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Verlorene VertrauensfrageFrankreich steht vor der Suche nach neuem Premierminister

4 min
Premier Bayrou wollte sich mit der Vertrauensfrage Rückenwind für seine Sparpläne holen - das ging nach hinten los.

Premier Bayrou wollte sich mit der Vertrauensfrage Rückenwind für seine Sparpläne holen - das ging nach hinten los.

Frankreichs Regierung ist erneut gescheitert. Nun braucht das schuldengeplagte Land schnell einen neuen Premier – und Macron muss sich aus der Schusslinie bringen.

Nach dem Sturz der Regierung steht Frankreich vor der Suche nach einem neuen Premierminister. Präsident Emmanuel Macron plant, noch heute den gescheiterten Premier François Bayrou zu empfangen, um offiziell den Rücktritt der Minderheitsregierung anzunehmen, wie es aus dem Élysée-Palast hieß. Bereits in den kommenden Tagen wolle Macron einen Nachfolger benennen. Da die politische Krise auch ihn selbst zunehmend unter Druck setzt und das Land vor einer neuen Welle von Streiks und Protesten steht, will der Präsident bei der Entscheidung wohl auf Tempo setzen.

Bayrou hatte am Montag in der Nationalversammlung im Streit über seinen Sparhaushalt die Vertrauensfrage gestellt und versucht, die Abstimmung mit einem Bekenntnis zum Sparen in dem hoch verschuldeten Land zu verbinden. Die versammelte Opposition aber brachte den Zentrumspolitiker nach rund neun Monaten im Amt zu Fall. Selbst aus den Reihen der konservativen Républicains, die Teil von Bayrous Mitte-Rechts-Kabinett sind, stimmten einzelne Abgeordnete gegen den Premier.

Gespaltenes Parlament erschwert Nachfolger-Suche

Staatschef Macron steht nun vor der Aufgabe, einen Premierminister zu finden, der das politisch tief gespaltene Land führen kann. Doch die Ausgangslage ist schwierig: In der Nationalversammlung stehen sich drei große Blöcke gegenüber – Macrons Liberale, das linke Lager und die Rechtsnationalen um Marine Le Pen. Keine der Gruppen verfügt über eine eigene Mehrheit. Lagerübergreifende Koalitionen, wie sie in anderen Demokratien üblich sind, gehören in Frankreich nicht zur politischen Tradition.

Das Mitte-Rechts-Kabinett verlor eine Vertrauensfrage in der Nationalversammlung krachend.

Das Mitte-Rechts-Kabinett verlor eine Vertrauensfrage in der Nationalversammlung krachend.

Einen Favoriten für das Amt des Regierungschefs gab es zunächst nicht. Medien nannten als Kandidaten den Macron nahestehenden Verteidigungsminister Sébastien Lecornu, der schon nach dem Sturz der Vorgängerregierung als Favorit gehandelt wurde. Auch die Namen von Justizminister Gérald Darmanin, Arbeits- und Gesundheitsministerin Catherine Vautrin oder von Finanz- und Wirtschaftsminister Éric Lombard fielen. 

Es wird auch als möglich angesehen, dass Präsident Macron diesmal einen Politiker auswählt, der entweder aus dem Lager der Sozialisten stammt oder zumindest von ihnen akzeptiert wird. Mit der Unterstützung der Sozialisten könnte Macrons Lager einer Mehrheit im Unterhaus deutlich näherkommen und so den Haushalt sowie weitere Gesetzesvorhaben voranbringen – vorausgesetzt, es gelingt, sowohl mit den linken Sozialisten als auch den konservativen Républicains zusammenzuarbeiten. Nach der Abstimmung wurde aus dem linken Lager betont, dass nun die Linke an der Reihe sei, zu regieren.

Macron steht unter Druck und drückt aufs Gas

Dass Macron selbst schon kurz nach der verlorenen Vertrauensfrage ankündigen ließ, rasch einen neuen Regierungschef zu ernennen, soll wohl den Druck auf ihn mindern. Denn im Zuge des letztlich erfolglosen Pokers von Bayrou war auch der Staatschef in die Schusslinie geraten - inklusive Forderungen, ihn abzusetzen. Diese wurden nach dem Votum insbesondere vonseiten der Linkspartei La France Insoumise wieder laut.

Die Linkspartei fordert nach dem Sturz von Bayrous Regierung auch den Rücktritt von Präsident Emmanuel Macron.

Die Linkspartei fordert nach dem Sturz von Bayrous Regierung auch den Rücktritt von Präsident Emmanuel Macron.

Außerdem stellte der Präsident mit der Ankündigung klar: Statt einer Parlamentsneuwahl wie sie etwa Le Pens Rechtsnationale fordern, will er es mit einem neuen Regierungschef probieren.

Als Staatschef ernennt Macron die Premierminister. Dass mit Bayrou nun bereits der zweite Premier innerhalb eines Jahres seinen Posten räumen muss, ist für ihn eine deutliche Ohrfeige – hatte er sich doch intensiv in die Sondierungen eingebracht, um eine stabile Regierung zu gewährleisten.

Protest, Streik und die Haushaltslage mahnen zu Eile

Auch von der Straße droht erheblicher Druck. Bereits kurz nach Bayrous Vorstellung seines Sparhaushalts verbreitete sich in Frankreich ein Aufruf, an diesem Mittwoch das ganze Land zu blockieren. Obwohl weiterhin unklar ist, wer hinter dem Aufruf „Bloquons tout“ (Blockieren wir alles) steckt, sind die Sicherheitskräfte in Alarmbereitschaft. Es wird mit bis zu 100.000 Protestierenden und spektakulären Blockade- und Sabotageaktionen gerechnet. Der französische Innenminister Bruno Retailleau sprach am Montagabend im Interview mit dem Sender France 2 von 80.000 Polizeikräften, die für den Tag mobilisiert werden würden.

Für den 18. September haben die Gewerkschaften zu landesweiten Streiks und Kundgebungen gegen den Sparkurs der Regierung aufgerufen. Die Proteste nehmen inzwischen Ausmaße eines Generalstreiks an. Spätestens zu diesem Termin dürfte Macron eine neue Regierungsmannschaft mit einem neuen Premier präsentieren wollen, um nicht selbst in den Mittelpunkt der Proteste zu geraten.

Auch wirtschaftlich drängt die Zeit. Das hoch verschuldete Frankreich muss dringend einen Sparkurs fahren und seine Finanzen konsolidieren. Mit einem zuletzt 5,8 Prozent hohen Haushaltsdefizit liegt das Land deutlich über dem europäischen Grenzwert von 3 Prozent. Die EU beobachtet kritisch, ob Paris seine Sparmaßnahmen nun ernsthaft umsetzt. Zögert die politische Krise zu lange, droht zudem ein Vertrauensverlust an den Finanzmärkten, was die französischen Staatsfinanzen weiter belasten würde. (dpa)