Psychologin erklärtDeprimiert oder depressiv? Welche Symptome man ernst nehmen muss

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Traurig und antriebslos: Depressive Menschen haben besonders große Schwierigkeiten, mit den Herausforderungen der Corona-Krise fertig zu werden. 

  • Die Corona-Krise und der Lockdown fordern allen Menschen viel ab.
  • Für manche Menschen ist der Verlust von Struktur und Alltag besonders schwierig. Eine depressive Stimmung kann jetzt zu einer echten Depression werden.
  • Wie man erkennt, ob jemand nur schlecht drauf ist und welche Symptome einer Depression man ernst nehmen muss, erklärt die Psychologin Cornelia Baltscheit.

Köln – „Depressive Menschen sind empfänglicher und können sich schlechter anpassen. Diese Zeit jetzt ist für sie auf jeden Fall eine Herausforderung. Viele gehen jetzt tatsächlich tiefer in die Depression", sagt Cornelia Maria Baltscheit. Sie ist Diplom-Psychologin im Psychologischen Dienst am Immanuel Krankenhaus in Berlin. Im Interview erklärt sie den Unterschied zwischen einer depressiven Stimmung und einer Depression und gibt Tipps für Betroffene und Angehörige. 

Frau Baltscheit, die Zeit gerade empfinden viele Menschen als belastend. Viele machen sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz, andere fühlen sich zuhause eingesperrt, einsam oder überfordert mit der Betreuung der Kinder und dem fehlenden Ausgleich. Über allem steht die Angst vor der Krankheit. Was macht diese Stimmung mit depressiv veranlagten Menschen?

Cornelia Baltscheit: Depressive Menschen sind grundsätzlich empfänglicher und nehmen Negatives viel stärker wahr. Bei Depressionen blendet man alles Positive an Lebensinhalten aus, Ängste können dadurch größer werden. Depressive Menschen können sich viel schwieriger anpassen oder auf neue Situationen einstellen. Das verstärkt die Versagensgefühle, die Depressive ganz stark haben. Diese Zeit ist für depressive Menschen auf jeden Fall eine Herausforderung. Viele gehen jetzt tatsächlich tiefer in die Depression.

Also kann es auch sein, dass Menschen, die leichte Depressionen haben, die sie sonst nicht so spüren, wenn sie in der normalen Struktur funktionieren, jetzt mehr darunter leiden? Cornelia Baltscheit: Ja, das kann tatsächlich passieren. Die Ausgangssperre, die Isolation und die stetigen Nachrichten mit den immer neuen Todeszahlen verstärken die Ängste auf jeden Fall. Die Mitarbeiter der Telefonseelsorge geben an, dass sie durch Corona 50 Prozent mehr Anrufe haben. Das ist schon sehr deutlich.

Spüren Sie diese Zunahme auch bei Ihrer Arbeit in der Klinik? Cornelia Baltscheit: Bei uns in der Klinik habe ich es weniger gespürt, das liegt aber vor allem daran, dass wir alle einbestellten Patienten, die keine Notfälle sind, nach Hause geschickt haben oder vorzeitig entlassen haben. Viele sind auch selbst aus Angst vor Ansteckung früher nach Hause gegangen. Wir sind also wenig damit konfrontiert. Kurz gesagt wissen wir einfach nicht, wie es den Leuten geht, weil sie zuhause sind.

Viele Hilfsangebote brechen also weg. Was kann man jetzt trotzdem tun, wenn man das Gefühl hat, man kommt selbst aus der niedergeschlagenen Stimmung nicht mehr heraus und man kann sich an niemanden wenden? Cornelia Baltscheit: Es gibt einige freigeschaltete Telefonnummern, die man anrufen kann, zum Beispiel die Depressionshilfe unter der kostenlosen Nummer 0800/33 44 533 oder die Telefonseelsorge  die man kostenlos unter diesen Nummern erreichen kann: 0800/111 0 111, 0800/111 0 222 und 116 123. Der Bundesverband der deutschen Psychologen hat ebenfalls ein kostenloses Corona-Telefon eingerichtet: 0800/777 22 44. Auch psychiatrische Kliniken und Psychologen sind erreichbar. Nach Psychotherapeuten können Sie beispielsweise über diese Seite suchen. Man muss sich natürlich erstmal dazu aufraffen können, Kontakt aufzunehmen. Das ist bei Depressiven oft das größte Problem.

Was können Angehörige oder Freunde tun, wenn sie merken, dass ein Familienmitglied oder Freund mit der jetzigen Situation nicht zurechtkommt und sich immer mehr zurückzieht? Gerade jetzt, wo es schwierig ist, Kontakt zu halten? Cornelia Baltscheit: Oft ist es so, dass Angehörige oder Freunde zuerst merken, dass sich die Stimmung eines Menschen verändert. Man sollte die Betroffenen darauf ansprechen. Also nicht vertuschen und so tun als wäre nichts, sondern sie wirklich direkt darauf ansprechen. Wichtig dabei ist, die Gefühle des anderen nicht herunterzuspielen, sondern Verständnis zu zeigen und geduldig zu sein. Was ebenfalls eine gute Hilfe ist, die wir auch in den Therapien mit Depressiven anwenden, ist, wieder eine Strukturierung des Tagesalltags aufzubauen. Das könnte zum Beispiel schon sein, dass man einen täglichen Anruf vereinbart oder, sofern das noch möglich ist, regelmäßig einen gemeinsamen Spaziergang macht. Viele Studien haben auch gezeigt, dass gerade körperliche Bewegung bei Depressionen wichtig ist. Angehörige, die sich überfordert fühlen, sollten ermutigt werden, professionelle Hilfe für die Depressiven zu suchen. Dazu kann man über die oben genannten Telefonnummern und Internetseiten gehen. Das Problem ist nur gerade, dass nur laufende Therapien fortgeführt werden und keine neuen Patienten angenommen werden. 

Wie soll man als Angehöriger oder Freund ganz konkret depressive Menschen auf ihre Stimmung ansprechen? Cornelia Baltscheit: Sagen Sie: „Mensch, ich habe das Gefühl, dass sich deine Stimmung in den letzten Wochen sehr verändert hat. Du hast keine Lust mehr, du bist antriebslos und traurig und hast Schlafstörungen. Ich habe das Gefühl, dich beschäftigt etwas sehr oder deine Stimmung hat sich verändert. Kann es sein, dass du mehr als eine depressive Stimmung hast?“ Also wirklich direkt und gezielt ansprechen. Immer von sich ausgehen, was man so wahrnimmt, denn die Depressiven nehmen für sich weniger wahr, weil sie wie in einer Glocke sind. Wenn diese Stimmung länger als 14 Tage anhält, kann man sagen, dass es sich nicht mehr um eine depressive Verstimmung handelt, sondern dass tatsächlich eine Depression entstanden sein könnte.

Ihrer Erfahrung nach: Würden die Depressiven das zugeben und sagen: „Schön, dass das endlich mal jemand erkennt“ oder würden sie das Angesprochene eher verleugnen? Cornelia Baltscheit: Menschen mit einer echten Depression würden nicht sagen: „Schön, dass das jemand erkennt.“ Das gelingt nur Menschen, die sich in einer depressiven Stimmung befinden. Da behält der Betroffene sein Selbstwertgefühl und die Lebensfreude kann immer wieder aktiviert werden. Einen Depressiven muss man wirklich motivieren, ihn an die Hand nehmen, geduldig sein, Mitgefühl zeigen und sagen: „Komm‘, wir schaffen das!“.

Das ist ja jetzt gerade in dieser Situation wirklich sehr schwierig, depressiven Menschen zu helfen. Cornelia Baltscheit: Das ist richtig. Das geht am besten, wenn man zusammenwohnt. Das nur über das Telefon mitzubekommen, ist nicht so einfach. Aber man kann die Nummern weitergeben oder vielleicht auch selbst mal dort anrufen und sich darüber informieren, was man in dem Fall machen kann. Und wenn es akut darum geht, einen Angehörigen zu betreuen oder zu helfen, dürfen wir tatsächlich auch Kontakt aufnehmen. 

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Wo verläuft die Grenze zwischen einer depressiven Verstimmung und einer Depression? Cornelia Baltscheit: Tatsächlich ist diese Grenze in der Internationalen Klassifikation der Gesundheitsprobleme, dem ICD-10, ganz klar definiert. Es müssen bestimmte Symptome für mindestens 14 Tage ohne Veränderung auftreten. Die Schwere der Symptome zeigen auch die Schwere der Depression.

Was sind die Symptome für eine Depression? Cornelia Baltscheit: Energielosigkeit, Antriebslosigkeit, müde sein, auch, wenn man viel schläft, niedergeschlagene Stimmung, Probleme, den Alltag zu strukturieren. Es kommt auch meist dazu, dass depressive Menschen kein Selbstwertgefühl und vielleicht sogar Schuldgefühle haben, sich wertlos fühlen und vielleicht sogar an Selbstmord denken. All diese Symptome finden wir bei einer depressiven Stimmung nicht.

Depressive Stimmung bedeutet also, dass man einfach ein paar Tage schlecht drauf ist? Cornelia Baltscheit: Man kann ähnliche Gefühle wie bei einer Depression haben, aber man kann auch immer wieder zwischendurch lachen und man beschuldigt sich nicht selbst, für diese Gefühle verantwortlich zu sein. 

In der aktuellen Corona-Krise haben niedergeschlagene oder depressive Menschen vielleicht das Gefühl, zu versagen, weil sie den Eindruck haben, dass andere viel besser mit der Krise zurechtkommen als sie selbst. Sie haben das Gefühl, dass es anderen viel leichter gelingt, sich auf die neue Situation einzustellen. Was raten sie den Menschen, die sich jetzt verloren fühlen und sich nicht so gut anpassen können? Cornelia Baltscheit: Ob man nun alleine ist oder in der Familie: Behalten Sie Ihre Struktur bei! Nicht bis mittags schlafen, irgendwann essen und irgendwann was machen, sondern einen klaren Tagesablauf haben. Das kann sehr dabei helfen, dass man sich nicht so verloren fühlt und in jedem Tag einen neuen Sinn sieht. Das kann nicht nur bei Depressiven, sondern auch bei allen anderen Menschen hilfreich sein. Setzen Sie sich für jeden Tag Ziele und Aufgaben und bleiben Sie in der Routine.

Aber wenn man das dann nicht hinkriegt, ist es umso frustrierender. Würden Sie sagen, man „darf“ sich jetzt auch mal in diese Stimmung hinein begeben, dass man einfach mal die Dinge nicht so gut hinkriegt und niedergeschlagen ist? Auch, wenn man vordergründig keinen Grund zu meckern hat, weil man gesund ist und seinen Job nicht verloren hat? Cornelia Baltscheit: Natürlich dürfen wir depressive Stimmungen haben. Die gehören zum Leben und zu unseren Gefühlen wie alle anderen Gefühle auch. Es ist nur die Frage: Kippt es? Komme ich da alleine wieder raus? Ist das ein temporäres Gefühl oder bleibe ich darin verhangen? Das ist dann der Unterschied, wo es wirklich bedenklich werden kann. Auch die Decke mal über den Kopf zu ziehen und zu sagen: „Alles ist Mist!“ ist völlig in Ordnung.

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