PropagandaWie russische Staatsmedien in Deutschland EU-Sanktionen unterlaufen

Lesezeit 15 Minuten
Auf dem Bildschirm eines Tablets (l) ist die Website des russischen Fernsehsenders RT zu sehen. Rechts ist auf dem Bildschirm eines Smartphones der offizieller Twitter-Account des ukrainischen Präsidenten Selenskyj zu sehen.

Die Website des russischen Fernsehsenders RT (l.) und der offizieller Twitter-Account des ukrainischen Präsidenten Selenskyj (r.)

Sanktionen sollten der Propaganda russischer Staatsmedien in der EU das Handwerk legen. Doch Recherchen zeigen, mit welchem Aufwand diese Sanktionen umgangen werden. 

Der weiße VW-Bus soll die Erinnerung an die russischen Kriegsverbrechen im ukrainischen Butscha wachhalten. In dem ausgebrannten und von Schüssen durchlöcherten Wagen starben im März drei Frauen und ein 14-jähriges Mädchen. Im August wurde er als Mahnmal am Kurfürstendamm in Berlin aufgestellt, umgeben von Luxusboutiquen, wo das Leben sonst so schön unbeschwert wirkt.

Florian Simonis ist einer der Besucher, die das Mahnmal anzieht. Der 31-Jährige nutzt seine Mittagspause an einem sonnigen Augusttag, um sich das Zeugnis des Leids anzuschauen. Vor dem Wrack des Wagens gerät er in eine Straßenumfrage eines Kamerateams: „Ich bin selber ziemlich ergriffen davon, was seit Februar passiert ist“, sagt er dem Reporter. Der Krieg in Europa, ausgelöst durch den russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar, lässt die wenigsten kalt. Doch Florian Simonis engagiert sich mehr als die meisten. Er spendet monatlich an Organisationen, die das ukrainische Militär unterstützen. Und er beteiligt sich im Internet am Kampf gegen russische Desinformation.

Umso verwunderter ist er zwei Monate später, als er durch Recherchen des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) erfährt, wem er ein Interview gegeben hat: Das Video wurde nicht etwa im deutschen Fernsehen ausgestrahlt, sondern in einem Telegram-Kanal mit dem vielsagenden Namen „Roter Oktober“ veröffentlicht. Einem Kanal, der lupenreine Kremlpropaganda verbreitet. Das Massaker der russischen Armee in Butscha wird dort jedenfalls gleich in mehreren Beiträgen geleugnet.

Die RND-Recherchen zeigen: Der Reporter, der Simonis für den „Roten Oktober“ befragt, ist ein Mitarbeiter des russischen Staatsmediums RT DE, das mit mehreren Propagandakanälen auf Telegram, Twitter, Youtube und Tiktok in Verbindung steht.

Scharfe Sanktionen mit überschaubarer Wirkung

Solche Propaganda wollte die EU-Kommission nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs eigentlich unterbinden. Dafür griff sie im März dieses Jahres zu einem bisher einmaligen Schritt und verhängte Sanktionen gegen mehrere Ableger der russischen Staatsmedien RT (vormals Russia Today) und Sputnik. Die Inhalte der Medien und ihrer Tochterfirmen dürfen seitdem nicht mehr in der EU gesendet oder im Internet verbreitet werden. „Außergewöhnliche Zeiten verlangen nach außergewöhnlichen Maßnahmen“, erklärte EU-Kommissionsvize Věra Jourová Anfang März. Und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte: „Wir sind Zeugen massiver Propaganda und Desinformation über diesen ungeheuerlichen Angriff auf ein freies und unabhängiges Land.“ Die ungewohnt scharfen Sanktionen gegen russische Staatsmedien sollten helfen, die russische Kriegspropaganda einzudämmen.

Wir sind Zeugen massiver Propaganda und Desinformation über diesen ungeheuerlichen Angriff auf ein freies und unabhängiges Land.
Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin

Doch so richtig will das bislang nicht funktionieren. Die Reichweite von RT DE mag sich verringert haben – so schätzte es zumindest Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang im Sommer im Gespräch mit dem RND ein. Doch statt sich zurückzuziehen, scheint das Kremlmedium Wege gefunden zu haben, die Sanktionen zu umgehen.

Das RND hat die Aktivitäten der prorussischen Desinformationsmaschine über mehrere Monate beobachtet, umfangreiches Videomaterial ausgewertet und mit Insidern und Interviewpartnern gesprochen, die sich insbesondere von RT-DE-Mitarbeitern getäuscht fühlen. Die Recherchen zeigen, welchen Aufwand Russlands Staatsmedien betreiben, um den Krieg in der Ukraine weiterhin mit aggressiver Propaganda in Deutschland zu flankieren.

Telegram als Propagandakanal

Der Telegram-Kanal „Roter Oktober“ ist das Herzstück dieser Propaganda. Der Kanal hat mehr als 36.000 Abonnenten, die einzelnen Beiträge werden im Schnitt etwa 20.000-mal angesehen. „Damit zählt der ‚Rote Oktober‘ zu den größeren prorussischen Accounts im deutschsprachigen Telegram“, sagt Josef Holnburger vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas). Der Experte hat die Reichweite des Kanals für das RND ausgewertet.

Dass Telegram für diese Propaganda das Mittel der ersten Wahl ist, kommt nicht überraschend. Auf der Messenger- und Social-Media-Plattform tummeln sich Rechtsextreme, Verschwörungsgläubige und Freunde des russischen Autokraten Wladimir Putin schon seit Jahren. Im Gegensatz zu den großen Social-Media-Plattformen unternimmt Telegram oft nicht einmal das Nötigste, um gesetzeswidrige Inhalte zu löschen.

Der „Rote Oktober“ erblickt hier am 21. April das Licht der Welt. „Flüchte mit uns aus der angepassten westlichen Medienwelt und sei offen für die andere Sicht auf das Weltgeschehen“, heißt es gleich im ersten Post. „‚Roter Oktober‘ ist eine Plattform, die aktuell, differenziert und kritisch ist.“ Mit keinem Wort wird die Nähe zum russischen Staat erwähnt.

Dafür dauert es keinen Tag, bis dort zum ersten Mal eine antisemitische Verschwörungserzählung verbreitet wird. Der US-amerikanische Investor und Philanthrop George Soros sei einer der „Strippenzieher im Ukraine-Konflikt“, schreibt der Kanal unter Berufung auf einen russischen Thinktank. Der aus Ungarn stammende Holocaust-Überlebende und Gründer der Open Society Foundations ist eines der beliebtesten Feindbilder zeitgenössischer Verschwörungsideologen.

Von „Ukros“, „Nazis“ und ukrainischen Flüchtlingen als Sozialschmarotzern

Das kommt gut an in der Szene, ebenso wie Berichte über den Verlauf des russischen Angriffskriegs aus der Kremlperspektive. Dieser Krieg heißt beim „Roten Oktober“ meist „Militäroperation“ oder „militärische Spezialoperation“ – man folgt weitestgehend den Sprachvorgaben aus Moskau. Die Berichte sind in der Regel aus russischen Telegram-Kanälen und Staatsmedien kopiert und werden für das deutsche Publikum übersetzt. Russlands Soldaten sind darin Helden und Befreier und siegen fast immerzu. Ukrainische Soldaten werden dagegen als „Ukros“ beschimpft und als Nazis oder Feiglinge präsentiert, die sich nicht um die eigene Zivilbevölkerung kümmern.

Männer gehen über eine von Granaten zerstörte Straße.

Die ukrainischen Stadt Tschernihiw nach einem russischem Beschuss im April

Auch um ukrainische Geflüchtete in Europa geht es regelmäßig. Ein Video, das der Kanal im Mai verbreitet, soll angeblich zwei ukrainische Frauen zeigen, die in einem Einkaufszentrum in Lettland Waren gestohlen haben und sich mit Verweis auf ihre Herkunft gegenüber Wachleuten herauszureden versuchen. In Fettschrift und Großbuchstaben und mit schwarz-rot-goldenen Flaggen versehen steht darunter: „An alle ukrainischen Bürgerinnen und Bürger: Kostenlos gibt es nur in Deutschland.“

In einem weiteren Video vom August ist ein senfgelber Sportwagen der Marke Lamborghini mit ukrainischem Kennzeichen zu sehen – aufgenommen offenbar in Warschau. „Für die Deutschen sind falsch geparkte Luxusautos mit ukrainischen Nummernschildern bereits ein vertrauter Anblick, aber die Polen scheinen auf die neue Realität noch nicht vorbereitet zu sein“, kommentiert das kremlnahe Medium.

Dieses Bild von ukrainischen Geflüchteten als undankbaren Schmarotzern, die bloß nach Europa kommen, um ein gutes Leben zu genießen, zeichnet der „Rote Oktober“ immer wieder. Auf einem Twitter-Account, der seit August zum Telegram-Kanal gehört, gehen die Propagandisten des russischen Staates noch weiter. „Leute, schmeißt sie doch endlich raus“, schreiben sie dort über ukrainische Geflüchtete in Deutschland. Der Tweet kommentiert einen Bericht des MDR über Konflikte mit Ukrainern bei der Weimarer Tafel. Die Aufforderung zum „Rausschmiss“ ist mit einem lachenden Freudentränen-Emoji versehen – und mit einer Frage: „Merkt ihr nicht, wie die uns ausnutzen?“

Auch ein ARD-Interviewmit der FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann in Kiew kommentiert der „Rote Oktober“ in einem Tweet: „Mensch, gebt den Ukros doch endlich die Kernwaffen. Nach einem nuklearen Holocaust muss immerhin niemand mehr die Fratze von Strack-Zimmermann ertragen ...“, heißt es dort, garniert mit drei Clown-Emojis.

Wer dahintersteckt

RND-Recherchen haben nun zahlreiche Hinweise darauf ans Tageslicht befördert, dass hinter dieser Propaganda nicht nur Sympathie für das russische Regime stecken könnte, sondern der Medienapparat des Kremls mit seinen in Deutschland tätigen Mitarbeitern. Schon die hohe Frequenz der oft aus dem Russischen übersetzten Beiträge und die Qualität der selbst gefilmten Videos deuten auf ein professionelles Team hin.

Ein Teil dieses Teams ist offenbar Dominik Reichert. Der Nachwuchsjournalist aus Mecklenburg-Vorpommern lernte sein Handwerkszeug ab 2018 bei einem lokalen Fernsehsender in Greifswald, bevor er im vergangenen Jahr bei RT DE anheuerte. Reichert arbeitet als Korrespondent und Moderator für den sanktionierten Sender. Im Sommer durfte er sogar RT-Sendungen aus dem zentralen Studio in Moskau moderieren. Zuletzt war er im November für RT DE auf der indonesischen Insel Bali, um als akkreditierter Journalist vom dortigen G20-Gipfel zu berichten.

Reicherts Arbeit für den „Roten Oktober“ blieb dagegen bislang für die Öffentlichkeit verborgen. Er war es, der Florian Simonis im August Fragen über das Butscha-Mahnmal in Berlin stellte. Und auch andere Teilnehmer solcher Straßenumfragen identifizierten Reichert später im Gespräch mit dem RND. In mehreren dieser Videos ist er außerdem kurz zu sehen – wenn sich sein Gesicht in den Sonnenbrillen von Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern spiegelt.

Auch gegenüber diesen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern verheimlichten Reichert und seine Kollegen, dass sie für ein russisches Staatsmedium arbeiten. „Sie sagten, es sei für ein Onlinejournal, einen neuen Youtube-Kanal. Was wirklich dahintersteckt, haben sie mir nicht gesagt“, erinnert sich Florian Simonis. Mehrere Interviewte sagen dem RND: Hätten sie gewusst, mit wem sie es zu tun haben, hätten sie die Fragen nicht beantwortet.

Das RND hat Dominik Reichert und RT DE um Stellungnahme gebeten. Der Sender und sein Mitarbeiter ließen die Anfrage jedoch unbeantwortet.

Live vor dem Reichstag

Neben Telegram und Twitter ist der „Rote Oktober“ auch auf Youtube vertreten. Dort veröffentlicht der Kanal auch Inhalte, die direkt aus dem Programm von RT DE übernommen wurden – allerdings ohne das Logo des Senders.

Seit September sind auf dem Youtube-Kanal außerdem regelmäßig Livestreams von Protesten gegen steigende Energiepreise und die Russland-Politik der Bundesregierung zu sehen.

Der 8. Oktober ist einer dieser Demotage. Es ist ein Herbstsamstag, an dem sich das Wetter nicht zwischen Sonnenschein und Regenschauern entscheiden kann. Die AfD hat eine Großdemonstration im Berliner Regierungsviertel angemeldet: „Nord Stream reparieren, öffnen, sichern!“, steht auf einem großen Banner, das die Partei vor dem Reichstagsgebäude aufgestellt hat. Die Demonstration soll den „Heißen Herbst“ der Rechten einläuten. Es geht gegen die Russland-Sanktionen der Bundesregierung – und für viele auch gegen die Medien. Reporter und Kamerateams von RBB, ZDF und Stern-TV werden bedrängt und angepöbelt. Immer wieder schallen den Journalistinnen und Journalisten laute „Lügenpresse“-Sprechchöre entgegen.

Auch russische Staatsmedien sind vor Ort. Eine Mitarbeiterin der staatlichen Nachrichtenagentur Ruptly filmt und streamt das Demonstrationsgeschehen. Und auch der „Rote Oktober“ ist dabei. Gleich vor der Bühne, auf der AfD-Chef Tino Chrupalla und andere Politiker der Rechtsaußenpartei ihre Reden halten, startet ein Kameramann den Livestream auf dem Youtube-Kanal des „Roten Oktober“. Laut RND-Informationen aus Insiderkreisen arbeitet dieser Kameramann schon seit Längerem für Kremlmedien in Berlin.

Gemeinsam im RT-Dienstwagen

Auch RT-DE-Reporter Dominik Reichert ist zusammen mit zwei weiteren Kameramännern unterwegs. Beide Kameraleute hatten nach RND-Informationen bereits vor Beginn des russischen Angriffskriegs Verbindungen zu RT DE. Vorm Reichstagsgebäude interviewt Reichert Chrupalla und dessen Parteifreund Stephan Brandner. Seine Reportage über den Protesttag erscheint einen Tag später auf einem weiteren Youtube-Kanal. „Gegenpol“ heißt dieser Kanal, der sich als „Nachrichtenmagazin abseits vom Mainstream“ bezeichnet. Der Verdacht, dass in Wahrheit RT DE hinter „Gegenpol“ steckt, liegt angesichts der personellen Verflechtungen nahe. Die ersten Ausgaben des vermeintlichen Nachrichtenmagazins mit kremltreuer Ausrichtung wurden von Nina Sang moderiert – die laut eigenen Angaben im Karrierenetzwerk Linkedin bis August 2022 für RT DE gearbeitet hat. In den vergangenen Jahren war Sang unter anderem als Produzentin und Korrespondentin für den Sender tätig.

Wie nahe sich „Roter Oktober“, „Gegenpol“ und RT DE sind, wird an diesem Protesttag besonders deutlich. Die vier Mitarbeiter, die Videos für die beiden Kanäle produzieren, arbeiten nicht nur zusammen und helfen sich gegenseitig mit ihrer Technik. Als die Demonstration beendet ist, steigen Reichert und die drei Kameramänner auch zusammen in einen Dienstwagen des Staatssenders, der neben einem Bundestagsgebäude geparkt ist. Zwei Tage später steht der silberne Kombi, der das RT sogar im Kennzeichen trägt, auf einem Firmenparkplatz vor der RT-DE-Zentrale im Berliner Stadtteil Adlershof.

Langjähriger RT-DE-Mitarbeiter gründet eine GmbH

Für die Propaganda im Sinne des Kremls wird offenbar noch mehr Manpower benötigt. Seit Ende Oktober sucht der „Rote Oktober“ in seinem Telegram-Kanal nach neuen Mitarbeitern, die „die Nase voll vom Mainstream“ haben, als Social-Media-Redakteure. Wer sich als Interessent bei der angegebenen E-Mail-Adresse meldet, erhält eine Antwort von Zlatko Percinic, dem Geschäftsführer der Start Your Production GmbH. Die Firma wurde erst am 29. September dieses Jahres im Handelsregister eingetragen. Als Adresse ist dort die Anschrift einer Berliner Anwaltskanzlei angegeben, die unter anderem Unterstützung bei Firmengründungen anbietet – und ihre Mandanten auch in russischer Sprache berät.

Zuletzt arbeitete Zlatko Percinic laut eigenen Angaben bei Linkedin seit mehr als vier Jahren für RT DE – seit September 2021 als „Redaktionsleitung TV“. Zuvor war er demnach bereits seit 2009 als freier Journalist für RT tätig. Auf Anfrage des RND teilt Percinic mit, die Start Your Production GmbH sei ein „privatwirtschaftliches Start-up-Unternehmen, dessen Augenmerk auf der Produktion von Content für Social-Media-Plattformen liegt“. Mit RT DE verbinde das Unternehmen nichts weiter außer seiner beruflichen Vergangenheit dort.

Angesichts der Verbindungen bleiben Zweifel an dieser Darstellung. Schon in der Vergangenheit hatten russische Staatsmedien in Deutschland eine eigene Firma gegründet, um neue Medien zu betreiben. 2018 wurde durch Medienrecherchen bekannt, dass die russische Staatsmedienagentur Ruptly hinter dem damals neuen Medium „Redfish“ steckte. „Redfish“ richtet sich an ein internationales politisch linkes Publikum – und verheimlichte seinen Zuschauerinnen und Gesprächspartnern anfangs ebenfalls, dass es zum russischen Staatsmedienapparat gehört.

Millionenreichweite auf Tiktok

Auch beim Kanal „Gegenpol“ wird gegenüber Gesprächspartnern nicht mit offenen Karten gespielt. Einige Tage nach der AfD-Demonstration berichtet Dominik Reichert zusammen mit einem Kameramann über eine Protestaktion radikaler Klimaschützer im Bundesfinanzministerium in Berlin. Aktivistinnen und Aktivisten waren in das Ministerium eingedrungen und hatten sich dort festgeklebt. Vor dem Gebäude interviewt Reichert anschließend Florian Zander. Der Geowissenschaftler ist unter anderem bei der Gruppe „Debt for Climate“ aktiv, die für die Aktion verantwortlich ist. „Mich hat ein Reporter des Youtube-Kanals ‚Gegenpol‘ um ein Interview vor dem Bundesfinanzministerium gebeten“, sagt Zander dem RND. Ihm sei kein Hintergrund des Kanals erläutert, sondern ausschließlich der Name „Gegenpol“ genannt worden. Wenn er gewusst hätte, was hinter dem Kanal steckt, hätte er sich nicht auf ein Interview eingelassen, sagt der Aktivist.

Die Reichweite der Kanäle „Roter Oktober“ und „Gegenpol“ auf Youtube ist bislang eher niedrig. Kaum ein Video erreicht fünfstellige Aufrufzahlen, bei vielen Videos bleiben sie sogar im dreistelligen Bereich. Deutlich mehr Erfolg haben die Kanäle jedoch in der besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen beliebten Kurzvideo-App Tiktok. Zwar folgen dem „Roten Oktober“ dort nur etwas mehr als 11.000 Menschen. Der Algorithmus der App ermöglicht es trotzdem, mit viralen Videos enorme Reichweiten zu erzielen. Viele der Videos wurden zehntausendfach angesehen, einige mehr als 100.000-mal. Das meistgesehene Video – ein Ausschnitt aus einer Rede der AfD-Politikerin Alice Weidel – sogar mehr als eine Million Mal. Auch das erfolgreichste Video des „Gegenpol“-Kanals wurde mehr als 800.000-mal angesehen.

Weitere Kanäle mit Verbindungen zu RT DE

Auch bei zwei weiteren auf Youtube und anderen Social-Media-Plattformen betriebenen Videoformaten zeigen RND-Recherchen Verbindungen zum sanktionierten Staatssender RT DE auf.

Schon seit Juni 2022 erscheint auf Youtube das satirische Magazin „Der Medienfuzzi“. Moderator des Formats ist Oliver Brendel, der auf eine lange Karriere vor allem bei privaten Fernsehsendern und Produktionsfirmen in Deutschland zurückblickt. Brendel verantwortete etwa Unterhaltungsshows wie „The Next Uri Geller“. Im vergangenen Jahr heuerte er dann bei RT DE als Leiter der Programmentwicklung für den damals geplanten deutschen Fernsehsender des Staatsmediums an. In „Der Medienfuzzi“ kritisiert Brendel in klamaukig-satirischem Ton deutsche Medien und Politiker, bietet aber auch kremlnahen Propagandisten wie dem deutsch-russischen Aktivisten Sergey Filbert eine Plattform.

Auf Instagram veröffentlichte Fotos von den Dreharbeiten der Sendung zeigen ein professionell ausgestattetes Studio. Das RND hat die Aufnahmen dem ehemaligen RT-DE-Mitarbeiter Daniel Lange gezeigt. Er ist sich sicher: Mindestens eines der Bilder zeige Räumlichkeiten im Studio des russischen Staatsmediums in Berlin Adlershof. Auch ein Selfie, das Brendel offenbar vor der Aufnahme einer Sendung in der Maske zeigt, sei dort aufgenommen worden, sagt Lange.

Auf eine Bitte um Stellungnahme reagierte Oliver Brendel nicht. Auch RT DE antwortete nicht auf die Frage, ob „Der Medienfuzzi“ im Berliner Studio des Senders aufgenommen wird.

Im Oktober gelang es Brendel sogar, den bekannten Journalisten Fredrich Küppersbusch als Interviewgast zu gewinnen. Von der Verbindung zu dem russischen Staatsmedium wusste Küppersbusch nichts, wie er dem RND sagt. Brendel hatte sie ihm nicht mitgeteilt.

Hinweise auf eine Verbindung zu RT DE gibt es auch beim Youtube-Videoformat „Zocken oder Zaudern“, das von Rolf Ostmann und Iris Aschenbrenner moderiert wird. In den regelmäßig vom „Roten Oktober“ beworbenen Videos geht es vor allem um Aktienhandel, Geldanlagen und Kryptowährungen – immer wieder aber auch um scharfe Kritik an der Bundesregierung. Als Experten interviewen Ostmann und Aschenbrenner etwa den Ökonomen und ehemaligen AfD-Bundespräsidentschaftskandidaten Max Otte.

Der Unternehmensberater Rolf Ostmann hatte ebenfalls bereits im vergangenen Jahr bei RT DE angeheuert – um für den geplanten Fernsehsender ein Gesprächsformat mit dem Titel „Money Talks“ zu moderieren. Auch Iris Aschenbrenner war bereits in der Vergangenheit für RT DE tätig: Einen Tag nach Beginn des russischen Angriffskriegs moderierte sie am 25. Februar eine Nachrichtensendung für den Sender. Bekannt geworden war Aschenbrenner als Schauspielerin in Scripted-Reality-Formaten und Daily Soaps im Privatfernsehen wie „Die Abschlussklasse“ und „Köln 50667″. Über ihre Arbeit für die Kölner Daily Soap sprach sie im Juli auch als Gast bei „Der Medienfuzzi“.

So wie „Roter Oktober“ und „Gegenpol“ veröffentlicht auch „Zocken oder Zaudern“ in seinen Videos in Berlin geführte Straßenumfragen. In den Videos der verschiedenen Kanäle ist dabei immer wieder ein offenbar identisches Mikrofon zu sehen.

Zweifelhafte Durchsetzung der EU-Sanktionen

Vieles spricht dafür, dass noch weitere Kanäle auf Telegram und anderen Social-Media-Plattformen von russischen Staatsmedien genutzt werden, um die Sanktionen der EU zu umgehen. Mehrere verdeckt betriebene Kanäle von SNA News (vormals Sputnik) sind bereits bekannt. Bei anderen Kanälen gibt es zumindest gewichtige Indizien dafür, dass sie von RT DE oder SNA betrieben werden.

Wie Verstöße gegen EU-Sanktionen zu bestrafen sind, ist in Paragraf 18 des deutschen Außenwirtschaftsgesetzes geregelt. Mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird demnach bestraft, wer einem bestehenden Sende-, Übertragungs- oder Verbreitungsverbot zuwiderhandelt. In der Praxis passiert das jedoch kaum. Zur Umsetzung der Russland-Sanktionen insgesamt hat die Bundesregierung im März eine Taskforce eingesetzt, die vom Bundeswirtschafts- und Bundesfinanzministerium geleitet wird.

Auf jeden Fall wird es immer schwieriger, an die Propaganda der sanktionierten Dienste heranzukommen. Nicht unmöglich, aber schwierig.
Věra Jourová, EU-Vizekommissionspräsidentin

Das Wirtschaftsministerium teilt auf RND-Anfrage mit: „Zuständig für die Verfolgung von Sanktionsverstößen sind die Staatsanwaltschaften. Sie haben einen konkreten Sachverhalt zu erforschen, sobald sie durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht eines Sanktionsverstoßes Kenntnis erhalten.“ Das Ministerium habe allerdings keine Informationen über möglicherweise bei Staatsanwaltschaften anhängige Verfahren. Auch ob Defizite in der Umsetzung des Sendeverbots bestünden, wisse das Ministerium nicht, teilt ein Sprecher mit.

Zumindest in Berlin – dem Firmensitz von RT DE – liegt der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft nicht ein einziges Verfahren wegen solcher Sanktionsverstöße vor, wie ein Sprecher dem RND mitteilt.

In Brüssel hält man die Sanktionen trotzdem für einen großen Erfolg. Ein Sprecher der EU-Kommission verweist zwar darauf, dass deren Durchsetzung Sache der einzelnen Mitgliedsstaaten sei. „Insgesamt hat sich die Umsetzung dieser restriktiven Maßnahmen als wirksam erwiesen, und die Verbreitung der betreffenden Medien wurde in der EU gestoppt“, teilt der Sprecher aber mit. Der Kommission seien lediglich Berichte über begrenzte, vorübergehende Probleme mit der Verbreitung im Internet bekannt. Und EU-Vizekommissionspräsidentin Věra Jourová sagt dem RND: „Auf jeden Fall wird es immer schwieriger, an die Propaganda der sanktionierten Dienste heranzukommen. Nicht unmöglich, aber schwierig.“

KStA abonnieren