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In Sachen LiebeWarum reden mein Partner und ich beim Thema Sex aneinander vorbei?

3 min
Junges Paar, das auf dem Sofa ruht und von der Zukunft träumt und das Eheleben genießt. Glücklich lächelnd liegt eine Frau auf dem Bauch eines Mannes.

Beide suchen Nähe, aber beim Thema Sex wird häufig aneinander vorbeigeredet? Muster, die dazu führen, lassen sich ändern.

Für Menschen mit hoher Bindungsvermeidung in Beziehungen ist Intimität mitunter herausfordernd. Muster lassen sich aber aufbrechen.

Ich habe das Gefühl, mein Partner und ich sprechen in Sachen Sex häufig aneinander vorbei: Er wirkt oft zurückhaltend, während ich mich eher unersättlich fühle. Ich habe von „Bindungsstilen“ gehört und frage mich, ob unsere unterschiedlichen Muster auch unser sexuelles Verlangen beeinflussen.Was können wir konkret tun, damit wir beide zufriedener werden? (Katja, 44)

Tatsächlich zeigen psychologische Studien, dass es häufig einen Zusammenhang zwischen Bindungsmustern und der Art und Weise gibt, wie wir Sexualität und Intimität erleben. Dabei geht die Forschung heute nicht mehr von strikt getrennten Bindungskategorien („sicher“, „ängstlich“, „vermeidend“) aus. Vielmehr hat es sich durchgesetzt, Bindungsverhalten anhand zweier Dimensionen zu beschreiben: Eine Achse stellt die „Bindungsangst“ dar, also die Angst, nicht ausreichend geliebt oder verlassen zu werden. Eine zweite Achse bildet die „Bindungsvermeidung“, bei der Menschen emotionale Nähe eher umgehen, um sich vor Überforderung oder befürchteten Verletzungen zu schützen.

Daniel Wagner

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Studien bestätigen auch, dass Personen mit hoher Bindungsangst in Beziehungen häufig ein intensiveres Bedürfnis nach Nähe und Bestätigung haben, oftmals auch vermittelt über die Sexualität. Sexuelle Aktivität dient hier unter anderem dazu, die emotionale Verbindung und Sicherheit in der Beziehung zu stärken. Umgekehrt gibt es belastbare Erkenntnisse, dass Menschen mit hoher Bindungsvermeidung Sexualität und Intimität mitunter als emotional herausfordernd empfinden und sich deshalb häufiger zurückziehen. Dies kann sich in reduziertem sexuellem Interesse oder in distanziert wirkendem Verhalten äußern. Die Vermeidung von Nähe geschieht dabei nicht aus mangelnder Zuneigung, sondern eher als Selbstschutzstrategie.

Die Forschung betont allerdings auch, dass diese Muster veränderbar sind. Das Konzept der sogenannten „Earned Security“, einer nachträglich erworbenen sicheren Bindung, gilt heute als gut belegt: Erwachsene, die ursprünglich eine unsichere Bindung entwickelt hatten, können durch positive, korrigierende Erfahrungen etwa in einer unterstützenden Partnerschaft oder auch in therapeutischen Prozessen eine höhere Bindungssicherheit erreichen.

Bei Stress oder Druck erschwert das Nervensystem Nähe und Intimität

Ergänzt wird diese Sicht durch neuere Erkenntnisse der Neurobiologie. Das autonome Nervensystem reagiert offenbar sehr sensibel auf emotionale Sicherheit oder Bedrohung. Sobald jemand Stress oder Druck empfindet, aktiviert das Nervensystem Schutzmechanismen, die Nähe und Intimität erschweren können. Umgekehrt fördert ein Zustand emotionaler Sicherheit nachweislich die Bereitschaft, sich auf Intimität einzulassen.

Daraus lassen sich für Ihre Partnerschaft folgende vorsichtig formulierte Anregungen ableiten: Es könnte für Sie hilfreich sein, sich bewusst Raum für nicht-sexuelle Nähe zu geben, um Sicherheit und Vertrauen aufzubauen. Wissenschaftlich erprobte und wirksame Methoden wie das sogenannte „Sensate Focus“-Programm (achtsame Berührungen ohne unmittelbares sexuelles Ziel) könnten Sie dabei unterstützen, Druck aus der sexuellen Begegnung zu nehmen. Forschungsergebnisse zeigen, dass solche Methoden tatsächlich dazu beitragen können, Ängste und Vermeidungsverhalten zu reduzieren und die Zufriedenheit beider Partner schrittweise zu erhöhen.

Offen aber behutsam über eigene Bedürfnisse sprechen

Zusätzlich könnte es sinnvoll sein, dass Sie offen, aber behutsam über Ihre Bedürfnisse sprechen. Dabei könnten sogenannte Ich-Botschaften hilfreich sein. Ein Beispiel: „Ich fühle mich manchmal verunsichert, wenn wir längere Zeit keinen Sex haben.“ Diese Kommunikationsstrategie kann sehr hilfreich sein, Missverständnisse abzubauen und langfristig emotionale Nähe zu fördern.

Kurz gesagt: Ihre unterschiedlichen sexuellen Wünsche könnten durchaus mit unterschiedlichen Bindungsmustern zusammenhängen. Dies ist in Beziehungen sogar eher die Regel als die Ausnahme. Die Wissenschaft zeigt allerdings auch klar, dass Bindung kein unveränderliches Schicksal ist, sondern durch positive Erfahrungen und bewusste Kommunikation beeinflusst werden kann. Ein gemeinsamer Weg in Richtung Verständnis und Sicherheit könnte Ihnen beiden dabei helfen, wieder mehr gemeinsame Zufriedenheit zu erleben.


Zur Kolumne

Unser Team von Expertinnen und Experten beantwortet Ihre Fragen in der Zeitung: die Psychotherapeuten Carolina Gerstenberg und Daniel Wagner, die Diplom-Psychologinnen Elisabeth Raffauf und Katharina Grünewald sowie Sexualberaterin Gitta Arntzen. Ihre Zuschriften werden anonymisiert weitergegeben. Schicken Sie Ihre Frage an: in-sachen-liebe@dumont.de.