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Schulreif oder nicht?Was ein Kind braucht, um den Schulstart gut zu meistern

Lesezeit 6 Minuten
Ein Kind mit Rucksack rennt fröhlich zu anderen Kindern.

Damit ein Kind mit Freude ins Schulabenteuer starten kann, sollte es vorher bestimmte Fähigkeiten entwickelt haben.

Köln – „Ist mein Kleines wirklich schon ein i-Dötzchen?“ Eltern von Vorschulkindern können sich oft nur schwer vorstellen, dass bald die Einschulung naht. Der Übergang zwischen Kindergarten und Schule ist eben ein echter Mammut-Sprung. Und die wirklich großen Entwicklungsschritte machen viele Kinder erst wenige Monate davor. Normalerweise sind die Schuleingangsuntersuchung und das Schulanmeldungsgespräch ein Gradmesser, ob ein Kind schulreif ist. In der Pandemie fallen die aber oftmals aus. Wie können Eltern selbst erkennen, ob ihr Kind bereit ist? Und wie helfen sie ihm, schulfit zu werden?

Um die neuen Herausforderungen in der Schule gut bewältigen zu können, braucht ein junger Mensch in der Tat viele ganz unterschiedliche Fähigkeiten. Die gute Nachricht aber vorneweg: Vieles lernen Kinder ganz nebenbei. Und wo das nicht der Fall ist, bleiben Eltern nicht allein, denn Kinderärzte und Erzieher haben mit ein Auge darauf.

Einen Ball fangen, den Stift halten, Aufgaben verstehen

„Es gibt eine Reihe von kognitiven, körperlichen und sozialen Kompetenzen, die ein Kind bis zum Schulstart entwickelt haben sollte“, sagt Armaghan Hakamiha, Leiterin der Kita Birkenbäumchen im Kölner Süden. Bei den körperlichen Fähigkeiten gehe es zum Beispiel darum, ob ein Kind seine fünf Sinne gut benutzen, ob es das Gleichgewicht halten, rennen, schaukeln, auf einem Bein hüpfen und einen Ball fangen könne. „Wir achten aber auch darauf, ob es belastbar ist und etwa die Ausdauer hat, längere Strecken zu gehen – damit es später auch einen anstrengenden Schultag körperlich durchhält.“ Auch feinmotorische Fähigkeiten zählten dazu. „Wir üben mit den Kindern in der Vorschul-AG, einen Stift richtig zu halten, genau auszumalen und beim Nähen achtsam mit der Nadel umzugehen.“

Was die kognitiven Leistungen betreffe, müsse ein Kind zum Beispiel in der Lage sein, die Farben zu erkennen, seinen Namen zu schreiben und mindestens bis zehn zählen zu können. „Es sollte aber vor allem gestellte Aufgaben umsetzen können“, sagt Hakamiha. „Wir verlangen durchaus etwas von unseren Vorschulkindern: Sie haben zum Beispiel die Aufgabe, eine Malerei bis zur nächsten Woche fertig zu stellen oder ihre Mappe in Ordnung zu halten.“ Für die Kinder sei das eine große aber wichtige Herausforderung.

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„Das Wichtigste sind die sozio-emotionalen Kompetenzen“

„Den allergrößten Wert legen wir im Kitalltag jedoch darauf, dass Kinder soziale Kompetenzen erwerben“, sagt die Kita-Leiterin. „Sie sollten lernen, wie sie mit anderen gut umgehen, Mitgefühl entwickeln und sich respektvoll verhalten. Dass sie für ihr Verhalten verantwortlich sind, es Regeln gibt und sie manchmal Geduld haben müssen.“ Aber sie sollten auch fähig sein, für sich einzustehen, eigene Wünsche und Grenzen zu formulieren und Konflikte zu lösen. „Wir sprechen auch viel über Gefühle und wie man mit Wut und Angst umgehen kann.“ Bei all diesen Dingen begleiteten sie als Erzieher die Kinder, ohne zu stark einzugreifen. „Wenn ein Kind einen Konflikt hat, bestärken wir es darin, die Situation selbst zu regeln. Beklagt es sich, dass niemand mit ihm spielen will, motivieren wir es, andere Spielmöglichkeiten auszuloten.“ Kinder sollten so aus der passiven „Opfer“-Rolle rauskommen, sich trauen und überwinden lernen. Das stärke ihre Widerstandsfähigkeit.

„Der wichtigste Bereich wenn es um Schulreife geht, sind die sozio-emotionalen Kompetenzen, so genannte Meta-Fähigkeiten“, sagt auch der Kinderarzt Rupert L. Dernick, der Experte ist für alltagsnahe Schulvorbereitung. „Ein Kind muss Resilienz entwickeln, sich anpassen und flexibel mit Belastungen umgehen können, auch wenn etwas nicht klappt, ohne daran zu zerbrechen“, erklärt er.

Kinder müssen im Alltag erleben, dass sie etwas können

Diese mentale Stärke lernten Kinder durch sogenannte Selbstwirksamkeitserfahrungen, also indem sie merkten, dass sie etwas schaffen können. „Der Familienalltag ist eine geniale Vorlage, um Kindern diese Erfahrungen zu ermöglichen“, so Dernick. „Ein Kind, das sein Brot schmiert oder einen Kuchen backt, erfährt, dass es selbst etwas kann.“ Schon Zweijährige besäßen aus sich selbst heraus eine Motivation, vieles alleine machen zu wollen. „Hier dürfen Eltern das Kind in seinem Entdeckertum nicht begrenzen, sondern sollten sein Bemühen unterstützen.“ Erlebten Kinder immer wieder, was sie selbst bewegen können, blieben sie auch bei neuen Aufgaben zuversichtlich. „Das Kind vertraut dann darauf, dass es Fähigkeiten hat, mit denen es auch Schwieriges schaffen kann – und falls es doch nicht klappt, wie es um Hilfe bittet.“

„FamilienErgo“

Rupert L. Dernick hat mit „FamilienErgo“ ein Konzept zur Entwicklungsförderung und  Schulvorbereitung im Familienalltag entwickelt. Das aktuelle Buch „FamilienErgo 2.0 – Fit für die Schule und stark für das Leben“ gibt es in vielen verschiedenen Sprachen. Es finden auch regelmäßige Online-Seminare für Eltern zum Thema „Schulvorbereitung mit FamilienErgo“ statt.

Diese Fähigkeiten könnten Eltern ihren Kindern ganz leicht im Alltag vermitteln. „Egal ob man jetzt gemeinsam Socken sortiert, einen Kuchen backt oder ein Spielzeugauto repariert – wichtig ist es, dem Kind etwas zuzutrauen, ihm ein angemessenes Feedback zu geben und es zu ermutigen, weiter zu denken und eine Lösung zu suchen“, erklärt Dernick. Entscheidend sei, dass Eltern die Dinge nicht für das Kind erledigten, auch wenn es schneller gehe. „Schließlich schreiben die Erwachsenen ja später auch nicht die Hausaufgaben ab.“ Dass Eltern alles für ihr Kind lösen wollen, das kennt auch Armaghan Hakamiha aus ihrer Kita. „Die Eltern sind oft noch im Kleinkindmodus. Wir vermitteln ihnen, dass sie jetzt ein Vorschulkind haben und sie von ihm durchaus etwas verlangen können.“

Schulförderung zuhause: Kuchenbacken

Spätestens im Vorschulalter sollten Kinder für manches bereits alleine verantwortlich sein, erklärt Rupert L. Dernick. Das sei in der Realität oft anders. Laut einer Studie ziehe sich ein Drittel der Fünfjährigen nicht alleine an und die Hälfte räume nicht ihr Geschirr vom Tisch ab. Viele Eltern forderten diese Dinge einfach nicht von ihren Kindern. „Ihnen ist nicht bewusst, welche Schätze in diesen Alltagstätigkeiten liegen“, sagt Dernick, „bei Förderung denken sie an den Englischkurs, aber nicht ans Kuchenbacken.“ Dabei könne man gerade durchs Backen – Einkaufen, Eier abzählen, Teig formen – alle Dinge lernen, die etwa bei der Schuleingangsuntersuchung abgefragt würden.

Defizite oder Lernlücken werden in der Kita früh erkannt

Wie läuft eine Rückstellung ab?

Wollen Eltern ihr Kind zurückstellen, besprechen sie das zunächst mit dem Kinderarzt und der Kita. Beim Schulanmeldungsgespräch tragen sie ihr Anliegen vor. Die Schule wird vor Ort selbst ein paar Tests mit dem Kind machen und dann ärztliche und pädagogische Berichte anfordern. Die letzte Entscheidung über die Rückstellung trifft das Schulamt. 

Ob ein Kind am Ende die wichtigsten Fähigkeiten für die Schule hat, das können Eltern im Dialog mit der Kita und dem Kinderarzt herausfinden. „Wir beobachten die Kinder bereits ab einem Alter von vier Jahren, um zu schauen, wo mögliche Defizite liegen“, erklärt Armaghan Hakamiha. „Jedes Kind hat andere Talente, das respektieren wir. Und doch müssen manche Fähigkeiten bis zur Schule aufgeholt werden.“ Kinder, die sich auf gewissen Gebieten schwerer täten, unterstützten sie dann ganz gezielt – in den meisten Fällen mit Erfolg. „Ich sage das auch immer den Eltern: ‚Habt Geduld, wir kriegen das hin bis zur Schule!‘“

Es sei aber auch ihre Aufgabe als Kita, rechtzeitig zu erkennen, ob es Ursachen für die Defizite gebe. „Wenn ein Kind kein Dreieck zeichnen kann, müssen wir herausfinden, ob es einfach an der fehlenden Übung liegt oder eine Wahrnehmungsstörung vorliegt.“ Durch die Beobachtung merkten sie in der Regel auch schon früh, wenn ein Kind körperlich, emotional oder sozial noch nicht so weit sei und vielleicht zurückgestellt werden müsse. „Wenn wir solche Bedenken haben, besprechen wir das zeitnah mit den Eltern und bleiben natürlich im Dialog.“

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