Zwei Jahre Krieg in der Ukraine„Ich weinte nur nachts, damit die Kinder es nicht hörten“

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Nataliia guckt in die Kamera

Nataliia beschloss, in Charkiw zu bleiben.

Nataliia (44) hat ihre Heimat Charkiw nicht verlassen - trotz der Luftangriffe.

„Es gab Gerüchte, dass es einen Krieg geben könnte. Oh, wir haben keines davon geglaubt. Doch dann ging ich ins Fitnessstudio und sah, dass dort keine Ausländer mehr trainierten. Ich wandte mich an meinen Trainer und er sagte, dass alle aufgefordert wurden, die Ukraine zu verlassen.

2014 dachte ich noch, dass all die Unruhen nur vorübergehend sind. Die Kundgebungen auf dem Maidan haben wir nicht unterstützt, das Leben in Charkiw ging weiter. Mein Mann erzählte mir von dem Krieg in Donbass, doch ich konnte einfach nicht glauben, dass die Situation in Donezk und Luhansk tatsächlich so schlimm ist.

Nataliia mit ihrem Sohn in Charkiw

Nataliia mit ihrem Sohn in Charkiw

Am Morgen des 24. Februar rief ein Freund meines Sohnes an, der an der Grenze zu Russland wohnte. „Der Krieg hat begonnen, Gott sorge für uns alle“, sagte er. So ganz realisierte ich es trotzdem nicht, obwohl wir in der Ferne schon Explosionen hörten. Wir blieben zu Hause, genau wie unsere Nachbarn. Morgen wird alles vorbei sein, dachten wir.

Eine Woche später hörten wir Gerüchte, Charkiw könnte bald schwer bombardiert und umzingelt werden. Am siebten Tag nach Kriegsbeginn geriet ich in Panik. Es war alles so gruselig und beängstigend, es war so surreal, dass tatsächlich Flugzeuge über uns fliegen und auf uns schießen.

„In einem anderen Land fällt mir das Atmen schwer“

Wir beschlossen, in unser Ferienhaus 30 Kilometer außerhalb von Charkiw zu fahren, mein Bruder, meine schwangere Schwiegertochter, meine Tochter und ich. Als ich morgens dafür das Haus verließ, war mein Auto überdeckt von Asche. Alle Gebäude rund um unser Haus wurden bombardiert.

Am Ferienhaus warteten meine Eltern schon auf uns. Ich werde nie vergessen, wie sie uns ansahen, als sie erkannten, dass wir alle leben und endlich zusammen sind. Die Kinder sollten meine Angst nicht sehen, deshalb versuchte ich stets, ruhig zu bleiben. Ich weinte immer nur nachts, damit die Kinder es nicht hörten.

Meinen Sohn brachte ich nach Köln, damit er sein Studium dort fortsetzen kann. Er hat sich noch immer nicht an Deutschland gewöhnt und möchte zurückkehren. Ich selbst wollte nie weg. Egal, wie schlimm es hier ist, ich bin hier zu Hause. In einem anderen Land fällt mir das Atmen schwer. Auch heute lebe ich noch in Charkiw und in unserem Ferienhaus.

Das Schlimmste ist, dass die Menschen sich in Charkiw an den Krieg gewöhnt haben. Sie gehen trotz der Luftangriffe im Park spazieren, fahren mit ihren Autos durch die Stadt, sie versuchen, ein normales Leben zu führen. Doch wenn ich meinen Blick hebe, sehe ich die zerstörten historischen Gebäude. Und wenn irgendwo eine Bombe einschlägt, kommen eben die Stadtmitarbeiter und räumen alles auf.

Wir alle fragen uns, ob das Leben jemals wieder so sein wird wie vorher oder ob sich alles noch verschlimmert. Ich hoffe immer noch auf einen Sieg der Ukraine, ich will, dass das Gute über das Böse siegt. Und ich würde gerne glauben, dass vernünftige Menschen bald zu einer Einigung kommen. Damit wir wieder in Frieden leben können.“

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