Konfliktherd FamilientischEltern wünschen sich Harmonie und Manieren, Kinder Nudeln ohne alles

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Ein Junge steckt trockene Spaghetti in den Mund.

Am Familientisch geht es oft hoch her. Damit haben Eltern meist ein Problem.

Nimm das Messer! Bleib sitzen! Iss auf! Kinder hören dauernd Parolen am Tisch. Geht das auch anders? Eine Familientherapeutin gibt Tipps.

Wohl kaum ein Ort birgt so viel Konfliktpotential wie der Familientisch. Hier wird diskutiert und gestritten – über Manieren, Haltungen und einseitige Essvorlieben. Gar nicht so schlimm, sagt Familientherapeutin Christine Ordnung, solange Eltern die richtigen Dinge im Blick behalten. Ein Gespräch.

Weshalb ist der Esstisch so ein wichtiger Ort für die Familie?

Christine Ordnung: Der Esstisch ist der Platz, an dem die Familie zusammen kommt. Hier treffen zwei lebenswichtige Dinge aufeinander: Essen und Beziehung. Beides läuft oft ganz intuitiv ab, bietet aber auch viel Angriffsfläche.

Das heißt, hier kann auch viel aus dem Ruder laufen?

Spricht man mit Menschen über Mahlzeiten mit der Familie, haben alle viel zu erzählen. Man hört dann oft viele lustige Anekdoten, aber eben auch schmerzhafte Geschichten. Die Atmosphäre am Tisch spiegelt auch immer die Stimmung in der Familie wider. Wenn es Spannungen gibt, landen die auch auf dem Tisch.

Warum gerade dort?

Weil die Familienmitglieder hier auf engem Raum zusammen kommen und einander ein Stück weit ausgeliefert sind. Was dort ausgesprochen wird, so wie sich dort verhalten wird, kommt bei allen an. Der Esstisch ist der Motorraum der Persönlichkeitsentwicklung – für Kinder, aber auch für Eltern.

Eltern wünschen sich am Tisch dagegen meist Harmonie. Warum?

Das hat viel mit dem heutigen Lebensdruck von Eltern zu tun. Ein friedliches, harmonisches Essen gilt als Symbol für eine erfolgreiche Familie. Da spielt auch selbst gekochtes, liebevoll zubereitetes Essen eine Rolle. Unbewusst erhoffen sie sich für all die Anstrengung eine Art Belohnung, nämlich, dass alle fröhlich und friedlich am Tisch sitzen, ordentlich mitessen, sich gut benehmen, man es „schön“ hat. Es wird eine Art Rechnung aufgemacht. Und genau das geht oft schief. Der Gedanke, ein Essen perfekt gestalten zu wollen, steht eigentlich nur im Weg.

Familientherapeutin und Autorin Christine Ordnung

Christine Ordnung wurde von Jesper Juul zur Familientherapeutin ausgebildet und gründete 2010 auf dessen Impuls hin das Deutsch-Dänische Institut für Familientherapie und Beratung (ddif) in Berlin. Seit 2008 begleitet und berät sie Familien und Pädagogen.

Oft haben die Auseinandersetzungen mit Manieren zu tun …

Wir Eltern sind immer wieder verleitet, jede Menge Erziehung am Tisch unterzubringen, mit den Kindern Benehmen zu üben. Und es ist nur verständlich, wenn die Kinder keine Lust haben, in diesem Übungssetting zu agieren, kontrolliert und belehrt zu werden. Zum Glück machen das viele Kinder heute nicht mehr einfach so mit. Das ist doch eine wertvolle Rückmeldung für die Eltern.

Welche Erwartungen haben Kinder denn an ein Familienessen?

Spannend! Vielen Eltern wird es schwerfallen, diese Frage zu beantworten. Ich denke, da geht es oft viel um Nähe und Kontakt und weniger um Vitamine und Etikette. Vielleicht ist es auch gar nicht so wichtig, was auf dem Teller liegt. Kinder leben sehr im Moment und zeigen durch ihr Verhalten, wie es ihnen gerade geht. Dazu gehört auch, ob sie das Essen mögen oder nicht. Das ist für Eltern nicht immer einfach.

Wissen Eltern überhaupt, welche Dinge sie sich am Tisch wirklich wünschen?

Viele wiederholen das, was sie selbst in der Kindheit erlebt haben, oft ungewollt. Dann rutscht ihnen am Tisch plötzlich ein „setz dich ordentlich hin!“ heraus oder „hört auf zu schmatzen, das ist respektlos!“ Eine scharfe Botschaft. Denn Kinder haben großen Respekt vor den Eltern – wird ihnen unterstellt, sie würden das absichtlich beschädigen, tut ihnen das sehr weh. Häufig erschrecken Eltern nachträglich über ihr eigenes Verhalten. Vieles lernen sie erst über sich, wenn sie mit den eigenen Kindern am Tisch sitzen. Sie sollten deshalb den Scheinwerfer weniger auf die Kinder, sondern eher auf sich selbst richten und sich fragen: Mit welcher Stimmung sitze ich eigentlich am Tisch – und was löse ich damit aus? Und dann überlegen, welche Regeln ihnen selbst wichtig sind.

Und wie können sie ihren Kindern diese Regeln vermitteln?

Zum einen tun sie das, indem sie es durch ihr eigenes Verhalten am Tisch vorleben. Oft sprechen Eltern ihre Erwartungen nicht klar aus, sondern deuten nur an und reagieren genervt auf die Kinder, wenn es nicht klappt. Ich rate dazu, mit Kindern ganz offen zu sprechen. „Mir ist es wirklich unangenehm. Ich kann das Schmatzen ganz schlecht hören. So eine bin ich. Kannst du damit aufhören?“

Verstehen Kinder das?

Der Unterschied ist die Ansprache, dass es hier nicht um allgemeine Benimmregeln geht, sondern um ein persönliches Anliegen. Allen Beteiligten am Tisch soll es gut gehen. Allerdings empfehle ich, solche Gespräche abseits des Familienessens zu führen. Dann muss am Tisch nicht mehr ständig ermahnt werden.

Und Kinder erinnern sich am Tisch an die Wünsche der Eltern?

Eltern sollten vertrauen, dass sie es zumindest probieren. Jesper Juul sagte immer: „Jeder in der Familie versucht sein Bestes zu tun, es gelingt aber eben nicht immer.“ Die Ursachen können auch woanders liegen. In der Art, wie ein Kind isst, zeigt es auch, wenn es mit sich und der Welt unzufrieden ist. Manchmal hat es am Ende eines langen Tages schlichtweg keine Energie mehr, das Messer richtig zu halten. Dafür sollten Eltern Verständnis haben und nicht weitere Appelle abfeuern.

Was, wenn Kinder partout nicht am Tisch sitzen bleiben wollen?

Familie ist der Ort, an dem sich jeder wünschen darf, was er will. Das bedeutet aber nicht, dass alle kriegen, was sie wollen. Das gilt auch für Erwachsene. Was verhindert, dass ein Kind am Tisch sitzen bleibt? Manche sind einfach noch zu klein, um sitzenbleiben zu können, für andere ist Essen in dem Moment einfach nebensächlich, weil sie lieber spielen wollen.

Oder der Teenager will lieber weiter am Handy texten …

Natürlich gibt es im Leben Jugendlicher Dinge, die vielleicht gerade wichtiger sind als das Familienessen. Das sollten Eltern nicht persönlich nehmen. Sie müssen vertrauen, dass die 14-jährige Tochter am Tisch mitisst, so gut es ihr eben möglich ist. Ein Teenager hat bis dahin so viele Jahre die Werte der Eltern erlebt – dann trägt es sie auch jetzt in sich. Eltern dürfen ihr Kind aber immer wieder herzlich an den Tisch einladen und zeigen, dass sie die Zeit mit ihm genießen.

Wie können Eltern damit umgehen, wenn Kinder immer das Gleiche essen wollen?

Wenn Kinder nur ein Gericht essen, etwa Nudeln, kann es dafür viele Gründe geben, zum Beispiel, dass es sich mit Nudeln einfach wohlfühlt. Vielleicht gibt es aber in seinem Leben auch so viele andere Baustellen, dass es ihm hilft, an den Nudeln festzuhalten, um es sich hier einfach zu machen. Wenn Eltern Angst haben, dass das Kind Mangel erleidet, können sie das beim Arzt abklären. Sonst sitzt die Angst immer mit am Tisch. Ein Kind, das immer Nudeln isst, tut das auf jeden Fall nicht, um die Erwachsenen zu ärgern. Die verstehen es aber oft so.

Und sie würden vielleicht selbst gerne mal wieder anderes als Kartoffelbrei kochen …

Warum tun sie es nicht? Eltern brauchen nicht zurückzustecken, sondern sollten das kochen, was sie gern wollen und dabei mit so wenig Aufwand wie möglich die Vorlieben der Kinder mitdenken. Ältere Kinder lernen den Kartoffelbrei auch selbst zuzubereiten. Dann fühlt es sich auch nicht mehr an wie eine Extrawurst.

Buchtipp: Christine Ordnung/Georg Cadeggianini: „Familie am Tisch. Für ein neues Miteinander – beim Essen und darüber hinaus“, Kösel Verlag, 208 Seiten, 18 Euro

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