Gönn dir!Wie man sein schlechtes Gewissen verbannt und genießen lernt

Wer rundum glücklich sein will, muss auch mal genießen können.
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- Unser Autorin spricht im Interview mit Psychologin Katharina Bernecker.
- Sie hat Antworten darauf, wie wir es schaffen, trotz Homeoffice irgendwann den Stift weg zu legen – und wie man ein Stück Torte ohne schlechtes Gewissen genießt.
Köln – Frau Bernecker, Sie plädieren dafür, Genuss wieder mehr wertzuschätzen. Warum?Katharina Bernecker: Genuss wird häufig als eine Art Gegenspieler betrachtet, als etwas, das uns davon ablenkt, wichtige Ziele in der Zukunft zu erreichen. Wenn wir beruflichen Erfolg, Gesundheit und ein langes Leben wollen, dann müssten wir uns disziplinieren, heißt es. In den letzten 20 Jahren sind in der Psychologie tausende Studien zum Thema Selbstkontrolle erschienen. Die generelle Annahme: Langfristige Ziele sind stets über kurzfristiges Vergnügen zu stellen, weil das zu einem zufriedeneren und erfolgreicheren Leben führt.
Und das stimmt so nicht?
Ich habe den Eindruck, dass wir über all das, was wir langfristig erreichen wollen, ein bisschen das Hier und Jetzt vergessen. Genuss wird als Versuchung beschrieben, für die man sich schuldig fühlen müsste. Das ist eine sehr einseitige Sicht. Es ist Zeit, hier umzudenken. Neben der Selbstkontrolle brauchen wir auch den Genuss. Das haben auch unsere Studien gezeigt.
Was waren die Ergebnisse?
Die Fähigkeit zu genießen, trägt mindestens ebenso viel zur Lebenszufriedenheit bei wie eine gute Selbstkontrolle. Eine unserer Studien hat sogar gezeigt: Menschen, die fähig sind, sich dem Genuss ganz hinzugeben, erleben nicht nur kurzfristig mehr Wohlbefinden, sondern weisen generell eine höhere Lebenszufriedenheit auf und erfahren auch weniger Symptome, die mit Stress, Depressionen und Angststörungen assoziiert sind.

Katharina Bernecker
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In der derzeitigen Corona-Krise müssen wir auf vieles verzichten, was uns sonst Genuss bringt: Partys, Theater, Reisen, Restaurantbesuche. Wie wirkt sich das aus?
Vielleicht haben manchen Menschen den Genuss eher in kleinen oder anderen Dingen zu Hause entdeckt. Es gibt aber einfach auch Einschränkungen, die sich nicht ausgleichen lassen. Am Ende sind Menschen einfach soziale Wesen und die Interaktion mit anderen ist ein wichtiges Bedürfnis, so dass vor allem während der Zeit des Lockdowns das Wohlbefinden vieler sicher sehr beeinträchtigt ist. Auch das Homeoffice kann die Fähigkeit zu genießen einschränken.
Inwiefern?
Es erschwert die klare Trennung von Arbeit und Freizeit, die für viele Menschen wichtig ist, um abzuschalten. Die Umgebung, in der man sich normalerweise erholt und genießt, wird plötzlich auch mit Arbeit und Leistung in Verbindung gebracht. Ich habe immer die Möglichkeit, mich doch noch mal an den Rechner zu setzten und weiterzuarbeiten.
Die Pandemie verschiebt normale Gewohnheiten
Kann man in der Pandemie überhaupt genießen?
Das hängt stark davon ab, wie persönlich betroffen, aber auch wie ängstlich jemand ist. Diese Krise hat viele Aspekte, die dem Genuss nicht zuträglich sind: Angst um die eigene und die Gesundheit der Angehörigen, Stress durch Homeschooling, Angst um den Job, Unsicherheit, wie es weitergeht. Menschen sind sehr verschieden darin, wie sehr sie so etwas an sich heranlassen. Das geht so weit, dass manche die Pandemie sogar leugnen und sagen: Corona gibt es nicht. Vielleicht wird vielen nach der langen Isolation aber auch wieder richtig bewusst werden, wie schön es ist, mit Menschen zusammenzukommen. Ein echter Genuss.
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Warum fällt das Genießen oft schwer?
Ein Grund dafür sind ablenkende Gedanken an Pflichten oder langfristige Ziele. Menschen, die nicht gut genießen können, haben Schwierigkeiten abzuschalten. Gönnen sie sich zum Beispiel mal ein Stück Torte, denken sie die ganze Zeit über die langfristigen Konsequenzen nach – also was das zum Beispiel für ihre Kalorienbilanz bedeutet. Sie bekommen ein schlechtes Gewissen und können den Moment nicht mehr genießen.
Gute Genießer können das schlechte Gewissen also besser unterdrücken?
Nein. Es ist eher so, dass bei Ihnen solche Gedanken erst gar nicht aufkommen. Sie können sich gut abgrenzen in dem Sinne: Jetzt genieße ich, später mache ich wieder etwas, das mir langfristig nützt. Menschen, die gute Genießer sind, können durchaus gleichzeitig erfolgreich darin sein, langfristige Ziele zu verfolgen.
Gibt es dafür Beispiele?
Ob jemand an einem sportlichen Ziel dran bleibt, lässt sich besser vorhersagen, wenn man ihn fragt: „Macht dir das Spaß, was du gerade tust?“ Das zeigt, dass Zielverfolgung nicht zwingend mit Askese und Sich-Knechten einhergehen muss. Im Gegenteil. Studien zeigen, dass wir länger an einem langfristigen Ziel dranbleiben, wenn uns die Verfolgung Spaß macht und wir uns dabei gut fühlen. Das Vergnügen trägt sogar mehr dazu bei, ob wir an etwas dranbleiben, als die Frage, wie wichtig uns das Erreichen des Ziels ist. Der beste Antreiber ist also nicht die langfristige Belohnung, sondern der unmittelbare Genuss und idealerweise geht beides Hand in Hand.
Wie man sich selbst kontrollieren kann
Dass Pausen und Erholung für die Produktivität und die Kreativität wichtig sind, ist aber doch bei vielen mittlerweile angekommen, oder nicht?
Das stimmt. Ich finde es aber schade, dass Regeneration hier auch oft als etwas betrachtet wird, das uns leistungsfähiger macht. Der Genuss wird mit dem Hintergedanken betrieben, dass er mich für die Zukunft effektiver macht. Anstatt mal zu sagen: Ich genieße das Hier und Jetzt, einfach nur so. Weil es gerade schön ist. Der gute alte Müßiggang.
Zur Selbstkontrolle sind auch Apps sehr beliebt. Sie zählen zum Beispiel Schritte oder messen die Qualität des Schlafes. Wie finden Sie das?
Solche Apps können ein tolles Mittel sein, wenn man ein bestimmtes Ziel erreichen will – etwa wenn es um die Gesundheit geht. Sie sagen mir allerdings nicht, ob ich die vielen Schritte, die ich getan habe, auch genossen habe. Auch in der Diskussion über gesunde Ernährung geht unter, dass das Essen auch ein Genussmittel ist, nicht nur ein Gegner, der uns hindert, schlank zu sein.
Könnte man so eine App nicht entwickeln?
Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Apps, die ausrechnen, wie viel Kalorien und Fett man beim Essen zu sich genommen hat, könnten dem Nutzer zum Beispiel auch mal die Frage stellen: Wie hat es denn eigentlich geschmeckt? Studien haben übrigens zeigen können, dass Menschen, die ihr Essen richtig genießen können, kleinere Portionen zu sich nehmen und gesünder essen. Genuss kann also Mittel zum Zweck sein und muss dem Ziel nicht zwingend entgegenstehen.
Was passiert denn in unserem Gehirn, wenn wir genießen?
Der Genuss wird in sehr tiefliegenden Arealen unseres Gehirns generiert. Es gibt ein paar wenige sogenannter „hedonic hotspots“ – das sind kleine Anhäufungen von Neuronen, die gemeinsam identifizieren, ob wir etwas mögen. Daneben gibt es in unserem Hirn ein sehr viel größeres System, wo wir Entscheidungen treffen und Überlegungen über die Zukunft anstellen. Dieser sogenannte präfrontale Kortex hat sich erst in jüngerer Zeit entwickelt und ist auch etwas, das uns von den Tieren unterscheidet.