Interview mit Hausärztin„Seine Ernährung umzustellen ist schwieriger, als mit dem Rauchen aufzuhören!“

Lesezeit 7 Minuten
Jemand schneidet Bananenstücke in eine Müsli-Schale.

Der Ernährungsplan muss auch zum eigenen Alltag passen

Endlich gesund ernähren, vielleicht sogar ein, zwei Kilo abnehmen. Das wünschen sich viele. Aber wie hält man dieses Vorhaben auch durch?

Warum gelingt die gesunde Ernährung nicht, warum scheitert der Plan, zwei, drei Kilo abzunehmen, schon nach wenigen Wochen? Laut einer Umfrage der Techniker Krankenkasse fehlt den Menschen Zeit und Ruhe, sich gesünder zu ernähren. Besonders im Büro werde häufig nebenher vor dem Computer gegessen, hat die Umfrage ergeben. 

Claudia Kuke ist Fachärztin für Innere Medizin und niedergelassene Hausärztin in Hürth. Sie betreut ihre Patientinnen und Patienten auch immer wieder ernährungsmedizinisch. Und sieht ebenso in der Vereinbarkeit mit dem Alltag die größte Hürde für eine langfristig gesunde Ernährung. Doch auch, wenn es nicht leicht ist, die Ernährung umzustellen: Es ist zu schaffen. Soweit die Ziele realistisch bleiben. Und gesund für Körper und Psyche.

Warum scheitern so viele Menschen daran, abzunehmen?

Claudia Kuke: Die Gründe sind vielfältig. Ein wichtiger Aspekt ist auf jeden Fall der jeweilige Lebensumstand.

Wie meinen Sie das?

Nehmen Sie beispielsweise den 14-jährigen Teenager, der sich einige Kilos angefuttert hat. In dem Alter ist es besonders schwierig abzunehmen, weil man nur eingeschränkt entscheidet, was es zu essen gibt, das machen überwiegend die Eltern. Dann kommen Ausbildung oder Studium, da wird es noch schwieriger, weil die Zeit zum Kochen fehlt. In einer Prüfungsphase isst man das, was man gerade im Kühlschrank hat. Nächste Phase: Sie nehmen während der Schwangerschaft 20 Kilo zu und kriegen die nicht runter. Wann sollen sie sich auch ausführlich um ihre Ernährung kümmern, wenn sie wieder arbeiten gehen und gleichzeitig ein Kleinkind versorgen? Ältere wiederum sind in einigen Fällen gar nicht mehr so mobil, dass sie alle zwei Tage einkaufen gehen können. Was ich damit sagen will: Die Bedingungen sind für viele Menschen in keinem Lebensalter so, dass sie sich für Ihre Ernährung so viel Zeit nehmen können, wie sie gerne möchten.

Alexandra Eul

Alexandra Eul

Redakteurin im Ressort Magazin, Ratgeber und Freizeit. Im Rahmen des Arthur F. Burns Fellowship hat sie 2017 aus Kanada berichtet. Als eine der Medienbotschafter Indien-Deutschland der Robert Bosch St...

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Welche Hindernisse gibt es noch?

Wir ernähren uns häufig so, wie wir es als Kinder gelernt haben, weil wir damit etwas Positives verbinden. Eine lieb gewonnene Gewohnheit. Und was sie auch nicht vergessen dürfen: Es gibt Menschen, die kochen einfach nicht gerne. Glauben Sie mir, es ist schwieriger, seine Ernährung umzustellen, als mit dem Rauchen aufzuhören.

Porträt der Internistin Claudia Kuke

Die Ärztin Claudia Kuke warnt vor zu strengem Essverhalten

Ist eine gesunde Ernährung nicht sowieso die bessere Motivation als schnelles Abnehmen?

Natürlich! Und dafür sollte man in kleinen Schritten vorgehen. Die wenigsten können von heute auf morgen gleichzeitig Brot, Nudeln, Reis und Süßigkeiten reduzieren und auch noch das Fleisch weglassen. Weil sie nach wenigen Wochen denken: So kann ich nicht leben. Ich würde immer dazu raten, erst einmal eine Sache zu verändern. Indem man zum Beispiel nur das Frühstück umstellt. Auf fünfmal die Woche Müsli mit Obst. Und dafür gönnt man sich dann am Wochenende alles, was man vorher gerne gefrühstückt hat: Brötchen, eine Scheibe Salami oder Nutella.

Abnehm-Programme funktionieren häufig genau andersherum: Man installiert eine App und stellt komplett auf Low-Carb um. Samt Rezepten und Ernährungstagebüchern.

Ja, und diese Herangehensweise ist auch nicht falsch, weil sie Struktur gibt. Aber nicht für alle sind solche Standardprogramme der richtige Weg. Es geht ja immer um individuellen Bedürfnisse. Raten Sie mal jemandem, der keinen Fisch mag, er solle seinen Eiweißkonsum über Fisch optimieren, weil das in der Theorie das Beste für ihn wäre. Oder die Ernährungsapp schlägt Ihnen als Mittagessen einen Avocado-Toast mit gebratenem Lachs vor – aber so etwas gibt es nun mal bei Ihnen in der Kantine nicht. Und so scheitern Sie. Nicht, weil es Ihnen an Motivation fehlt, sondern weil alle diese Vorgaben im Alltag so schwer umzusetzen sind. Und dann fallen die Menschen erst recht in ihr altes Essverhalten zurück.

Viele Ernährungstipps muss man sich auch leisten können, oder?

Zu mir in die Praxis kommen nicht nur die Besserverdienenden, sondern auch mal ein getrennt lebender Vater mit Diabetes, der Alimente für zwei Kinder zahlt und dem in der Woche 40 Euro für Essen bleiben. Und davon kann man nicht tütenweise Mandeln oder ausgefallene Gewürze kaufen. Genug Geld für gesunde Ernährung zu haben, ist ein Privileg.

Wie finde ich einen Weg, eine gesunde Ernährung zu entwickeln, die zu mir passt und die ich durchhalte?

Ich halte ja viel davon, so etwas in einem persönlichen Gespräch zu klären, mit einem Ernährungsberater oder auch der Hausärztin. Weil es hilfreich ist, darüber zu reden, was man anders machen sollte. Und was man vielleicht gar nicht ändern muss. Wenn Sie morgens gerne einen Löffel Zucker in ihrem Cappuccino trinken, dann geht davon die Welt nicht unter. Schwierig wird es nur, wenn sie nachmittags immer ein Stück Torte dazu essen. Genau dieses Augenmaß – wo ist man diszipliniert, wann schlägt man über die Stränge – ist in Eigenregie schwer zu finden.

Nun stehen bestimmte Lebensmittel immer wieder in Verruf: Mal ist es die Butter, dann die Milch, dann der Kaffee. Fleisch soll durch vegetarische Produkte ersetzen werden. Die haben aber wiederum zu viel Zucker und zu viel Fett, sind also auch nicht ideal. Wie soll man da durchblicken?

Als Erstes sollte man sich von der Vorstellung lösen, dass es gute und böse Nahrungsmittel gibt. Essen ist immer etwas Gutes, Freude für die Sinne. Wir schmecken, wir riechen und wir sehen, wie das Essen aussieht. Wir hören die Chips krachen, auch deswegen essen wir die so gerne. Und genau so soll es ein. Trotzdem sind bestimmte Lebensmittel unterschiedlich zuträglich für unseren Körper. Die einen sind bessere Energielieferanten, andere sorgen für ausreichend Vitamine. Es kommt also auf das richtige Maß, auf die Ausgewogenheit an. Und was da gut funktioniert, muss jeder für sich ausprobieren. Ob ich auf etwas verzichten muss, hängt auch von meiner Gesundheit ab, ob ich also hohe Cholesterinwerte habe oder eine manifeste Arteriosklerose. Klar, dann würde ich auch weniger Butter essen. Ich würde deswegen aber nicht generell die Butter verteufeln.

Gilt das auch für Currywurst und Pommes?

Wenn sie sich nur von Currywurst oder nur von Pizza ernähren, ist das ungünstig. Aber wer isst nicht gerne mal ein Stück Pizza? Davon nimmt man keine fünf Kilo zu, und man bekommt auch nicht sofort einen Herzinfarkt. Oder Kaffee! Natürlich sollten sie keine zehn Kannen trinken, aber an sich ist gegen Kaffee nichts zu sagen. Auch ein Smoothie ist gut. Trotzdem ist es viel besser, sich die Zeit zu nehmen und Obst zu essen.

Die WHO rät, mehrmals täglich Nudeln, Reis oder Brot zu essen. Ist das noch zeitgemäß?

Nein. Sehr viele Menschen nehmen tendenziell zu viele Kohlenhydrate zu sich. Auch, dass Fett so verteufelt wird, halte ich für nicht gut. Sie brauchen Fett, wenn sie abnehmen wollen, Fett ist ein Geschmacksträger. Nur bei der Auswahl der Fette sollte jede und jeder wachsam sein und die tierischen Fette zumindest reduzieren.

Und stattdessen viel Olivenöl essen?

Ja, zum Beispiel, das ist ja Teil der sogenannten mediterranen Ernährungsweise, die als sehr gesund gilt.

Eine zu rigide Ernährungsweise gilt als Trigger für Essstörungen. Wie kann ich mich bewusst ernähren und mein Gewicht regulieren, mich aber trotzdem vor einer Magersucht schützen?

Das ist in der Tat eine sehr große Gefahr. Eine Essstörung gilt es auf jeden Fall zu verhindern. Nicht zuletzt durch Social Media ist der Druck auf junge Frauen enorm geworden, ihren Körper durch Sport und sehr strenge Ernährung zu optimieren.

Gibt es denn Schutzmechanismen?

Ich bin selbst auf der Suche danach. Und ich befürchte, dass es die nicht wirklich gibt. Deswegen stehe ich rigiden Ernährungsempfehlungen sehr kritisch gegenüber. Und würde auch immer davon abraten, sich jeden Tag auf die Waage zu stellen, auch wenn das für viele Menschen ein positiver Verstärker ist. Das persönliche Gespräch mit einem Arzt oder einer Ärztin kann sicher helfen. Eine App kann ja nicht sehen, wie verletzlich der Mensch ist, der sie bedient. Und: Manchmal ist die Akzeptanz des eigenen Körpers tatsächlich sinnvoller, als abnehmen. Sein Wohlfühlgewicht finden, unabhängig davon, was der überall verfügbare BMI-Rechner ausspuckt. Auch, wenn das einigen besonders schwerfallen mag.

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