Jesper Juul„Die Mahlzeit ist nicht der richtige Ort, seine Kinder zu erziehen“

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Das Essen ist auch ein „Symbol für das Engagement, die Liebe und die Fürsorge der Eltern“, sagt Jesper Juul.

Einfach mal gemütlich essen, zusammensitzen, quatschen. So stellen wir uns ein Essen mit der ganzen Familie vor – mit Mama, Papa und den Kindern. Auf Fotos in Magazinen und in Werbeclips kommt das immer wunderbar entspannt rüber. Meist sieht das in der Praxis aber ganz anders aus.

Da kommt ein Elternteil erst später dazu, weil es noch einen Termin hatte, da rufen die Kleinen „Baaah, das sieht ja eklig aus“, es kippt Apfelschorle um, das Telefon klingelt – und zwischen Hauptgang und Nachspeise muss eins von zwei Kindern noch eben einen Ball gegen die Wand pfeffern, während das andere mit dem Stuhl kippelt… Ach, und da kam doch auf dem Handy gerade auch noch eine WhatsApp…

Haben wir es verlernt, das Essen in der Gemeinschaft wertzuschätzen? Und falls ja, wäre das schlimm? Erziehungsexperten sind sich in dieser Sache erstaunlich einig: das gemeinsame Essen am Tisch sei von bedeutender Wichtigkeit für eine Familie. Familientherapeut Jesper Juul hat dem Thema darum nun ein ganzes Buch gewidmet: „Essen kommen – Familientisch – Familienglück“.

Es geht um Stress mit den Kindern am Esstisch, um die Eltern als „Gastgeber“ und um das gemeinsame Essen als „Salz in der Suppe guter Beziehungen“. Auch Tischmanieren und Konflikte rund um die Mahlzeiten kommen zur Sprache: Was, wenn ein Kind nichts mag oder wenn es Probleme mit Übergewicht hat?

Stress mit den Kindern am Esstisch

Juul mag die Formulierung „Stress am Esstisch“ nicht, weil sie den Mahlzeiten „die Poesie nimmt“, schreibt er in seinem Buch. Und weil sie den Erwachsenen suggeriert, dass das gemeinsame Essen Konflikte enthält, die nicht auftreten sollten. Es gebe eben manche Mahlzeiten, die von Wiedersehensfreude und Harmonie geprägt seien – und andere, bei denen „der Deckel hoch vom Topf mit den eingemachten Konflikten“ fliegt.

Beide seien aber wichtig, weil sie zeigten, dass die Anwesenden einander etwas bedeuten. Und weil sich Gefühle und Beziehungen so offenbarten, wie sie in Wirklichkeit seien. Ohne das gemeinsame Essen würde diese Erkenntnis niemals auf den Tisch kommen – egal ob gut oder schlecht. Sie bleibe in Erinnerung.

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Die Eltern als Gastgeber

Die Eltern tragen in Juuls Augen die Verantwortung für die eigene Ernährung – und für die Ernährung ihrer Kinder. Die Eltern sind es also, die entscheiden, was eingekauft und in welchen Mengen es den Kindern zur Verfügung gestellt wird.

Die Eltern tragen seines Erachtens aber eben auch die Verantwortung für den „Umgangston, die Stimmung und das gute Klima in der Familie“. Essen sei ein „Basisbedürfnis“ und könne als Anlass dazu genommen werden, für das eigene und das Glücksgefühl der Kinder zu sorgen.

Essen: Das „Salz in der Suppe guter Beziehungen“

Viele würden ja vielleicht gern mehr selbst kochen, aber die Zeit wird zu einem immer größeren Problem. Die fehlende Zeit. Juul zitiert eine Studie, die besagt, dass nur noch 39 Prozent der Menschen sich täglich an den Herd stellen. Es quäle ihn, schreibt Juul, dass immer mehr junge Menschen zu Fertig- oder Halbfertigprodukten und Fast Food griffen und dass sich viele nicht mehr um die Qualität von Lebensmitteln scherten.

Es sei an uns, Kinder wieder mehr mit einzubeziehen, ihnen zu vermitteln, was gesund ist, und natürlich auch Ausnahmen zu genehmigen. Aber Kinder liebten Einkaufen und Kochen, da könne man ihnen ganz wunderbar den Unterschied zwischen einer knackigen saftigen und einer halb verschrumpelten holzigen Möhre vorführen.

Die Küche sei hierbei das Herzstück des Hauses, schriebt Juul. Hier dufte es nicht nur gut, hier werde auch Nahrung aufgenommen und Beziehung gelebt. 

Aber braucht es für solche Erkenntnisse wirklich ein ganzes Buch? Nun, die Zeiten haben sich geändert. Wer sich vor einer Generation Tiefkühlpizza fürchtet, der möge sich hier Anregungen holen, wie es besser laufen könnte. Und das ganz ohne Zeigefinger, sondern mit dem einfühlsamen Blick eines Erziehungsexperten, der in etlichen Familien gesehen hat, welchen Unterschied es macht, ob eine Familie Wert auf das gemeinsame Essen legt – oder nicht.

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