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Köln in der Römerzeit„Reisst die Mauern ein, tötet alle Römer“

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Ein brutales Gemetzel: Germanen und Römern schlagen am Rhein aufeinander ein. Gemalt von Friedrich Tüshaus (1876)

Der Befehlshaber trug ein Hausgewand, als Legionäre ihn in seinem Schlafgemach fanden: „Sie begrüßten ihn als Kaiser und trugen ihn durch die belebtesten Straßen. Er hatte das Schwert des göttlichen Julius Cäsar aus der Scheide gezogen; das hatte man aus dem Tempel des Mars geholt, gleich als man ihn beglückwünschte, hatte ihm jemand dieses Schwert entgegengehalten.“ So beschreibt der römische Historiker Sueton eine Szene, die sich im Januar des Jahres 69 n. Chr. in Köln abgespielt haben soll – genauer gesagt: in der Colonia Claudia Ara Agrippinensium, wie die Veteranenkolonie seit kurzem hieß (abgekürzt CCAA).

Der Mann, den die Soldaten da feierten, war Aulus Vitellius, ein römischer Aristokrat, der erst einen Monat zuvor zum Kommandeur der niedergermanischen Legionen ernannt worden war. Seit dem Frühjahr 68 n. Chr. wurde das Imperium von Machtkämpfen rivalisierender Prätendenten erschüttert, ausgelöst durch eine Revolte gegen Kaiser Nero, die in Gallien ihren Anfang genommen hatte. Nach Neros Selbstmord konnte sich zunächst der spanische Statthalter Galba durchsetzen, ihn hatten seine Truppen zum Imperator proklamiert. Die obergermanischen Legionen weigerten sich aber, den Eid auf Galba zu leisten; und ihrer Meuterei hatten sich schließlich auch die vier am Niederrhein stationierten Legionen angeschlossen.

Er hatte das Schwert des göttlichen Julius Cäsar aus der Scheide gezogen.

Vitellius hatte sich durch äußerst leutseliges Verhalten bei den Legionären beliebt gemacht. Sueton schreibt, dass Vitellius „selbst gemeine Soldaten, die ihm begegneten, küsste und in den Ställen und Quartieren zu Maultiertreibern über alle Maßen freundlich war“. Der neue Kaiser, der den Beinamen Germanicus annahm, zog schließlich – „unter Unglück verheißenden Vorzeichen“ – mit einem Großteil der Legionen nach Italien, um den Kampf um Rom aufzunehmen; dort war Galba mittlerweile ermordet und vom Senator Otho abgelöst worden. Otho wiederum fand in der Schlacht bei Bedriacum den Tod, und Vitellius errichtete in Rom ein Schreckensregiment, das weder „göttliches noch menschliches Recht“ achtete, ihm stand, so Sueton, „der Sinn nur noch nach Genusssucht und Grausamkeit“. Und schon bald riefen römische Truppen im Osten des Reiches den vierten Kaiser innerhalb eines Jahres aus, ihren Befehlshaber Vespasian.

Diese Situation nutzten die Bataver, ein am Niederrhein siedelnder Germanenstamm, um die römische Fremdherrschaft abzuschütteln – an ihrer Spitze stand ein gewisser Julius Civilis, Präfekt batavischer Hilfstruppen, der wahrscheinlich ein Parteigänger des Vespasian war; ihm schlossen sich zahlreiche gallische Stämme an, später aber auch rechtsrheinische Germanen. Da römische Truppen in Neuss und Mainz mittlerweile kapituliert hatten, mussten sich schließlich auch die Kölner dem Druck der Aufständischen beugen: die Stadt, die den Sohn des Civilis zeitweise in „ehrenvoller Haft“ gehalten hatte, trat per Vertrag an die Seite der Rebellen, die von einem „imperium Galliarum“ (Reich der Gallier) träumten, das das römische ablösen sollte.

Doch trotz dieser Vereinbarung wurde seitens der germanischen Bundesgenossen des Civilis die Forderung laut, Köln solle entweder allen Germanen offen stehen „oder aber zerschmettert werden“, und „dann sollten aber auch die Ubier in alle Winde zerstreut werden.“ So berichtet der Geschichtsschreiber Tacitus in seinen „Historien“. Weil die Stadt „wegen ihres wachsenden Reichtums den rechtsrheinischen Völkerschaften geradezu verhasst war“, schickten die germanischen Tenkterer im Jahre 70 n. Chr. Boten nach Köln, die den Ubiern zunächst dankten, weil sie „in die Gemeinschaft Germaniens und der Freiheit“ zurückgekehrt seien. Dann aber kamen die Gesandten zur Sache: „Nehmt wieder Sitten und Brauch der Väter an! Die Mauern eurer Kolonie, dieses Bollwerk der Knechtschaft, reißt sie nieder! Macht alle Römer in eurem Gebiet nieder! Werdet wieder ein aufrechtes, unverdorbenes und von Knechtschaft freies Volk!“ In ihrer Antwort wiesen die Bewohner der „colonia“, die Agrippinenser, darauf hin, dass sie ja schon „socii“ (Verbündete) des Civilis seien. Der Abriss der Befestigungen würde die Stadt schwächen, in einem Augenblick, wo römische Heere zusammengezogen würden. Erst recht wiesen die Agrippinenser die Aufforderung zurück, die Römer zu töten – „diejenigen, die einst als Kolonisten hierher geführt wurden und durch Ehegemeinschaft mit uns verbunden sind und die, die seitdem geboren sind, haben hier ihre Heimat. Wir trauen euch nicht solch eine Unbilligkeit zu, von uns zu verlangen, unsere Väter, Geschwister und Kinder zu töten.“ Ubier und Römer seien zusammengewachsen – das war die Antwort, die das „concilium Agrippinensium“, die Ratsversammmlung der Kölner, den Tenkterern gab.

Wegen ihres Reichtums war die Stadt den rechtsrheinischen Völkerschaften verhasst.

Mit der Aussicht auf freie Markttage und Zollfreiheit konnten die Germanen schließlich hingehalten werden. Als sich das Blatt wendete und Kaiser Vespasian, der Vitellius besiegt hatte und endlich für stabile Verhältnisse im „imperium Romanum“ sorgte, nun die Niederschlagung des Aufstandes anordnete, wechselten die Agrippinenser bei nächster Gelegenheit wieder die Seite – und erlangten so die Nachsicht des Vespasian.

Das Gemeinwesen der Römer und Ubier, das 50 n. Chr. von Claudius und Agrippina zur Stadt erhoben worden war, hatte drei unschätzbare Standortvorteile: es lag in einer sehr fruchtbaren Landschaft, infolge der Stellung als Kolonie italischen Rechts gab es Steuervorteile für die Bevölkerung, und zum dritten waren in der Stadt und in ihrem Umfeld immer römische Truppen stationiert, was ein bedeutender Wirtschaftsfaktor war. Für das Selbstverständnis der Einwohner war aber auch wichtig, dass Zuwanderer aus vielen Teilen des Imperiums sich in der Veteranenkolonie niederließen. So kam einer der berühmtesten frühen Kölner, Lucius Poblicius, aus Apulien; er ließ für sich und seine Familie ein gewaltiges Grabmal – am heutigen Chlodwigplatz – errichten (das seit 1974 ein Blickfang des Römisch-Germanischen Museums ist). Der Sklavenhändler Aiacius, dessen Grabstein ebenfalls im RGM ausgestellt ist, stammte aus Etrurien oder Umbrien.

Nicht einmal ein Jahr währte die Regierungszeit des Aulus Vitellius, der im Januar 69 n. Chr. in Köln zum Kaiser proklamiert worden war. Nach dem Sieg über seinen Rivalen Otho entstand ihm in der Person des Flavius Vespasianus ein neuer Gegenspieler. Vespasian, der gerade Jerusalem belagerte, zog im Sommer mit Teilen der römischen Ostarmee nach Italien.

In der Schlacht von Bedriacum (bei Cremona) besiegte Vespasian die Truppen des Vitellius entscheidend; der geschlagene Kaiser, der sich durch seine Willkürherrschaft verhasst gemacht hatte, wurde von den Römern Ende Dezember 69 n. Chr. grausam zu Tode gefoltert, seine Leiche in den Tiber geworfen.

Angesichts des ungeheuren Aufschwungs, den die Stadt in wirtschaftlicher und baulicher Hinsicht genommen hatte, war es dann nur folgerichtig, dass Kaiser Domitian (81-96 n. Chr.), der Sohn des Vespasian, die Colonia Claudia Agrippinensium, die seit eh und je als Befehlszentrale des niedergermanischen Heeres diente, zur Hauptstadt der neugegründeten Provinz „Germania inferior“ (Niedergermanien) erhob. Die Grenzen der Provinz waren im Osten der Rhein, im Nordwesten das Rheindelta, im Süden bildete der Vinxtbach die Grenze zu Obergermanien. Die Provinz war durch zahlreiche Kastelle und Festungen gesichert, die wichtigsten waren Xanten, Neuss und Bonn. Niedergermanien wurde in den ersten Jahren von fähigen Statthaltern verwaltet; gleichzeitig begann eine ungewöhnlich lange Phase des Friedens am Rhein – über einen langen Zeitraum hinweg sollte Köln fortan in keiner historiographischen Quelle erwähnt werden.