakete in jedem größeren Konflikt der letzten 40 Jahre eingesetzt“, zitierte die Zeitung den Experten. Während des Golfkriegs hätten die Amerikaner fast 300 Tomahawks abgefeuert, führte er aus. Nur 15 der Marschflugkörper hätten damals ihr Ziel verfehlt, hieß es weiter.
„Für Luftabwehrsysteme ist es ziemlich schwierig, diese Rakete zu erkennen und zu zerstören“, betonte auch der Militäranalyst David Sharp im Gespräch mit dem russischen Exil-Medium. Mit Tomahawks könne die Ukraine „zahlreiche Unternehmen der Rüstungsindustrie und Militäreinrichtungen“ in Russland ins Visier nehmen, fügte er an.
Selenskyj bestätigt Gespräche: „Wir werden sehen“
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bestätigte unterdessen am Donnerstag die Gespräche mit den USA über eine mögliche Lieferung der weitreichenden Waffen. „Wir haben über Langstreckensysteme gesprochen“, sagte Selenskyj im Gespräch mit Reportern. „Wir werden sehen.“ Alles hänge nun von der Entscheidung von US-Präsident Trump ab, fügte der ukrainische Staatschef an.
Ob die USA allerdings tatsächlich Tomahawks an die Ukraine liefern, ist – wie vieles bei Trumps Kurs gegenüber Russland – weiter völlig offen. Eine Entscheidung gibt es in Washington noch nicht. Zuletzt hatte der Sondergesandte für die Ukraine, Keith Kellogg, jedoch betont, dass es von Seiten des Weißen Hauses keine Restriktionen mehr für ukrainische Angriffe auf Ziele tief in Russland gebe.
Experten äußern Zweifel an tatsächlicher Lieferung
Bei Experten bleiben jedoch Zweifel: Die Aussagen aus Washington über eine mögliche Tomahawk-Lieferung seien wohl eher „ein Versuch, Druck auf Putin auszuüben und ihn zu mehr Entgegenkommen zu zwingen“, erklärte etwa Sharp. Eine tatsächliche Lieferung sei nur „schwer vorstellbar“, da Trumps bisheriger Kurs damit hinfällig werden würde, führte der Militäranalyst aus.

Eine Aufnahme des britischen Verteidigungsministeriums zeigt einen Tomahawk-Marschflugkörper beim Start. Großbritannien besitzt als einzige Nationen neben den USA einige Tomahawks. (Archivbild)
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„Die Lieferung dieser Waffen an die Ukraine wäre die schwerwiegendste Eskalation im gesamten Konflikt“, zeigte sich mit Pawel Aksyonow auch der Militärexperte des russischen Dienstes der BBC skeptisch. Trump werde auch deshalb schlussendlich wohl bei seinem bisherigen Kurs bleiben, prophezeite Aksyonow.
Tomahawk: „Wäre die schwerwiegendste Eskalation“
Auch in der Ukraine zeigen sich Experten nicht allzu optimistisch hinsichtlich einer tatsächlichen Tomahawk-Lieferung der USA. Da die Ukraine bereits bei der Beschaffung von ATACMS-Raketen große Probleme habe, könne man von Trump auch nun „keine Wunder“ erwarten, erklärte der Militäranalyst Roman Switan. Den Kriegsverlauf verändern könne ohnehin nur eine Lieferung von „Hunderten oder Tausenden“ der Marschflugkörper, fügte der Ukrainer an.
Eine Hintertür lassen sich die Analysten jedoch ebenfalls offen. „Der Krieg hat uns bereits mit vielen Überraschungen konfrontiert. Daher können wir die Lieferung dieser Waffen nicht hundertprozentig ausschließen“, betonte Sharp im Gespräch mit der „Novaya Gazeta Europe“ und fügte hinzu: „Selbst eine kleine Anzahl von Tomahawks könnte der russischen Armee schweren Schaden zufügen.“