Eingeschleppte ArtenTierische Invasoren sind in NRW zum Abschuss freigegeben

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Kanadagans

Kanadagans

  • Kanadagans, Waschbär und Halsbandsittich bereichern nur auf den ersten Blick unsere Fauna.
  • Die EU hat den Neozoen, also eingeschleppten Arten, den Kampf angesagt – mit drastischen Maßnahmen.
  • Ein Versuch in Leverkusen ging allerdings reichlich schief.

Köln – Wer eine Reise nach Neuseeland oder Australien gemacht hat, der weiß was es heißt, wenn der Mensch durch Auswilderung versucht, die Tierwelt nach seinem Geschmack zu gestalten. In Australien leben zig Tausende wilde Kamele, die mangels natürlicher Feinde auf dem heißen Kontinent viel Schaden anrichten. Heimisch sind sie nicht, sie sind die Nachkommen von Packtieren aus der Kolonialzeit, die die Briten aus Arabien mitbrachten.

Neuseeland war vor Ankunft der Europäer eine Insel ohne Landsäugetiere. Entsprechende Öko-Nischen wurden von Vögeln besetzt. Bodenpapageie wie Kakapos oder der flugunfähige Nationalvogel Kiwi wurden von eingeschleppten Mardern und Katzen bis an den Rand der Ausrottung getrieben. Eingeschleppte Hirsche aus Europa fressen ganze Wälder kahl. In Neuseeland hat man den Invasoren drastisch den Kampf angesagt. Hirsche werden vom Hubschrauber aus geschossen. Das aus Australien überführte Felltier Possum wird radikal mit Fallen gejagt – was als Naturschutz gilt. In manchen Bars kriegt ein Freibier, wer ein überfahrenes Possum mitbringt.

EU hat die Gefahr erkannt

So drastisch wie in Neuseeland ist es in Europa nicht, doch auch die EU hat die Gefahren erkannt, die von eingeschleppten Arten ausgehen. In der so genannten „Unionsliste“ invasiver Arten benennt die EU Tier- und Pflanzenarten, die mit ihrer Ausbreitung Lebensräume, Arten oder Ökosysteme beeinträchtigen und daher der biologischen Vielfalt schaden können. Sie wurde 2019 von 49 auf 66 Arten erweitert.

Halsbandsittich

Ein wildlebender Halsbandsittich

Allein in Deutschland sind 168 Tier- und Pflanzenarten bekannt, die nachweislich negative Auswirkungen haben. So viele Arten listet das Bundesamt für Naturschutz in seinem Managementhandbuch für invasive Arten auf. In der EU gehen Experten sogar von rund 12 000 gebietsfremden Arten aus, von denen 15 Prozent als invasiv eingestuft werden, und potenziell Schäden anrichten. Die EU hat sich das Ziel gesetzt, Mindeststandards zu definieren, um eine Vorbeugung, Früherkennung und Reaktion zu ermöglichen.

Dürfen Halsbandsittich und Grauhörnchen nun einfach abgeschossen werden? Ja und nein. „Invasive Gänsearten wie Kanada- und Nilgans oder der Waschbär dürfen geschossen werden, weil sie dem Jagdrecht unterliegen und wie heimische Arten Jagd- und Schonzeiten haben. Und sie müssen auch geschossen werden zum Schutz heimischer Arten“, sagt Torsten Reinwald, Sprecher des Deutschen Jagdverbandes. Der Verband kämpft dagegen, dass die Fallenjagd eingeschränkt und neue Schonzeiten für invasive Arten wie den Waschbären in Hessen eingeführt werden.

In Berlin verkauft ein Unternehmen Neozoen-Fleisch

Arten der Unionsliste wie Waschbär, Marderhund, Nutria oder Nilgans sowie Arten, deren Invasivität in Fachkreisen unbestritten ist und die daher Listenanwärter sind, wie etwa Mink (ein amerikanischer Nerz, d. Red.), müssen in allen Bundesländern jagdbar sein“, fordert Reinwald weiter. In Berlin haben Gründer die Vermarktung von Fleisch invasiver Arten zum Geschäft gemacht. Das Start-up Holycrab bringt Sumpfkrebs, Nilgans und Waschbär auf den Teller. Auch der biberähnliche Nutria ist essbar.

Auf alle invasiven Arten ist die Jagd aber nicht anwendbar. „Es gibt Gebiete im städtischen Raum, da kann man gar nicht schießen. Und eine Jagd auf den Halsbandsittich halte ich auch für unmöglich“, sagt Nabu-Artenschutzexperte und Biologe Tobias Krause, der sich wissenschaftlich mit dem Sittich auseinandergesetzt hat. Das bestätigen Erfahrungen aus Leverkusen. Dort hatte man versucht, die invasiven Halsbandsittiche mit Hilfe eines dressierten Falken zu jagen oder zu vertreiben. Doch die aggressiven Schwarmvögel jagten stattdessen den Raubvogel, der danach traumatisiert zurückblieb.

Hörnchenkrieg in Großbritannien

Wie umstritten der Kampf gegen invasive Arten werden kann, zeigt der Hörnchenkrieg in Großbritannien. Dort verdrängt das amerikanische Grauhörnchen das heimische rote Eichhörnchen. Prinz Charles rief dazu auf, die grauen Tiere zu fangen und zu töten, auch weil sie an die roten ein tödliches Virus übertragen. Dafür erntete er 2014 die harsche Kritik der Tierschutzorganisation Peta.

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Heute kommen rote Eichhörnchen in England nur noch in isolierten Restbeständen vor. Die Tiere verschwinden sowohl aus der Landschaft als auch aus den Köpfen: Inzwischen denken die meisten Briten bei „Eichhörnchen“ an ein graues Tier. Grauhörnchen im Garten sind ihnen so vertraut, dass sie sie nicht mehr missen möchten und dementsprechend wenig Verständnis für Bekämpfung haben.

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