„Geile Brüste! Sind die echt?“Catcalling ist verbale Gewalt, kein harmloses Flirten

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Auf einer Straße wurde mit Kreide ein anzüglicher Spruch gemalt.

Häufig kommt ein Catcalling-Moment völlig überraschend: Eigentlich will man nur ein Eis kaufen – und dann geht es plötzlich um Brüste. 

  • Viele Frauen haben schon einmal die Erfahrung gemacht, dass ihnen auf offener Straße hinterher gepfiffen oder gerufen wurde. Oft sind es anzügliche Kommentare von Männern.
  • „Catcalling“ nennt sich diese Form der verbalen sexuellen Belästigung. Seit kurzem fordert eine Petition, Catcalling strafbar zu machen.
  • Doch was gehört eigentlich alles zu Catcalling? Wie sehr leiden Frauen darunter? Und warum gibt es immer noch so viel (männlichen) Gegenwind, wenn es darum geht, diese Form der Belästigung öffentlich zu kritisieren?

Köln – Es passiert jeden Tag. Auf der Straße, in der Bahn oder im Supermarkt wird eine Frau von irgendeinem Fremden blöd angemacht. Eine Männergruppe startet ein Pfeifkonzert oder macht Stöhngeräusche, wenn sie vorbei geht. Im Laden wird sie mit „Hey, Süße“ begrüßt oder „zum Lächeln“ aufgefordert. Im Zugabteil macht das Gegenüber eindeutige obszöne Gesten. Oder ihr wird einfach etwas hinterhergerufen – meist sind es provokative anzügliche Sätze. „Catcalling“ nennt sich diese Form der verbalen sexuellen Gewalt.

Wie heftig solche verbalen Attacken sein können, das zeigen die Berichte betroffener Frauen, wie etwa die auf dem Instagram-Kanal „catcallsofcgn“. „Geile Lippen, Lust mir einen zu blasen?“, heißt es da, oder: „Dich f*cke ich heute noch!“ – alles Sätze, die Frauen in Köln in letzter Zeit spontan auf der Straße zugerufen wurden. Die Kölner Initiatorin der Aktion sammelt seit Monaten solche Catcalling-Erfahrungsberichte und malt die Aussagen jede Woche mit Kreide gut sichtbar für alle auf den Asphalt, um auf das Thema verbale Belästigung aufmerksam zu machen. In vielen Großstädten der Welt gibt es inzwischen vergleichbare Projekte.


Projekt „EDELGARD schützt“ Das Präventionsprojekt „EDELGARD schützt“ möchte Mädchen und Frauen helfen, sich angstfreier in Köln zu bewegen. Werden sie akut belästigt oder bedroht, können sie einen „geschützten Ort“ aufsuchen, um dort zur Ruhe zu kommen und ihren nächsten Schritt zu planen. Um die 150 Geschäfte, Cafés, Apotheken, öffentliche Einrichtungen und Firmen machen mit – zu erkennen sind diese Orte am „EDELGARD schützt“-Emblem an Fenster oder Türe. Hier gibt's auch eine Karten-Übersicht.


Verbale Belästigungen können bei Frauen Scham und Angst auslösen

Catcalling ist dabei alles andere als ein Randphänomen, sondern ein Problem, das schon lange weit verbreitet ist. „Ich mache die Erfahrung, dass die meisten Frauen davon betroffen sind und schon mal Catcalling erlebt haben“, sagt Gesine Qualitz vom Frauenberatungszentrum Köln. Für viele gehöre das leider zum Alltag dazu. Das beweisen auch mehrere Studien. So haben laut einer Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Ifop zwei Drittel der deutschen Frauen bereits Belästigung im öffentlichen Raum erlebt, 43 Prozent berichten von verbalen sexuellen Beleidigungen. Besonders Frauen unter 25 Jahren sind betroffen. Auch Männer können Opfer verbaler Gewalt werden, es ist aber viel seltener.

Während es für diejenigen, die verbal belästigen, oft nur ein lustiger Spaß bleibt, ist es für die Opfer häufig eine unangenehme und manchmal sogar traumatische Erfahrung. „Frauen fühlen sich in solchen Catcalling-Momenten oft ohnmächtig und hilflos“, sagt Karina Feldmann von der Frauenberatungsstelle „FrauenLeben“ in Köln. Ihr Selbstwertgefühl leide, manche empfänden Scham und Angst. Aus Furcht vor solchen verbalen Übergriffen würden sich viele nur noch in angespannter „Hab-Acht-Stellung“ im öffentlichen Raum bewegen.

Frauen werden zum Objekt gemacht und ungefragt kommentiert

„Da passiert eine Grenzüberschreitung, die mit Herabwürdigung und fehlendem Respekt zu tun hat“, sagt auch Gesine Qualitz. Die Fremden nähmen sich heraus, den Körper der Frau zu beschreiben und zu kommentieren. „Die Frau wird hier nicht als Person gesehen, sondern als Objekt.“ Welche Auswirkungen das haben kann, beweist eine Studie der University of Melbourne. So zeigten Frauen, die zuvor von Männern als Objekt behandelt wurden, auch wenn es sich „nur“ um eine kurze Bemerkung oder ein Hinterherpfeifen handele, deutliche psychische Veränderungen.

Petition fordert, dass Catcalling strafbar wird

Auch die Fuldaer Studentin Antonia Quell hatte genug von solchen Belästigungen auf offener Straße. Sie startete jüngst eine Petition, die fordert, Catcalling strafbar zu machen. Darin heißt es: „Es ist 2020. Verbale sexuelle Belästigung sollte strafbar sein.“ Und sie fordert: „Lassen Sie uns Frauen ein legales Werkzeug zur Verfügung stellen, sich gegen bedrängende und respektlose Äußerungen zu wehren.“ Bisher haben bereits über 60.000 Menschen unterzeichnet.

In Deutschland ist verbale sexuelle Belästigung bisher nicht strafbar. Erst wenn es zu einem körperlichen Kontakt kommt, wird von einem sexuellen Übergriff gesprochen, der laut Artikel 177 StGB strafbar ist. Auch „verbale Beleidigungen“ sind verboten, allerdings greift das bei sexistischen verbalen Belästigungen oft nicht automatisch. Es gibt also tatsächlich eine Gesetzeslücke was die Ahndung von Catcalling betrifft. In anderen Ländern, wie etwa in Belgien, Portugal und den Niederlanden, ist es dagegen längst strafbar. In Frankreich wird Catcalling mit Bußgeldern von bis zu 750 Euro bestraft.


Wie können Frauen auf Catcalling reagieren? Wie Betroffene mit einem Catcalling-Moment umgehen, sei ganz individuell, sagt Gesine Qualitz. So müsse jede Frau situationsabhängig entscheiden, wie sie sich verhält. An manchen Ecken der Stadt und zu bestimmten Tageszeiten gehe sie vielleicht lieber wortlos weiter. Wenn sie sich aber stark und sicher fühle, könne sie auch klare Worte benutzen und darauf hinweisen, wie dämlich der andere sich gerade verhalte. Catcaller seien in der Regel relativ leicht zu irritieren, sagt Karina Feldmann, wenn Frau stehenbleibe und sie vehement darauf hinweise, dass dies zu unterlassen ist. Spitze sich eine Situation dann doch zu, sollte die Betroffene das direkte Umfeld um Hilfe bitten.


Männer demonstrieren durch Catcalls Macht

Dass Frauen Catcalling überhaupt als Problem sehen und echte Strafen für solche verbalen Attacken fordern, finden manche übertrieben. Gibt man bei Twitter den Hashtag #catcalling ein, findet man nicht wenige abschätzige und verharmlosende Kommentare zum Thema, vor allem von Männern. Grundsätzlich begegneten einige dem Thema mit Unverständnis, erzählt auch Gesine Qualitz. „Das mit dem Pfeifen war doch schon immer so, was ist denn jetzt plötzlich falsch daran?“, heiße es dann. Oder: „Nichtmal flirten darf man mehr!“

„Dabei geht es hier gar nicht darum, Flirten oder Komplimente zu verbieten“, erwidert Qualitz. „Wenn zwei Menschen tatsächlich miteinander in Kontakt treten oder sich besser kennen, dann freut sich ja jeder/e über ein Kompliment“. Doch Catcalling sei etwas anderes, das habe nichts mit einem ernstgemeinten Annäherungsversuch zu tun. Bei den Pfiffen und Rufen gehe es nie um echte Absichten. „Es geht darum, Macht und Dominanz zu demonstrieren.“ Manchmal wollten sich Jungs in der Gruppe auch mit solchen Aktionen gegenseitig etwas beweisen. „Aber kein Mann, der bei Verstand ist, rechnet doch wirklich damit, dass sich durch so einen Spruch tatsächlich etwas Positives ergibt.“

Pfiffe und Rufe sind weder Flirt noch Kompliment

Hier sei noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Ein Pfiff sei eben kein Kompliment. „Und nur weil das in unserer Gesellschaft schon lange verankert ist, ist es nicht in Ordnung“. Den Unterschied zwischen Kompliment und Belästigung könne man eigentlich leicht erkennen: „Ein Kompliment ist eine wertschätzende Rückmeldung zu mir als Person, die respektvoll und auf Augenhöhe passiert.“ Bei einem Kompliment würden die Grenzen der anderen Person gewahrt bleiben, sagt auch Karina Feldmann. „Wenn die Frau kein Interesse zeigt, wird derjenige, der das Kompliment gemacht hat, mit Rückzug reagieren oder sich vielleicht sogar entschuldigen. Männer, die catcallen, setzen dagegen oft noch einen drauf, beleidigen die Frau und lachen sie aus.“

Petition rückt Catcalling ins öffentliche Bewusstsein

Ob die Petition Erfolg hat und Catcalling wirklich strafbar wird, das wird sich noch zeigen. Falls das Gesetz kommt, ist es auf jeden Fall unabdingbar, einen guten Maßnahmen-Katalog zu entwickeln, um einen Catcalling-Fall dann auch angemessen dokumentieren und beweisen zu können. „Das wird sicher eine Herausforderung“, sagt Qualitz, „hier sollte man unbedingt schauen, welche Erfahrungen die Nachbarländer damit gemacht haben.“

Auch jetzt schon habe die Petition aber auf jeden Fall Signalwirkung. „Sie kann dabei helfen, dass die Gesellschaft mittelfristig einen ganz anderen Umgang mit der Problematik findet“, sagt Gesine Qualitz. „Die Petition ist ein klares politisches und juristisches Signal, dass verbale sexuelle Belästigung nicht Normalität sein darf“, findet auch Karina Feldmann, „und dass Frauen und Mädchen in der Öffentlichkeit davor besser geschützt werden müssen.“

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