„Headbangen hilft”Psychologin erklärt, wie man durch den zweiten Lockdown kommt

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Mann in Quarantäne auf dem Sofa

14 Tage Quarantäne auf dem Sofa auszusitzen ist keine Gute Idee. 

  • Ab Montag, 2. November, werden wir uns zurückversetzt fühlen in die Corona-Anfangszeit. Dann greifen die frisch beschlossenen Kontaktbeschränkungen.
  • Sich für diese Zeit einen neuen Alltag zuhause aufzubauen, bringt viele Herausforderungen mit sich.
  • Die Kölner Psychologin Meike Raabe gibt Tipps für Abwechslung und Bewegung in den eigenen vier Wänden, und wie man Konflikte mit der Familie verhindert.

Köln – Wer liebt sie nicht, diese Sonntage, an denen man nirgends hin muss. An denen nach Belieben mit der Familie auf der Couch gelümmelt werden kann und niemanden interessiert, ob man an diesem Tag den ältesten Pulli aus der hintersten Schrankecke gekramt hat.

Ganz anders sieht dieses Szenario aus, wenn aus diesem freiwilligen „Sonntags-Zuhause-bleiben“ eine Regel wird. Für mindestens vier Wochen. Die nächste Zeit im neuerlichen Lockdown wird zu einer riesigen Herausforderung: „Gesagt zu bekommen, an einem Ort bleiben zu müssen, engt uns ein. Das ist für uns in der westlichen Welt neu und irritierend“, sagt die Kölner Psychologin Meike Raabe. Aber zum Glück – denn wer weiß, wie viele Menschen diese Erfahrung noch werden machen müssen – ist diese Situation zwar irritierend, aber nicht ausweglos.

Dem neuen Alltag eine Form geben

Ein erstes, offensichtliches psychisches Gegenmittel laut Raabe: Sich bewusst zu machen, das wir entscheiden und gestalten können, wie wir mit der Situation umgehen und wie wir die Zeit im Lockdown oder in einer Quarantäne nutzen – ein Teil von Freiheit also, den man sich zurückholen kann. Hinzu kommt der rettende Gedanke: Zumindest eine Quarantäne ist zeitlich begrenzt.

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Meike Raabe.

Doch wie nun also dem neuen Alltag einen Sinn geben? „Eine Struktur kann sinnvoll sein, allerdings sollte nicht überstrukturiert, sondern mehr gestaltet werden“, sagt die Psychologin. Sollte von zu Hause noch im Homeoffice gearbeitet werden, könne man die verbleibende freie Zeit etwa einteilen in Koch-, Putz- oder Bewegungszeiten. Experimentierzeiten können helfen, etwas Neues auszuprobieren, wie auch bewusste Lümmelzeit, in der man sich Raum zum Entspannen nimmt. Das alles geht im Rahmen der eigenen vier Wände – und wenn es das Hüpfen auf der Stelle oder die Kniebeugen sind. „Festgelegte Aufgaben schaffen Struktur. Verabrede dich mit dir. Und erlaube dir nach getanen Aufgaben – ganz gleich ob die Maschine Wäsche oder das Skype-Gespräch für die Arbeit – etwas Freiraum“, rät Meike Raabe.

Kleine Aufgaben schaffen

Gibt es diese „Aufgaben“, ist das wohl der einfachere Fall. Aber auch scheinbar Aufgaben-lose können sich diese schaffen: Das Regal aufhängen, das immer noch in der Ecke steht. Die Schubladen von innen sauber machen. Und wenn auch für diese Dinge die Motivation fehlt? „Dann nimm dir eine Sache vor – am besten die Kleinste, die dir einfällt. Mehr ist nicht erlaubt. Dann ein Zeitfenster setzen und Musik dabei anmachen“, sagt Raabe.

Und ansonsten: Standort, Position, Haltung wechseln. Durch die Wohnung auf Zehenspitzen oder Fersen, hüpfend oder schwingend gehen. Mit kreisenden Armen, hochstreckten Händen. Auch so kommt man aus dem Trott, die gesamte Zeit auf der Couch zu sitzen oder im Bett zu liegen.

Zwischen Struktur und Headbanging

Wer in den eigenen vier Wänden noch Familie um sich hat, fühlt sich durch Gespräche und allein die physische Gesellschaft vermutlich nicht ganz so alleingelassen. Nicht jeder aber hat Partner, Kinder oder Haustier. Dass dann plötzlich etwas fehlt – ganz normal, sagt Meike Raabe: „Nimm ernst, dass dein Bedürfnis nach Kontakt wichtig und richtig ist! Suche Chaträume, die mit Themen zu tun haben, die dich interessieren. Nimm Kontakt zu Menschen auf, die du kennst, und sprich mit ihnen über Themen, die ihr festlegt, und nicht nur über Corona.“

Zwiegespräch kann zur Lösung von Konflikten beitragen

Für jene, die befürchten, sich buchstäblich die Köpfe einzuschlagen, hat Meike Raabe eine etwas abgewandelte Übung vom früheren Psychotherapeuten Michael Lukas Möller parat: Das sogenannte Zwiegespräch. Dafür setzt man sich als Paar – oder auch in jeder anderen Beziehung – zusammen und legt eine Uhr daneben. Jeder hat abwechselnd die gleiche Sprechzeit. Fünf bis sieben Minuten sind dabei laut Meike Raabe vollkommen ausreichend. „Ich-Botschaften sind die Grundlage, so dass sich jeder dabei selbst reflektiert und nicht den anderen anklagt – so kann man vielleicht verstehen, was sonst nicht gesehen oder gehört wird.“

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Trotz gemeinsamer Wohnung kann außerdem eine räumliche Trennung guttun – denn gerade während dieser besonderen Herausforderung werden womöglich die Fehler des anderen mehr gesehen als die eigenen. Ein Vorteil am intensiven Zusammenleben in dieser Zeit: Es kristallisiert sich womöglich auch heraus, was in Zukunft anders angegangen werden sollte. Und wie man Wichtiges von Unwichtigem in der Beziehung unterscheidet. „Und wenn gar nichts mehr hilft, versucht es mal mit abtanzen zu lauter Musik – und testet, was die Nachbarn so aushalten und zulassen. Oder Headbanging, schreien, ins Kissen boxen, im Bett hin und her wälzen...“

Die Crux von Gedankenkreisen

Womöglich umtreibt es den ein oder anderen schon seit inzwischen über einem halben Jahr: Kann Corona nicht abseits von Quarantäne, Maskenpflicht und Kontakteinschränkungen auch eine Chance sein? Vor allem in dieser intensiven Zeit mit sich selbst zuhause? Meike Raabe findet schon. „Diese Krise fordert uns, jeden einzeln und uns alle zusammen. Psychologisch geht es darum, jetzt nicht zu erstarren und die unsicheren Gefühle nicht zu groß werden zu lassen.“

Man könne sich mit neuen Themen beschäftigen, oder Dingen die man aus den Augen verloren hat – mit Lesen, Malen, die Selbstwahrnehmung erweitern. Aber vor allem bei Letzterem sei wichtig: „Verliere dich nicht in unendlichen Gedankenkreisen!“, sagt Raabe. Diese entstehen zum Beispiel, wenn uns reale, praktische Beschäftigung fehlt oder aufgrund von Themen und inneren Konflikten, die nicht richtig verarbeitet oder abgeschlossen wurden. Hilfsmittel: Laut und deutlich „Stopp!“ sagen, sich jeden weiteren Gedanken streng verbieten, und ablenken. Oder gar ein Wecker, der die Zeit des Grübelns begrenzt. Zweitens das strikte Trennen von Themen im eigenen Kopf. Die Frage etwa, ob wir in unserem Job noch zufrieden sind oder nicht, muss getrennt behandelt werden von der Frage, was wir gut können und was nicht.

Und passend dazu hat die Psychologin noch einen wichtigen Hinweis zur Zeit zu Hause – und vielleicht auch für die Zeit darüber hinaus: „Übe dich darin, wertzuschätzen, was du selbstmotiviert gemacht hast. Ob etwas ein Sieg ist, legen nicht andere fest.“ Wer sich nur damit beschäftige, was gerade nicht geht – Freunde sehen, einkaufen oder überhaupt nach draußen gehen – fördere das Gefühl, hilflos zu sein. „Beschäftige dich damit, was du gestalten und tun kannst. Es gibt viel zu entdecken!“, so Raabe.

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