Abo

Das Beste aus 2023Mein Mann und ich leben wie in einer WG, das macht mich traurig

Lesezeit 4 Minuten
Eine Frau und ein Mann sitzen an einem Tisch. Die Frau schaut aus dem Fenster, der Mann in eine Zeitung.

Wie in einer Zweckgemeinschaft: Wenn Partner sich zurückziehen, gilt es, sich gegenseitig neu zu entdecken.

Nach vielen Ehejahren gleicht die Paarbeziehung einer Zweckgemeinschaft. Wenn Partner sich zurückziehen, heißt es, sich wiederzuentdecken.

Mein Mann und ich sind seit 16 Jahren zusammen. Wir haben eine 14 Jahre alte Tochter und einen zwei Jahre jüngeren Sohn. Mein Mann arbeitet viel und ist oft nicht ansprechbar. Es gibt kaum noch schöne Momente zwischen uns. Unsere Tochter zieht sich immer mehr in ihr Zimmer zurück. Mit unserem Sohn habe ich den besten Kontakt. Die Stimmung ist eher wie in einer Wohngemeinschaft. Das macht mich oft sehr traurig.“ (Mirjam, 46)

Sie beschreiben eine Situation, die mit Sicherheit alle in der Familie sehr belastet. Sie selbst vermissen den Austausch mit ihrem Mann, seine Aufmerksamkeit und seine Zuwendung, das leichte und unbeschwerte Miteinander, das Paare haben, wenn sie sich kennenlernen, keine Kinder und keine gemeinsamen Verpflichtungen haben. Offenbar spüren alle in der Familie die angespannte Stimmung. Ihre Tochter macht es ähnlich wie Ihr Mann. Sie zieht sich zurück. Ihr Sohn sucht Ihre Nähe, sehr wahrscheinlich nimmt er Ihre Not und Ihre Traurigkeit wahr.


Dieser Text gehört zu unseren beliebtesten Inhalten des Jahres 2023 und wurde zuerst am 3. Februar veröffentlicht. Mehr der meistgelesenen Artikel des Jahres finden Sie hier.


Wie es Ihrem Mann wirklich geht, ist schwer zu sagen. Dass es ihm gut geht, ist nicht so wahrscheinlich. Auf jeden Fall hat er sich in Ihren Augen dafür entschieden, sich zurückzuziehen. Das kann verschiedene Gründe haben: Vielleicht hat er sich mit der Situation arrangiert. Vielleicht hat er auch resigniert mit dem Gefühl, „ich kann nichts machen“. Vielleicht ist es auch so, dass er selbst Kritik an Ihrem Verhalten hat und gleichzeitig Angst, sich mit Ihnen auseinanderzusetzen. Möglicherweise ist er ebenso traurig ist wie Sie und weiß auch nicht, wie er den „Knoten“ lösen kann.

Wann ist die Liebe auf der Strecke geblieben?

Es ist für die ganze Familie hilfreich und wichtig, dass Sie und Ihr Mann auf Ihre Paarbeziehung schauen. Dass Sie überprüfen: Was ist mit uns passiert? Wann ist die Liebe auf der Strecke geblieben? Und: Ist sie nur verschüttet, oder ist sie weg? Vielleicht können Sie zunächst auf die „Habenseite“ schauen: Sie und Ihr Mann haben sehr viel gemeinsam geschafft. Sie sind seit 16 Jahren ein Paar, haben zwei Kinder im jugendlichen Alter und sind sicher auch schon miteinander durch schwierige Zeiten gegangen. Das schaffen nicht alle Paare.

Und dann ist die Frage, an Sie beide: Was fehlt? Sind es gemeinsame schöne Momente, ist es der wertschätzende, anerkennende, begehrende Blick des Partners oder der Partnerin? Und: Können wir das wieder „ausgraben“? Können wir lernen, miteinander zu reden – ohne Vorwürfe? Sind Sie wieder neu neugierig auf das, was Ihr Partner erzählt? Und umgekehrt? Welche Schätze beim anderen, bei sich selbst, in der Beziehung sind unentdeckt und unbekannt und können geborgen werden? Und: Ist es möglich, das gemeinsam zu erforschen, oder brauchen Sie eine dritte, neutrale Person, die Ihnen dabei hilft, festzustellen, wo Sie stehen?

Wenn Sie sich miteinander beschäftigen und auseinandersetzen, ist das auch der Schlüssel, um die Last von Ihren Kindern zu nehmen. Auch wenn es keinen offenen Streit zwischen Ihnen gibt, Kinder spüren ganz genau die Atmosphäre, die in der Luft liegt. Möglicherweise für Ihren Sohn sogar mehr. Er versucht etwas zu heilen und aufzufangen, was er nicht kitten kann. Er möchte etwas tun, damit es besser wird. Das ist überfordernd für ihn, weil es nicht in seiner Hand liegt.

Auch wenn es nicht einfach wird und viel Kraft kostet: Wichtig für alle ist, dass Sie es so nicht weiterlaufen lassen und Ihr Mann mit ins Boot kommt. Wenn Sie wieder miteinander im Austausch sind, kommt wahrscheinlich auch Ihre Tochter wieder häufiger aus ihrem Zimmer.


Unser Team von Expertinnen und Experten beantwortet Ihre Fragen. Die Psychotherapeuten Désirée Beumers, Carolina Gerstenberg und Daniel Wagner sowie die Diplom-Psychologinnen Elisabeth Raffauf und Katharina Grünewald sind versiert in der Beratung rund um Liebe, Beziehung und Partnerschaft. Der Urologe Volker Wittkamp kennt sich mit allem aus, was Liebe mit unserem Körper macht – und umgekehrt. Schreiben Sie uns, was Sie in der Liebe bewegt! Ihre Zuschriften werden anonymisiert weitergegeben. Schicken Sie Ihre Frage an: in-sachen-liebe@dumont.de

KStA abonnieren