Porno-Wissenschaftlerin„Sexuelle Fantasien sind oft alltagsfern und politisch inkorrekt“

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Madita Oeming befasst sich wissenschaftlich mit Pornografie.

Madita Oeming befasst sich wissenschaftlich mit Pornografie.

Madita Oeming erforscht Pornos wissenschaftlich und findet, dass wir offener damit umgehen und uns weniger schämen sollten.

Die meisten Menschen schauen Pornofilme wohl eher heimlich, sprechen mit niemandem darüber und schämen sich hinterher. Madita Oeming macht es ganz anders. Sie schaut Pornos nicht nur privat, sondern beschäftigt sich auch wissenschaftlich damit. An verschiedenen Universitäten analysiert die Amerikanistin mit Studierenden zum Beispiel die Bildsprache, Aufmachung, Geschlechterrollen und Kameraführung der Filme. „Im Grunde genauso, wie ich es auch bei anderen Medien machen würde. Obwohl die Herangehensweise an einen fünfminütigen Pornoclip natürlich eine andere ist, als wenn ich einen Kafka-Roman analysiere“, erklärt sie ihre Arbeit.

Angefangen hat alles, als sie in ihrem eigenen Studium zum Buch „Moby Dick“ recherchierte und ihr dabei immer wieder Pornos begegneten – vermutlich wegen des Wortes „Dick“, das im Englischen Penis bedeutet. Als sie auf einen Film stieß, in dem es auch um den Roman ging, änderte sich plötzlich ihre Sichtweise. „Obwohl ich schon viele Pornos gesehen hatte, wusste ich nichts darüber. Ich habe die Filme so unaufmerksam genutzt, dass ich gar keine Aussagen darüber treffen konnte, was dort eigentlich zu sehen ist“, erinnert sie sich.

Schnell erkennt sie, dass die Filme vielseitiger sind als gedacht. „Ich konnte nicht fassen, was für ein vielschichtiges Thema sich hinter diesem als unterkomplex und verwerflich abgetanen Medium verbirgt, sobald man all die Scham und Wertung beiseitelegt und einmal wirklich hinschaut“, schreibt sie in ihrem gerade erschienenen Buch „Porno. Eine unverschämte Analyse“. Viele Menschen hätten in Bezug auf Pornos vorgefertigte Meinungen, zum Beispiel, dass Frauen dort immer in unterwürfiger Haltung dargestellt seien und benutzt würden. „Kaum jemand überprüft, wie die Machtdynamik wirklich ist. Pornos sind viel vielfältiger als angenommen“, sagt sie. Bestimmte Szenarien wie Sex am Arbeitsplatz oder mit uniformierten Berufsgruppen scheinen sich dagegen als Evergreens seit Jahrzehnten zu halten.

Es gibt einen großen Unterschied zwischen Fantasie und Realität

Wer Pornos schaut, wird dabei womöglich von einer Szenerie erregt, die er oder sie in der Realität nicht erleben möchte. Das kann verstörend sein. Oeming zufolge ist es aber überhaupt nicht ungewöhnlich, dass Menschen etwas erregend finden, das sie im echten Leben nicht erleben oder unterstützen würden: „Die Forschung zeigt, dass sexuelle Fantasien von Menschen aller Geschlechter ganz oft alltagsfern, normverletzend, gewalthaltig und politisch inkorrekt sind.“ Es sei deshalb wichtig, zwischen sexuellen Fantasien und sexuellen Wünschen zu unterscheiden: „Fantasie ist etwas, was ich reizvoll in der Vorstellung finde, der Wunsch ist etwas, das ich gerne erleben möchte. Manche Dinge im Porno können zu einer Inspiration werden. Für die meisten Menschen genügt es aber, ihrer Fantasie auf dem Bildschirm nachzugehen. Sie wollen das gar nicht in echt erleben.“

Warum jemand von einer bestimmten Sache erregt wird, hat viele Gründe und lässt sich nicht immer ganz einfach erklären. Pornofilme seien wie andere Filme auch Inszenierungen, Unterhaltungsmedien – nur eben mit dem Ziel der Erregung. „Ebenso wie Daily Soaps sind auch Pornos keine Dokumentarfilme. Sie sind eine fiktionale Darstellung in Form von Übertreibungen, die nicht für sich in Anspruch nimmt, Wirklichkeit abzubilden, sondern unterhalten und stimulieren will“, schreibt Oeming in ihrem Buch.

Madita Oeming sitzt vor einer Wand mit Bildern.

Madita Oeming schaut sowohl privat als auch für die Arbeit Pornos und schämt sich nicht, darüber zu sprechen.

Manche Menschen schämen sich für ihre Fantasien

Diese Diskrepanz zwischen Fantasie und Realität kann zu Schuldgefühlen und Scham führen. Wer bemerkt, dass er zum Beispiel von Erniedrigungs-Szenen im Film erregt wird, spricht in der Regel mit niemandem darüber, weil er sich dafür schämt. Oeming: „In bestimmten Kontexten mag man zugeben, dass man Pornos schaut, aber welche, wie viele, auf welchen Seiten, geschweige denn mit welchen Sorgen, Fragen oder Sehnsüchten, das behalten die meisten Menschen für sich.“ Ein besserer Austausch über Porno-Konsum würde in ihren Augen dabei helfen, Scham- und Schuldgefühle abzubauen: „Wer weiß, dass auch andere Menschen von dieser oder jener Szene erregt werden, fühlt sich gleich besser. Vor allem dann, wenn diese Menschen die gleichen Werte haben wie man selbst.“

Dazu gehört für sie auch, dass sie selbst davon erzählt, dass sie nicht nur für die Arbeit, sondern auch privat Pornos anschaut – allerdings nur auf Seiten mit Bezahlinhalten. „Das gehört für mich zu einem ethischen Konsum dazu, dass ich weiß, dass die Menschen, die das Produkt hergestellt haben, auch davon profitieren und dass die Inhalte einvernehmlich produziert und hochgeladen wurden“, sagt sie. „Eins muss klar sein, mir geht es nicht darum, sämtliche Grenzen einzureißen“, ist Oeming wichtig zu betonen. „Natürlich muss niemand darüber reden, wer nicht will. Ich nehme nur einen enormen Leidensdruck wahr, weil so viele Menschen sich schämen.“

Der Redebedarf ist groß, die Scham ebenso

Wie groß der Redebedarf ist, bemerkt sie selbst andauernd, seit sie so offen mit dem Thema umgeht. Sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext kommen viele Menschen zu ihr, die über ihre eigenen Erfahrungen mit Pornografie sprechen wollen. „Es brodelt unter der Oberfläche. Bei mir werden die Geheimnisse, Bedürfnisse und Wünsche abgeladen. Das spricht Bände“, erzählt sie. Auch und gerade in Beziehungen seien Pornos oft Thema. Einerseits könnten sie Anregung oder Inspiration sein, andererseits gebe es oft Streit, wenn einer oder eine Pornos schaut und der oder die andere nicht. Oeming sagt dazu: „Wir müssen anerkennen, dass Masturbation ein Teil unserer Sexualität und keine Ersatzbefriedigung für Sex mit jemand anderem ist.“

„Pornos können eine kleine Auszeit sein“

Sie wünscht sich, dass Pornos kein Geheimnis mehr sein müssen und dass niemand für das abgewertet wird, was er oder sie sich gern ansieht: „Pornos können eine kleine Auszeit sein. Wie andere Unterhaltungsmedien auch können sie uns dabei helfen, berufliche oder private Sorgen kurz zu vergessen oder uns einfach nur einen Moment für uns selbst zu nehmen.“

Zum Weiterlesen: Madita Oeming: Porno. Eine unverschämte Analyse, Rowohlt-Verlag, 256 Seiten, 20 Euro | Paulita Pappel: Pornopositiv. Was Pornografie mit Feminismus, Selbstbestimmung und gutem Sex zu tun hat, Ullstein-Verlag, 201 Seiten, 16,99 Euro

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