Kölner Hebamme„Jede Kollegin muss gerade drei vier Schwangeren pro Tag absagen“

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Heidi Bernard ist Hebamme und Teil des Leitungsteams der Elternschule „Neue Kölner“.

Köln – Eine Schwangerschaft ist an sich bereits eine große Sache. Erst recht aber mitten in einer Pandemie. Hebamme Heidi Bernard ist Mitglied des Leitungsteams der Elternschule „Neue Kölner“ und erlebt jeden Tag, mit welchen Herausforderungen werdende und frischgebackene Eltern seit Corona zu kämpfen haben. Wie schwierig ist der Alltag für Schwangere in der Corona-Zeit? Heidi Bernard: Einer der schwierigsten Punkte für werdende Elternpaare ist es, dass die Väter bzw. die Co-Mütter in weiten Teilen aus der Schwangerschafts-Vorsorge verbannt sind, sie dürfen oft nicht an den Vorgesprächen und Ultraschall-Untersuchungen teilhaben. Dabei ermöglichen gerade diese Termine den Partnern und Partnerinnen, näher am Geschehen dran zu sein. Das ist für alle schwierig. Besonders Erstschwangere leiden darunter, überall alleine hingehen zu müssen.

Sind Frauen, die das erste Mal schwanger sind, besonders belastet in dieser Zeit?

Ja, unbedingt. Viele sind im Beschäftigungsverbot und haben sehr viel Zeit, aber weniger Möglichkeiten, etwas zu unternehmen und Kontakte im Umfeld aufzubauen. Manche Schwangere sind isoliert und einsam. Man merkt es den werdenden Müttern an, wie sehr es ihnen fehlt, sich zu treffen und auszutauschen.

Dafür sind sonst eigentlich auch Schwangeren- und Baby-Kurse da. Wie setzen Sie das seit Corona in der Elternschule um?

Wir bei „Neue Kölner e.V.“ versuchen, den Frauen und Paaren zu ermöglichen, sich über Onlinekurse zu vernetzen. Das ist besonders in der Geburtsvorbereitung wichtig. Und die Teilnehmer arrangieren sich damit und haben meiner Erfahrung nach keine Berührungsängste. Unsere Kurse sind gerade alle ausgebucht.

Natürlich ist manches anders. Auch hier gibt es Herausforderungen was die Datenschutzregelungen betrifft, weil zum Beispiel Babys nicht im Bild zu sehen sein dürfen. Aber es ist schön zu beobachten, wie sich die Frauen und Männer auch nach der Stunde noch im Video-Rahmen zusammen aufhalten und austauschen. Auch WhatsApp-Gruppen spielen eine große Rolle.

Während des ersten Lockdowns war es für uns eine Herausforderung, die Kurskonzepte online-kompatibel zu machen. Zwischenzeitlich haben wir auch Kurse vor Ort gemacht, bei denen man die Sicherheitsabstände gut einhalten konnte. Aber wir sehen uns da auch in der Verantwortung, nicht unnötig etwas zu machen, das einem Infektionsrisiko Vorschub leistet. Vor Ort können wir deshalb im Moment nur Termine mit Eins-zu-Eins-Betreuung durch eine Hebamme anbieten.

Was sind die größten Sorgen der werdenden Mütter in Bezug auf die Geburt?

Weil sich die Sicherheitsvorkehrungen in den Kreißsälen ständig wieder verändern, wissen viele werdende Mütter nicht, wie sich die Geburt gestalten wird. Sie leiden unter der Ungewissheit. Viele haben Sorge, dass sie unter der Geburt lange alleine gelassen werden.

In den meisten Kliniken dürfen die Begleitpersonen auch bei der Geburt dabei sein, aber der Zeitpunkt ist sehr unterschiedlich. Ob der Partner oder die Partnerin dazu gelassen wird, hängt unter anderem davon ab, wie weit der Geburtsfortschritt ist und wie stark die Wehen sind. Da wird viel experimentiert. Manche Kliniken sagen, sobald eine Frau psychisch und körperlich belastet ist, darf der Partner dazu kommen. Ich finde das insgesamt sehr problematisch. Denn Geburten können nur dann gut laufen, wenn sie erstens störungsfrei und zweitens in einem Umfeld stattfinden, in dem sich die Frau gut aufgehoben fühlt.

Wie sind derzeit die Regeln bei Geburten im Severinsklösterchen?

Im Klösterchen versuchen sie wirklich, ein normales Setting hinzukriegen. Bei den Frauen wird zunächst ein PCR-Test gemacht und auch der Partner darf bei der gesamten Geburt dabei sein. Dabei wird darauf geachtet, dass sich die Paare im Kreißsaal oder Zimmer aufhalten und es keine Ballung gibt. Und die Zahlen beweisen, dass es funktioniert. Es gab bisher keine einzige Corona-Infektion im Kreißsaal.

Im Klösterchen dürfen die Partner auch die Tage nach der Geburt jeweils den ganzen Tag da bleiben. Das spielt natürlich für die Erstgebärenden eine immens wichtige Rolle.

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Und wie ist die Situation für Paare, die bereits Kinder haben?

Vor allem die Mehrgebärenden sind unter Zugzwang, denn sie müssen vorplanen und schauen, wer in der Zeit der Geburt auf ihre älteren Kinder aufpasst. Manche lassen ihre Kinder vorher einen Schnelltest machen oder begeben sich in freiwillige Quarantäne, damit die Großeltern dann unproblematisch auf das Geschwisterkind aufpassen können.

Vor allem wenn das Baby da ist, ist es für die Familie eine große Herausforderung. Denn in keiner Klinik dürfen Geschwisterkinder reinkommen. Die Mutter kann höchstens mit dem Neugeborenen vor die Tür gehen, damit die Geschwister sich kurz kennenlernen. Das ist aber nicht so entspannt, zumal im Winter. Auch für die kleinen Geschwister ist es schwierig, wenn Mama dann sofort wieder verschwindet. Gut ist da natürlich, dass heute digital so viel möglich ist und die Geschwister das Baby schon einmal über Video sehen und mit der Mama sprechen können.

Wie finden die Paare es, dass auch Baby-Besuche in der ersten Zeit ausfallen?

Die Neugeborenen profitieren sogar davon, dass kein Besuch kommt. Meine Kolleginnen auf der Wochenstation berichten, dass die Kinder total entspannt sind. Denn wenn ständig die Tür auf und zu geht, ist das für Babys ja eine totale Reizüberflutung.

Und es ist ja auch so: Zuhause mit einem Neugeborenen ist man ja sowieso im Lockdown. In der allerersten Zeit wünschen sich die meisten Paare auch, dass Ruhe einkehrt. Manche werdenden oder neuen Eltern empfinden das sogar als gewisse Entlastung, dass sie sich nicht rechtfertigen müssen, wenn sie zunächst nicht so viel Besuch haben wollen, sie können sich besser abgrenzen. Wenn sie die wichtigsten Bezugspersonen einbeziehen wollen, dann sichern sich die Familienmitglieder oft mit Hilfe von Schnelltests ab.

Kriegen Mütter nach der Geburt auch in Corona-Zeiten die nötige Hilfe?

Ja, Hebammen sind in der Wochenbett-Betreuung vor Ort weiterhin sehr aktiv. Sie tragen natürlich Maske und achten auf die Wünsche der Paare. Aber da scheinen die Frauen im Moment gut versorgt. Allerdings sieht es für den Sommer anders aus, da ist es von den Anfragen her eine Katastrophe. Jede Kollegin von uns muss drei vier Frauen pro Tag absagen. Viele Frauen sind verzweifelt.

Was können Schwangere tun, wenn sie keine Hebamme finden?

Wir haben seit Jahren hier in der Elternschule eine Wochenbettambulanz, wo Frauen, die keine Hebamme gefunden haben, nach der Geburt Hilfe und Betreuung bekommen können. Das wird auch kontinuierlich angenommen. Der Nachteil ist, dass die Frauen in dem Fall zu uns ins Haus kommen müssen, was direkt nach der Geburt schon eine Herausforderung bleibt. Aber es gibt schon viele Themen, die bei der Hebamme besser aufgehoben sind als beim Gynäkologen oder Kinderarzt.

Aktuell arbeiten wir an einem Projekt mit dem Namen „Kölner Wochenbett“. Die Idee dahinter ist, dass wir in kleinen Teams gewährleisten möchten, dass möglichst viele Frauen im Kölner Stadtgebiet auch zuhause besucht werden und ihre häusliche Wochenbett-Betreuung bekommen. Wir sind zuversichtlich, dass wir das Projekt im Laufe des Jahres gut vorangetrieben bekommen.

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