In Sachen LiebeMein Mann und ich lieben uns, aber Sex haben wir nur noch selten – was tun?

Lesezeit 4 Minuten
Paar sitzt im Wohnzimmer, beide lesen für sich.

Den meisten Paaren fällt es schwer, über sexuelle Bedürfnisse zu sprechen.

Unsere Leserin fragt sich, ob und wie eine Sexualtherapie helfen könnte, wieder mehr Intimität in ihre Ehe zu bekommen. Das sagt die Expertin.

Mein Mann und ich sind schon seit vielen Jahren zusammen und wir verstehen uns gut, sind liebevoll im miteinander und im guten Austausch. Einzig das Thema Sex ist bei uns ausgeklammert. Er findet nur selten statt, darüber reden wir aber nicht. Könnten ein paar Sitzungen bei einer Sexualtherapeutin helfen, damit das nicht für immer so bleibt?

Um es direkt zu Beginn zu sagen: Ja, auf jeden Fall! Sexualität ist eine Fähigkeit, eine Kompetenz. Diese lässt sich – wie vieles im Leben – lernen, und das finde ich schon mal sehr beruhigend.

Gitta Arntzen

Gitta Arntzen

Gitta Arntzen ist Sexualberaterin und Seminarleiterin mit eigener Praxis in Köln und Neuss.

mehr

Nach meinen Erfahrungen als Sexualberaterin betrifft Ihre Frage viele Paare im Verlauf einer längeren Beziehung. Oft beginnen wir eine Beziehung mit verliebten Gefühlen, intensiven sinnlich, erotischen Erlebnissen. Aber im weiteren Verlauf muss sich die Beziehung dem Alltag und seinen Aufgaben stellen. Gerade Paare sind neben der Gestaltung ihrer Beziehung sehr stark eingebunden in berufliche Themen, das Zusammenleben mit Kindern und womöglich die Verantwortung für hilfsbedürftige Familienmitglieder. Die damit verbundenen Herausforderungen lassen sexuelle Begegnungen oft in den Hintergrund treten.

Den meisten Paaren fällt es schwer, über sexuelle Bedürfnisse zu sprechen

Spätestens dann wird für den einen Partner oder für beide deutlich, dass das sexuelle Miteinander Wünsche offenlässt oder Druck auslöst – oft mit Blick auf die Häufigkeit oder der Art der Gestaltung. Das hat nicht selten mit Erschöpfung zu tun, mit fehlendem Grundwissen um die eigene sexuelle Funktions- und Erregungsfähigkeit sowie die des Partners oder der Partnerin, mangelndem körperlichem Einfühlungsvermögen und nicht aufgearbeiteten Ereignissen der Vergangenheit. Im Verlauf der verschiedenen Lebensphasen können daraus Störungen, wie Erektionsprobleme, frühzeitige Ejakulation, mangelnde Lust oder Schmerzen beim Verkehr entstehen.

Von Jean-Yves Desjardins, einem kanadischen Psychologen und klinischer Sexologen, stammt „Sexocorporel“, ein Modell der sexuellen Funktionalität. Desjardins hat in verschiedenen Untersuchungen festgestellt, dass ein überwiegender Teil der sexuellen Probleme von Männern und Frauen auf mangelndem Basiswissen der menschlichen Erregungsfähigkeit zurückzuführen ist. Es fällt den meisten Paaren schwer, über sexuelle Bedürfnisse zu sprechen. Neben dem Gefühl von Scham fürchten sie, den Partner oder die Partnerin zu verletzen. Sie wissen nicht genau, was sie sich eigentlich wünschen oder finden nicht die passenden Worte.

In einer Paarberatung hat jeder und jede in einer vertrauensvollen Atmosphäre die Möglichkeit, zu äußern was er oder sie vermisst. Ich frage zum Beispiel sehr konkret nach den eigenen sexuellen Kompetenzen, den gemeinsamen Gewohnheiten und dem Wunsch nach Veränderung. Das ist für den jeweils zuhörenden Partner oft interessant und lehrreich, denn im privaten Miteinander wird in der Regel nicht so offen und detailliert kommuniziert.

Ein besseres Verständnis für unseren Körper und das sexuelle Erleben beruht auch auf der praktischen Erfahrung

Im Anschluss ergänze ich fehlendes Wissen, schlage aber auch Übungen sowohl für den Einzelnen als auch das Paar vor. Ein besseres Verständnis für unseren Körper und das sexuelle Erleben beruht auch auf der praktischen Erfahrung. Es geht darum, mit sehr konkreten sinnlichen Anleitungen sensibler, selbstbewusster und kreativer für das eigene sexuelle Erleben zu werden, um dann im Umgang mit dem Partner oder der Partnerin deutlicher zu spüren, was ich mir wünsche, was ich nicht mag, und mich dazu auch äußern zu können. Für das Paar ist es hilfreich und heilsam, sich behutsam wieder anzunähern, sich sensibel und zärtlich zu begegnen, bevor Sexualität stattfindet.

Wir haben heute die Chance, sehr lange als Paar miteinander zu leben. Menschen verändern sich im Laufe der Jahre, der Körper verändert sich und natürlich auch die Art und Weise, wie wir Sexualität leben möchten und können. Männer und Frauen haben die Fähigkeit, bis ins hohe Alter Sexualität genießen zu können, wenn sie bereit sind, sich den Gegebenheiten anzupassen, sie anzunehmen und sich dafür womöglich auch Hilfe zu holen.

Unser Team von Expertinnen und Experten beantwortet Ihre Fragen in der Zeitung. Die Psychotherapeuten Carolina Gerstenberg und Daniel Wagner sowie die Diplom-Psychologinnen Elisabeth Raffauf und Katharina Grünewald sind versiert in der Beratung rund um Liebe, Beziehung und Partnerschaft. Der Urologe Volker Wittkamp kennt sich mit allem aus, was Liebe mit unserem Körper macht – und umgekehrt. Und Sexualberaterin Gitta Arntzen hilft bei Fragen zu Sexualität.  Schreiben Sie uns, was Sie in der Liebe bewegt! Ihre Zuschriften werden anonymisiert weitergegeben. Schicken Sie Ihre Frage an: in-sachen-liebe@dumont.de.

KStA abonnieren