Die Zahl der berufstätigen Ärztinnen und Ärzte hält sich die Waage. Unser Experte erklärt die Folgen für Patientinnen und Patienten.
Gut? Schlecht? Oder egal?Die Medizin wird weiblicher – Das sind die Vorteile

Das Verhältnis zwischen Ärztinnen und Ärzten ist mittlerweile ausgeglichen.
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Früher war vieles anders, ganz anders: 1954 wurde das Leben des berühmten Berliner Chirurgen Ferdinand Sauerbruch verfilmt. Hier war der Arzt noch ein Gott in Weiß. Hier wurde über Patienten entschieden, ohne sie zu fragen. Oft wurde ihnen eine Behandlung gar nicht mitgeteilt. Sie wurden einfach operiert. Und hier waren die „Weißkittel“ auf der Station und im Operationssaal ganz selbstverständlich ausschließlich Männer. Frauen tauchten auch auf: als Schwestern. Oder als Patientinnen.
Das hat sich entscheidend geändert. Heute werden Patienten aufgeklärt. Und heute sind etwas mehr als zwei von drei Medizinstudenten Studentinnen, wie das Deutsche Ärzteblatt kürzlich schrieb. Und der Anteil steigt weiter. Das war nicht nur in Sauerbruchs Zeiten ganz anders.
Noch 1975, bei der ersten Erhebung, war der Frauenanteil verschwindend gering. Gleich war der Anteil erst „vor Kurzem“, im Jahr 1998. Und der Frauenanteil steigt weiter kontinuierlich. Das gilt mittlerweile nicht nur für Studentinnen, sondern auch für Ärztinnen im Beruf, in Klinik und Praxis: Im Jahr 2023 lag die Zahl der berufstätigen Ärztinnen und Ärzte insgesamt bei 428.500 – mit einem Anteil von 49,5 Prozent liegen die Frauen dabei fast gleichauf.
Untersuchung aus Kanada: Komplikationen bei Chirurginnen seltener
Ist das gut? Oder schlecht? Oder egal? Die Krankenkasse AOK zitiert eine Untersuchung aus der kanadischen Provinz Ontario: Dort hatte man die Operationsergebnisse von knapp 1,2 Millionen Patienten analysiert – und in Beziehung zum Geschlecht des Chirurgen, der Chirurgin gestellt. Das Ergebnis: Bei Chirurginnen seien postoperative Komplikationen signifikant seltener.
Außerdem würden sich Ärztinnen eher an Leitlinien halten, präventiver arbeiten, ihr Können eher unter- als überschätzen. Im Gegensatz zu männlichen Kollegen. Das klingt nach erwartbaren Klischees. Aber es lässt sich sicher festhalten, dass Ärztinnen den Ärzten nicht unterlegen sind.
Ein anderer Fokus ist gut für die Medizin
Aber die eigentliche Frage ist nicht, ob Frauen oder Männer die besseren Ärzte sind, es gibt gute und schlechte Ärztinnen und auch Ärzte. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass sie anders sind. Dass Frauen einen anderen Fokus haben dürften.
Denn noch immer ist der männliche Körper der „Goldstandard“ in der Medizin. Medikamente werden eher an Männern getestet, Symptome eher an Männern beobachtet: Ein Herzinfarkt jedoch zeigt sich bei Frauen teils anders als bei Männern – und kann dadurch übersehen oder verzögert diagnostiziert werden. Das könnte sich ändern. Ganz abgesehen davon, dass es gut ist, zumindest theoretisch das Geschlecht des behandelnden Arztes wählen zu können – nicht nur beim Frauenarzt oder beim Urologen.
Aber die genannten Zahlen verbergen etwas anderes: Die Geschlechtsverteilung in der Medizin ist je nach Fachrichtung sehr ungleich: Neurochirurgen seien fast ausschließlich männlich (85 Prozent), Kinder- und Jugendpsychotherapeutinnen fast ausschließlich weiblich (79 Prozent). Die freie Wahl ist eher unmöglich. Aber ein männlicher Therapeut kann etwa für männliche Jugendliche wichtig sein.