Leben mit CoronaWann kommt Tom Cruise zur Kinderbetreuung?

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Homeoffice dpa neu

Arbeitnehmerinnen dürfen Notebooks vom Arbeitgeber auch außerhalb der Arbeitszeit steuerfrei benutzen.

  • Die Corona-Krise kommt mit drastischen Maßnahmen: Schulen und Kitas sind fünf Wochen geschlossen.
  • Für Eltern beginnt damit nun eine lange, schwierige Zeit zwischen den Stühlen.
  • Ein persönlicher Erfahrungsbericht von unserer Redakteurin zwischen Zuversicht und Schnapspralinen.

Köln – Ich warte auf Tom Cruise. Ich erwarte eigentlich stündlich, dass er an einem Helikopter hängend in einem Spezial-Schutzanzug mit Atemmaske an unserem Balkon vorbeischwebt. Die Rotorblätter rattern und er schreit: „Ich komme zur Kinderbetreuung. Ziehen Sie den Kleinen die Schutzanzüge über und dann geht es raus auf den Abenteuerspielplatz.“ Hollywood, Aliens, Katastrophenstreifen, Science-Fiction-Drama. Aber es ist einfach nur der Alltag in der Krise. Ab kommender Woche haben alle Schulen und Kitas geschlossen. Fünf Wochen lang. Drei Kinder zu Hause. Und wir müssen arbeiten. Einen Helden am Heli könnten wir jetzt wirklich gut gebrauchen.

Aber in Wirklichkeit wird er natürlich nicht kommen. Zu Hause sitzen eine 15-Jährige, ein Zehnjähriger und ein Dreijähriger. Schulen zu, die Tagesmutter darf auch nicht arbeiten. Wir beide weder bei der Feuerwehr, noch im Gesundheitssektor tätig. Nur Journalisten. Das Fußballtraining fällt auch aus, genauso wie das Kinderturnen. Nicht einmal Bolzplatz, Krabbelgruppe mit den Nachbarskindern oder teeniemäßiges Abhängen an der Bushaltestelle können wir guten Gewissens erlauben. Dann hätten die Kinder ja irgendwie auch auf dem Schulhof oder bei der Tagesmutter bleiben können.

Bügelperlen, Ohropax, Schnapspralinen

Es hat eigentlich noch nicht einmal angefangen. Es ist noch Wochenende. Und dennoch sitzen wir mit tausend Fragezeichen, Sorgenfalten und im Spielzeugchaos zu Hause. Eine befreundete Mutter schreibt, was ich mir für die nächsten Wochen notfallmäßig auf jeden Fall noch hamstern müsste: Bügelperlen, Ohropax, das Buch „Erziehung ohne Gewalt“, Ausmalposter, Schnapspralinen. Eine andere schreibt nur: „Ich weiß gar nicht, wie das alles gehen soll.“

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Kurzfristig erhellt sich die Lage, als die Stadt in einer Mitteilung schreibt, dass die Übergangstage nicht nur für Schulen, sondern auch für Kindertagesstätten und Tagesmütter gelte. Ich schreibe meinem Chef, dass ich Montag und Dienstag noch normal einsatzbereit sei. Und dann am Abend die Zweifel: Die Tagesmutter schickt eine Vorschrift von der Stadt, nach der die Tage Montag und Dienstag nur dafür dienen könnten, es den Feuerwehrleuten und Krankenpflegern zu erleichtern, an die Arbeitgeberbescheinigungen zu kommen. Für alle anderen sollte es gar keine Übergangsregelungen geben. Ich bereue, die Sache mit den Schnapspralinen nicht ernster genommen zu haben.

Ich gehe einkaufen mit dem Jüngsten und der Ältesten. Auf den Straßen im Belgischen Viertel ist alles weitgehend normal. Menschen sitzen in den Cafés, manche auf den Blumenrabatten. Sie öffnen Flaschenbier. Ich habe den Eindruck, dass heute die Vögel besonders laut zwitschern. Im Supermarkt dann tatsächlich die Leere, von der schon so viele redeten: Keine Kartoffeln mehr, kein Hühnerfleisch, kein Rind, nur noch Reste vom Schwein. Keine Bio-Eier. Ich kaufe Brokkoli und Pak Choi, weil das außer Sellerie, Roter Beete und ein paar Tomaten das einzige Gemüse ist, das noch zu haben ist.

Cocooning mit Erdbeer-Vanille 

Ich will nicht rumjammern. Und auch keine Panik schieben. Es ist alles nur eine vorbeugende Maßnahme. Und wir werden ganz sicher auch in den kommenden Wochen alle satt werden. Aber: Das Gefühl, dass es sich hier um eine noch nie dagewesene Ausnahmesituation handelt, ist eben nicht nur ein Gefühl.

Ich reiße mich zusammen. Kaufe noch ein Malbuch und viel zu teure Buntstifte, eine Duftkerze für die Große, die sie sich wünscht, weil ich denke: Wenn sie nicht raus darf, soll es in ihrem Zimmer meinetwegen wenigstens so riechen, wie sie das liebt, selbst wenn die halbe Wohnung dann im Erdbeer-Vanille-Dunst rumnebelt. Cocooning ist angesagt. Und ein bisschen Trost. Denn während der Mittlere ob der unverhofften Zusatzferien frohlockt, ist die 15-Jährige geknickt. Nicht wegen des Wegfalls des Unterrichts, natürlich. Aber wegen der Pausen und ihrer sozialen wie amourösen Gelegenheiten.

Wolle und Bücher zum Trost

Die Inhaberin des Wollgeschäfts, zu dem ich mich noch aufmache, um ein Corona-Strick-Projekt zu starten, sagt, sie habe alle Strickkurse abgesagt. „Wir wissen nicht, wie lange wir noch geöffnet haben dürfen. Wir werden aber auch bei Schließungen weiter versuchen, Wolle zu liefern.“ Der Buchladen meines Vertrauens hatte das selbe am Morgen über seine Bücher verkündet. Es ist komisch und sehr albern. Aber die Aussicht, dass sich auch in der Krise jemand darum bemüht, Menschen mit Wolle und Literatur zu beliefern, tröstet mich.  

Es gibt Gruppen in den Sozialen Netzwerken, die Hilfe vermitteln. Einkaufen für Senioren, aber auch Kinderbetreuung. Die Eltern der Kinder, mit denen unser Jüngster bei der Tagesmutter ist, denken über eine Notfallbetreuung reihum nach. Eine schreibt, dass ihr Arbeitgeber kein offenes Ohr für Flexibilität in Zeiten der Krise habe. Ich bin natürlich dabei, schließlich kann sie ihre Kinder nicht in den Schrank hängen. Und obwohl unsere Arbeit- und Auftraggeber noch sehr entspannt sind, können wir ja nun auch nicht fünf Wochen nichts tun.

Telefonieren mit Gebrüll für die Gesundheit aller

Aber dann ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass die Kinder dann ja ebenso gut bei der Tagesmutter hätten bleiben können. Es sind ja auch dort nur vier Stück. Ich fürchte, das kann auch nicht die richtige Maßnahme sein. Also doch die Gesundheit aller priorisieren. Und tagsüber am Telefon Interviews führen, während der Jüngste einem brüllend am Bein hängt. Und dann am Abend tippen statt chillen. 

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Es ist mittlerweile halb zehn. Die Große übernachtet bei der besten Freundin, der Jüngste ist im Bett, der Mittlere baut mit seinem Vater den neuen Schreibtisch für das derzeit noch motiviert geplante Homeschooling auf. Ich tippe. Durch das geöffnete Fenster zwitschern die Vögel lauter als sonst. Von einem Helikopter ist allerdings nichts zu hören.

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