Toxische Beziehungen„Häusliche Gewalt ist zu ganz großen Teilen psychische Gewalt“

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Buchautorin und Comedian Nicole Jäger 

Frau Jäger, Sie stehen seit vielen Jahren mit einem Soloprogramm auf der Bühne, haben zwei Bestseller über Ihre Fettleibigkeit geschrieben, gehen mit diesem schambesetzen Thema offen um und sind eine erfolgreiche, selbstbewusste Frau. Wieso schrumpfen Sie in Beziehungen auf Mäuschengröße zusammen? Dahinter steckt ein klassisches Selbstwertproblem, das auf meine Kindheit zurückgeht. Wenn ich ein gutes Kind war, wurde ich geliebt, wenn nicht, war Liebesentzug die Antwort darauf. Dann wurde ich nicht mehr in den Arm genommen, wurde nicht mehr mit mir gesprochen.

Was hat das mit Ihnen gemacht? Dadurch bin ich zu einer Erwachsenen herangereift, die das Gefühl hat, für Emotionen Leistungen erbringen zu müssen. Liebe muss man sich erarbeiten, die kriegt man nicht geschenkt. Das hat dafür gesorgt, dass ich ein superliebesbedürftiger Mensch bin. Ich liebe gerne und hart, gebe Emotionen voll zurück. Ich bin ja eigentlich eine taffe Frau, aber was Männer angeht, leider manchmal eine Vollidiotin. Liebe macht schwachsinnig, mich auf jeden Fall.

Sie haben circa 18 Jahre Beziehungsleben hinter sich mit wechselnden, unpassenden Partnern. Sie schreiben selber Sie können „schlechte Beziehungen echt gut“. Wieso haben Sie aus negativer Erfahrung nicht gelernt? Meine Kindheitserfahrungen sorgen bei mir dafür, dass ich viele Warnzeichen nicht sehe. Weil es mir wichtiger ist, geliebt zu werden als die Fehler des anderen zu sehen. Ich gehe sehr weit, auch dann, wenn eine Liebe nicht mehr richtig gut ist. Ich habe über die Jahre verlernt, eine Grenze zu ziehen für mich, und zu sagen: Irgendwo finde auch ich noch statt und Selbstrettung geht immer vor Fremdrettung. Mein Selbstwertgefühl war aber total im Keller und deshalb habe ich oft zu viel ausgehalten, bevor ich mich gerettet habe.

Zur Person

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Autorin und Komikerin Nicole Jäger hat über ihre Erfahrungen in toxischen Beziehungen ein Buch geschrieben.

Foto: Gern

Nicole Jäger, 39 Jahre alt, ist Hamburgerin mit Leib und Seele. Bekannt wurde sie mit ihren beiden Bestsellern "Die Fettlöserin" und "Nicht direkt perfekt", in denen sie ihre Fettleibigkeit thematisiert. Seit 2016 ist sie auch als Stand-up-Comedian unterwegs. Mit ihrem aktuellen Programm „Prinzessin Arschloch“ will sie im nächsten Jahr auf Tour gehen. Nicole Jäger ist aktuell Single mit Katze. Ihr neues Buch „Unkaputtbar“ ist am 17. August im Rowohlt Verlag erschienen. 

In Ihrem Buch schildern Sie drastisch Ihre letzte  Beziehung. Was bedeutet toxisch genau?  Klar, jeder kann mal schlecht gelaunt sein, man rasselt hier und da aneinander, ist unfair und gemein, aber das ist alles noch nicht toxisch. Das wird es dann, wenn das Verhalten meines Gegenübers dazu dient, mich als Partnerin zu verunsichern, herabzusetzen und zu diskreditieren. Es hat etwas mit Angst zu tun. Wenn ich merke, mein Partner wird mir gegenüber unangenehm. Wenn alles, was ich mache auf einmal nicht mehr gut genug ist. Oder wenn ich mich für ganz banale Dinge, wie Freunde treffen, meinen Job machen, rechtfertigen muss, dann ist das ganz klar psychische Gewalt. Häusliche Gewalt besteht zu ganz großen Teilen aus psychischer Gewalt. 

Wieso hat es sehr lange gedauert, bis Sie diese vergiftete Beziehung beendet haben? Weil es sehr schön war am Anfang. Zu Beginn ist bei toxischen Beziehungen oft viel Liebe im Spiel, man spricht auch von Love Bombing. Wir hatten sehr viele sehr schöne Momente, aber irgendwann fing das an zu kippen. Auf einmal sagt der toxische Partner dann so was wie: Ich fühle mich nicht mehr wohl, ich bin nicht mehr glücklich und der Grund dafür bist du. Aber wenn du das änderst und wieder funktionierst, nach den Regeln, die ich ab jetzt vorgeben werde, dann liebe ich dich wieder so wie am Anfang. Und dann beginnt eine Abwärtsspirale aus Kontrolle des Partners und das Nicht-Erfüllen-Können seiner angeblichen Bedürfnisse.

Sie schreiben: „Ich halte meinen Mund, damit auch alles schön ist in dieser Scheinwelt einer wirklich vergifteten Beziehung“. Was war daran noch schön für Sie? Das Problem ist, dass es schleichend beginnt und man es dem Partner leider nicht ansieht, dass er sich eines Tages in einen toxischen Mann verwandeln wird. Es wäre ja toll, wenn der mit einem Schild rumlaufen würde, auf dem steht „Wir werden sechs geile Monate haben, aber dann werde ich ein Vollidiot“. Außerdem hat es sehr viel mit Scham und Angst zu tun. Es geht ja um Gewalt, Angriffe, um eine Täter-Opfer-Beziehung. Man erkennt narzisstische Täter oft daran, dass ihre Opfer am Ende eine Therapie aufsuchen, weil sie meinen, mit ihnen stimmt was nicht, bis dann herauskommt, dass mit dem Partner etwas nicht stimmt. Diese Täter-Opfer-Umkehr macht es total schwierig, zu erkennen, was in der eigenen Beziehung los ist.

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Was macht es so schwer, sich aus der toxischen Beziehung zu lösen? Unsere Gesellschaft neigt zum Victim-Blaming, also dazu, dem Opfer die Schuld zu geben, nach dem Motto: Warum bist du nicht einfach gegangen? Als Opfer muss man erstmal begreifen, dass einem Gewalt angetan wird. Hinzukommt, dass der Partner einem Angst macht – aktiv und passiv. Angst ist ein sehr verbindendes und verbindliches Gefühl. Am Ende einer toxischen Beziehung ist das Opfer immer am Ende, körperlich und psychisch und weiß, dass es nicht zu Ende ist. Auch wenn man den Absprung schafft, kommt der Ex-Partner häufig hinterher. 70 Prozent der Tötungen von Frauen passieren nach einer Trennung.

Hat Ihr Partner auch mit körperlicher Gewalt gedroht? Er hat mich ganz klar wissen lassen: Wenn du dich trennst, bringe ich dich um. Und hat auch versucht, mich zu erwürgen. Wenn man einmal Angst hat, wird es ganz schwer, von ihm wegzukommen. Weil man denkt: Egal, was ich mache, er steht morgen wieder vor der Tür. Deshalb gehen Opfer auch häufig zurück. Die Angst, die sie in der Beziehung haben ist, weil sie vertrauter ist, kleiner als die nach einer Trennung. Man wählt dann eher die Bedrohungslage, die man kennt.

Wie haben Sie dann den Absprung gefunden? Es hat zwei Jahre gedauert. Ich habe meine Hilfe vor allem im Lesen gefunden, habe mir alles angelesen, was ich im Netz und außerhalb zum Thema finden konnte. Dadurch habe ich mich sukzessive aus der Umklammerung gelöst. Und habe dadurch festgestellt: Ich bin nicht die Einzige. Das Gefühl, alleine auf weiter Flur zu sein, war für mich während der Beziehung furchtbar lähmend und schließlich auch der Ausschlag dafür, dieses Buch zu schreiben, damit andere sich nicht so fühlen müssen.

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Nicole Jäger, Unkaputtbar – Wie mein Mangel an Selbstwert zum Problem wurde und wie ich da wieder rauskam, Rowohlt, 256 Seiten, 16 Euro 

In Ihrer Kindheit wurden Regelübertretungen recht streng bestraft, vor allem mit Nichtbeachtung. Sie haben dennoch ein gutes Verhältnis zu beiden Eltern. Welche Rolle spielt die Kernfamilie in Bezug auf die eigene Paarbeziehung? Eltern sind die erste große Liebe im Leben eines Menschen. Es ist ihre Aufgabe, einen Menschen zu erschaffen, der im Erwachsenen-Alter in der Lage ist, für sich selber einzustehen und Grenzen setzen zu können. Dass Kinder anstrengend sind und auch nerven können, ist klar, aber Eltern sollten auf Teufel komm raus lieben, auch wenn es gerade mal nicht so toll ist. Jungs lernen von ihren Vätern, wie Männer sich Frauen gegenüber verhalten und Mädchen lernen von ihren Vätern, was richtig ist, was man mit ihnen macht und was nicht. Aber die Grunderwartung an die Frau ist oft immer noch: Frauen kümmern sich. Und Frauen nehmen diese Aufgabe ja auch oft gerne an. Wenn ein Mann sagt „Ich habe ihr im Haushalt geholfen“, dann denke ich „Ey, du wohnst ja auch da“.

In Ihrem Buch schildern Sie den langen Weg zum eigenen Selbstwert. Haben Sie für Frauen, die ähnliche Probleme haben, eine Abkürzung parat? Wenn man zum ersten Mal feststellt, dass in der Beziehung etwas Unrechtes passiert, sollte man einen Augenblick länger investieren und wirklich hinsehen. Und nicht denken, der Partner hat Recht. Partner haben nicht per se Recht. Auch dann nicht, wenn sie einem sagen, dass sie einen lieben. Liebe ist keine Ausrede für Gewalt, und Streit sollte auf Augenhöhe passieren. Wenn man spürt, dass es plötzlich kippt und nicht mehr gut für einen ist, wäre es gut, den Mut dazu aufzubringen, frühzeitig die Reißleine zu ziehen. Auf der Liste der fünf wichtigsten Menschen im Leben sollte man schließlich selber stehen.

Fühlen Sie sich jetzt gestählt für die Zukunft? Ja, ich habe meine Lektion gelernt. Das Leben hat einen harten linken Haken, ich bin einmal auf die Matte gegangen, aber auch wieder aufgestanden. Ich habe keine Rachegefühle. Mein Ex ist gestraft genug damit, er selber zu sein. Wenn der nächste, der kommt, anfängt, sich merkwürdig zu verhalten, gehe ich einfach. Ich schulde mir noch ein tolles Leben.

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