Blick hinter die KulissenSo entsteht das erfolgreichste Tanzspiel der Welt – „Just Dance“

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Ein Regisseur blickt auf einen Greenscreen mit mehreren Tänzern.

Das Tanzspiel „Just Dance“ wird im Herzen von Paris produziert, wo der Computerspielkonzern Ubisoft seinen Sitz hat.

Allein oder virtuell mit Freunden: Das Tanzspiel „Just Dance“ ist ein voller Erfolg. Aber warum genau ist das Spiel so erfolgreich? Und was steckt eigentlich hinter dem Boom rund um das Tanzen vor dem Bildschirm?

Ein Popsong muss vor allem leicht und unbeschwert wirken. Als wäre jemandem spontan eine Melodie eingefallen, zu der nun die ganze Welt tanzt. Dass dahinter meist harte Arbeit steckt, soll niemand merken. Diesen Anspruch haben auch die Videos in dem Tanzspiel „Just Dance“. In den „Maps“ genannten Clips machen einer oder mehrere „Coaches“ vor, welche Bewegungen man vor dem Bildschirm ausführen soll. Je präziser das Timing, desto besser die Bewertung durch die Software.

Und wie bei einem Popsong sind an der Entstehung jeder Map viele kreative Menschen beteiligt. Auch die Coaches sind keine am Rechner erstellten digitalen Charaktere, sondern echte Tänzerinnen und Tänzer, für deren Performance zu jedem einzelnen Song individuelle Choreografien entworfen werden müssen. Seit Teil eins wird die Reihe im Herzen von Paris produziert, wo der Computerspielkonzern Ubisoft seinen Sitz hat.

Ursprünge im Fitness-Boom, Erfolg dank Youtube und TikTok

Die Ursprünge von „Just Dance“ liegen im Boom der Bewegungs- und Fitnessspiele, der vor rund 15 Jahren einsetzte. Seither sind rund 18 „Just Dance“-Titel erschienen, mit mehr als 80 Millionen verkauften Exemplaren ist es das erfolgreichste Tanzspiel weltweit. Für die Version 2023 wurde der Online-Modus runderneuert. Hat man genug vom Solotanzen, kann man sich über die interaktive Plattform mit Freunden aus aller Welt treffen. Bis zu sechs Personen können sich gleichzeitig austoben, ganz egal, ob sie physisch anwesend oder über das Netz miteinander verbunden sind. 40 Songs sind im Grundspiel enthalten, ein Online-Abo für rund 25 Euro im Jahr ermöglicht den Zugang zu einem ständig erweiterten Fundus an Songs und Playlists. 150 Titel sind es zum Start. Das verbindende Element und die heilsame Wirkung des Tanzens sind für Claire Bourgne der Kern von „Just Dance“. Bei der Senior Producerin laufen alle Fäden der Produktion zusammen.

„Wir sind davon überzeugt, dass Tanzen Menschen verändern kann“, sagt Bourgne. „Endorphine werden ausgeschüttet, man fühlt sich wohler mit sich und im Umgang mit anderen. Dieser physische Effekt wirkt bis in die molekulare Ebene hinein und hilft einem dabei, besser mit seinem Leben zurechtzukommen.“

Youtube und Tiktok trugen erheblich zum Erfolg bei. Die Leute filmten sich beim Tanzen und stellten die Videos ins Netz. Dass nicht wenige davon unfreiwillig komisch sind, schmälert den Nachahmungseffekt nicht. Im Gegenteil. Wer sieht, dass auch andere weit von Perfektion entfernt sind, überwindet leichter seine Hemmschwelle. Tanzen als Kommunikationsmittel und zur Förderung von Resilienz – kein neuer Gedanke, der durch seine spielerische Umsetzung aber auf eine moderne, selbst chronische Tanzmuffel ansprechende Basis gestellt wird.

Doch welche Songs sollen in das Spiel aufgenommen werden? Auch hier spielen die sozialen Medien eine zentrale Rolle. „Unsere Fan-Community ist sehr lautstark, wenn es um das Äußern von Titelwünschen geht“, so Creative Director Matthew Tomkinson. „Wir schauen sehr genau auf alle Kommentare zu unseren Veröffentlichungen und nehmen uns Anregungen wie Kritik zu Herzen.“ Darüber hinaus gebe es Kontakte zu einzelnen Community-Mitgliedern, die um Input gebeten werden. „Ist eine Wahl getroffen, müssen wir schauen, ob die Lyrics eines Songs eine tragfähige Story für unsere Map liefern oder ob wir selbst eine erfinden müssen.“ In einer „Moodmap“ werden jene inhaltlichen und grafischen Elemente zusammengetragen, von denen die Grundstimmung des Videos und der darin gezeigten Kunstwelt definiert wird.

Kooperationen mit Künstlern

„Im Falle des Songs Physical von Dua Lipa haben wir nur den Titel und die Atmosphäre übernommen“, so Tomkinson. „Im Song geht es ursprünglich um Verführung, wir wollten aber mehr den Grundgedanken eines Fitness-Workouts betonen, denn darum geht es ja letztlich in unserem Spiel.“ Mitunter gibt es auch Kooperationen mit Künstlern. Bei der Umsetzung von „Anything I Do“ etwa war die Sängerin Billie Eilish zugleich als Creative Director beteiligt.

Stil und Choreografie werden zudem wesentlich durch Tänzer wie Jessy Oseux geprägt. Er ist Spezialist für Voguing, ein Tanzstil, der in den 70er-Jahren in der homosexuellen Subkultur in New York entstanden ist, und verkörpert einen blauhäutigen „Just Dance“-Coach mit dem skurrilen Namen Wanderlust. „Die Ausarbeitung einer Choreografie ist ziemlich anstrengend“, berichtet er. „Man muss sehr fokussiert sein und jede Änderung direkt umsetzen.“ Da die Spieler sich möglichst exakt an die Vorgaben der Coaches halten sollen, müssen alle Bewegungen sehr präzise sein.

Parallel dazu entstehen Kostüme und Make-up, die aufwändig und oft mit fantastischen Elementen versehen sind. Sie müssen ganz besonderen Ansprüchen an Material und Haltbarkeit genügen. Denn bei den späteren Aufnahmen darf kein Teil verrutschen oder die Schminke verlaufen, da das bei der Digitalisierung zu Problemen führen würde. Auch reflektierende Elemente sind tabu. Gefilmt wird nämlich vor einem sogenannten Greenscreen. Die Tänzerinnen und Tänzer werden später am Computer „ausgeschnitten“ und in eine digitale Umgebung eingefügt.„Die Tänzer sind das künstlerische Herz des Spiels“, betont die Choreografin Estelle Manas. Beim Choreografieren versuchen sie und ihre Kollegin Celine Rotsen-Kitsa, die Story des jeweiligen Songs nachzuerzählen und sich dabei mit den Map-Designern abzustimmen.

Trotzdem soll das Ergebnis möglichst zugänglich bleiben. „Wir wollen das Tanzen all jenen vermitteln, die normalerweise nicht die Möglichkeit haben, vor Publikum zu tanzen, oder sich einfach nicht trauen“, erklärt Manas. Die Herausforderung bestehe darin, Einsteiger ebenso zu berücksichtigen wie ambitionierte Tänzer.

Inspiriert von einer Showeinlage bei den Paralympics wurden sogar Maps für Rollstuhlfahrer kreiert. So kann man unter anderem zu dem „Radioactive“ von Imagine Dragons im Sitzen tanzen. Die Überwindung von Grenzen ist laut Choreografin Rotsen-Kitsa das übergeordnete Ziel des Spiels: „Die eigenen Ängste und Barrieren überwinden – das ist etwas, das man durch die Magie des Tanzens erreichen kann.“

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