Das Lebenswerk des Filmemachers Dietrich Schubert würdigt das Kurzfilmfestival Oberhausen mit einer Retrospektive.
FilmemacherMit Schweigen und Aufgesetztem gewann Dietrich Schubert das Vertrauen der Eifeler

Vor dem ehemaligen Bahnhof von Kronenburgerhütte verläuft heute der Kyllradweg. Als Dietrich und Katharina Schubert 1976 das Gebäude kauften, waren hier noch Gleise verlegt. Der Güter- und Militärtransport wurde ab Ende der 1980er-Jahre für einige Jahre noch einmal reaktiviert.
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Der im alten Bahnhof von Kronenburg lebende renommierte Dokumentarfilmer Dietrich Schubert wird in diesem Jahr 85 Jahre alt. Bei den Oberhausener Kurzfilmtagen wird er in diesen Tagen auch deshalb mit einer Retrospektive seiner Kurzfilme geehrt. Ein Besuch bei einem, der seinen Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung in der Nordeifel geleistet hat.
Wenn Dietrich Schubert von einem gestandenen Eifeler wissen wollte, wie das damals war mit der 1920 explodierten Munitionsfabrik Espagit in Hallschlag, oder mit den Zwangsarbeitern in der Eifel beim Bau des Westwalls ab 1938, dann hat er manchmal erst einmal gar nichts gesagt. „Wir haben uns an den Tisch gesetzt, ein Aufgesetzter wurde getrunken, und wir haben geschwiegen“, berichtet Schubert.
Das sei minutenlang so gegangen, manchmal auch viele Minuten. Doch mit dem gemeinsamen Schweigen und einem Schnaps sei dann Vertrauen entstanden. Die Eifeler spürten, dass er, der bekennende Linke aus Köln, der 1976 mit Ehefrau Katharina den alten Bahnhof gekauft hat, es ernst meint mit seinem Interesse. Dass er wirklich wissen will, wie es damals war.
Dietrich und Katharina Schubert bilden auch ein gutes Filmteam
Nein, dass der Eifeler an sich stur und verschlossen sei, das habe er nie erlebt, stellt Schubert klar. Dass die Einheimischen aber erst mal genau hinschauen, bevor sie sich öffnen, das schon. „Man hat mich immer wieder mal nach meiner Gesprächsführungstechnik bei den Dokumentarfilmen gefragt“, so der Filmemacher.
Um eine „Technik“ aber ist es ihm auch bei den 15 Eifelfilmen unter den 71, die er insgesamt gedreht hat, nie gegangen. „Ich bin deshalb Dokumentarfilmer geworden, weil ich mich für die Menschen interessiere. Denn Menschen bedeuten auch Geschichte und Geschichten.“ Die Kamera spielt dabei die Rolle eines zurückhaltenden, sachlichen Beobachters.

Im Treppenhaus hängt die Filmografie von Dietrich Schubert in Form von Filmplakaten, „Ein trefflich rauh Land“ (1987) über die Eifel gehört dazu.
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Ab 1967 dreht er bis 2013 Filme. Seit 2010 wird für ihn die Fotografie immer wichtiger, das Sujet immer mehr die Nordeifel rund um die Heimatadresse im alten Bahnhof von Kronenburgerhütte. Diese Bilder zeigen die Naturschönheiten der Eifel, die Landschaften im Wandel der Jahreszeiten. Sie sind auf ihre Art auch eine Spurensuche, wie die Dokumentarfilme zuvor.
Das Ehepaar Schubert bildet von Beginn an auch ein Filmteam: Dietrich dreht, Katharina ist für Exposés, Drehbücher und die Produktion zuständig. 2004 ziehen die Schuberts aus Köln endgültig in ihren Eifeler Bahnhof um. Die Domstadt ist für Dietrich Schubert zuvor über Jahrzehnte eine gute Adresse: Für den WDR, später auch das ZDF dreht er seit dem Ende der 1960er-Jahre vermehrt Dokumentarfilme. Seine Themen sind die Arbeitswelt, das Ruhrgebiet, Widerstand und Verfolgung in Köln während der Zeit des Nationalsozialismus. Es entsteht auch eine Würdigung der Gruppe „Edelweißpiraten“. Zwei Spielfilme gehören ebenfalls zur Filmografie. Ein filmischer Abstecher führt Schubert in die nordafrikanische Wüste.
Polizei vor der Tür: Das Politische seiner Arbeit hatte Folgen
Damals, so Schubert im Rückblick auf seine Dokumentarfilmarbeit, sei die Stimmung in den Senderredaktionen offen für Neues gewesen. Seine Filme seien sogar „zur besten Sendezeit“ im TV gelaufen.
In der Eifel angekommen, ändern sich zwar nach und nach die Filmsujets, der bekennende politisch Linke Schubert aber bleibt sich treu. Ihn interessiert nach wie vor das Leben der Bevölkerung vor Ort, vor allem seit dem Aufkommen der Eisenbahn in der Region. Themen sind die Zeit des Nationalsozialismus, die Judenverfolgungen in der Eifel, die Kriegs- und Nachkriegszeit.
Er hat der Region und ihrer jüngeren Geschichte ein Stück weit ein Gesicht gegeben.
Mit „Das Dampfross kommt“ von 1988 ist eine Spurensuche entlang und im Umkreis der Bahnstrecke Jünkerath-Losheim entstanden. Schubert schildert etwa die Anreise des preußischen Reichsinnenministers der nationalsozialistischen Regierung, Hermann Göring, 1938 per Bahn anlässlich der Einweihung der damaligen „Hermann-Göring-Malerschule“ im heutigen Haus für Lehrerfortbildung der Landesregierung. Es sollte bis 2016 dauern, bevor eine Gedenktafel am Eingang an die Vorgeschichte des Gebäudes in Kronenburg erinnert.
Dass Schubert sich mit seiner immer auch politisch verstandenen Arbeit nicht nur Freunde macht, erfahren er und Ehefrau Katharina etwa am 5. September 1977 nach der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer in Köln. Er sei mit Günter Wallraff befreundet, so Schubert: „Und der hatte einen Verfassungsschutzeintrag. Darin stand, dass ich bei ihm verkehre.“ So stehen kurz nach dem 5. September drei Polizeibeamte „mit schussbereiter MP“ (Schubert) vor dem Bahnhof in Kronenburgerhütte und durchsuchen das Gebäude. Schubert, der systemkritische Dokumentarist, hat wie viele andere aus der damals politisch linken Szene im Verdacht gestanden, Mitgliedern der RAF ein Versteck bieten zu können. Ein Irrtum.
Für seine Filme erhielt Dietrich Schubert zahlreiche Preise
Für Schubert folgen zahlreiche Teilnahmen bei allen bedeutenden nationalen und internationalen Dokumentarfilmfestivals und die ersten von bislang fünf Filmpreisen. Schon 1981 erhält Schubert einen Adolf-Grimme-Preis für „Steck lieber mal was ein“, eine über drei Jahre laufende Langzeitstudie eines Kölner Schülers, der nach der Schulzeit eine Lehre bei den Ford-Werken beginnt. Ebenfalls 1981 wird ihm der Preis der deutschen Filmkritik verliehen. 1985 folgt der erste Preis beim Wettbewerb der TV-Regionalprogramme der ARD, 1991 der Filmpreis des Landes Rheinland-Pfalz für „Nicht verzeichnete Fluchtbewegungen oder wie die Juden in der Eifel in die Freiheit kamen“, 2008 der Horst-Konejung-Preis.
Die Filmkamera hat der im August 85 Jahre alt werdende „Dokumentarist“, wie er sich bezeichnet, schon lange in die Ecke gestellt. Alle seine Filme sind im Filmmuseum Düsseldorf sicher eingelagert. „Er hat der Region und ihrer jüngeren Geschichte ein Stück weit ein Gesicht gegeben“, sagt Katharina Schubert über die Arbeit ihres Mannes in der Nordeifel.
Wenn dem so ist, dann weil Dietrich Schubert einigen Vertretern der mittlerweile kaum noch lebenden Zeitzeugen-Generation Platz für ihre Geschichte und Geschichten verschafft hat. Auch weil er einfach geschwiegen, zugehört und dabei den einen oder anderen Aufgesetzten getrunken hat.
Zur Person: Dietrich Schubert
1940 wurde Dietrich Schubert in Görlitz nahe der polnischen Grenze geboren. Als Kleinkind erlebte er 1943/44 mit der Familie die Flucht vor der anrückenden russischen Armee ins Allgäu, wo die Schuberts Unterschlupf auf einem Bauernhof fanden. Ende der 1940er Jahre dann ging es weiter nach Leverkusen. Der adoleszente Schubert wollte eigentlich Kapitän werden: „Doch ich habe es nur bis zum Leichtmatrosen geschafft.“
Neben einer Fotografenlehre und freien Mitarbeit in der Leverkusener Lokalredaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ formte sich der Beruf des Filmemachers durch „Learning by Doing“, wie Schubert es nennt,bei verschiedenen Kamera- und Regieassistenzen.
1963 drehte er mit „Reflex“ seinen ersten Experimentalfilm. „A & Z“ aus dem Jahr 1967 schaffte es schon zum Filmfestival im belgischen Knokke. 1968 begann er hauptberuflich mit dem Filmemachen – auch wenn das damals bedeutete, mit anderen Jobs das Geld für die Leidenschaft zu verdienen. Denn für Filme, wie Schubert sie drehte, gab es zunächst kaum einen Markt.
1972, beim Dokumentarfilmfestival in Leipzig, lernten sich Dietrich und Katharina Schubert kennen. 1975 reiste Katharina legal aus der DDR aus. Den Job bei der DEFA hatte sie, die zuvor Dramaturgie studiert hatte, an den Nagel gehängt. 1976 kaufte das Ehepaar den 1911 erbauten Bahnhof in Kronenburgerhütte. Die damalige Deutsche Bahn hatte ihn wie andere Immobilien an stillgelegten Strecken günstig zum Kauf angeboten. Im Fall des Bahnhofs der Schuberts wurden zwar Mitte der 1980er-Jahre die Gleise überraschend erneuert und es gab eine Wiederaufnahme der Güter- und Militärtransporte, doch im Jahr
2003 war dann endgültig Schluss. Die Gleise wurden abgebaut. Heute führt an Schuberts Bahnhof in der Eifel die Trasse des Kyllradwegs vorbei.
Retrospektive bei Filmfestival
Das Internationale Kurzfilmfestival Oberhausen würdigt das Lebenswerk von Dietrich und Katharina Schubert in der noch bis zum 4. Mai dauernden 71. Festivalausgabe mit einer großen Retrospektive seiner Kurzfilme. Die Retrospektive hat den Titel: „Dietrich und Katharina Schubert: Von der Kohle zu den Bäumen und nie zurück“.
Die Kuratoren der Retrospektive bei den Kurzfilmtagen, André Malberg und Lydia Kayß, sagen über Dietrich und Katharina Schubert: „Durch die genaue Beobachtung auch zu Beginn des eigenen Eifellebens noch fremder Lebenswirklichkeit in den Filmen Dietrich und Katharina Schuberts wird das Gemüt der Zuschauenden in Momenten filmischer Gedankenversunkenheit zur Reflektion von Existenzumständen und der kollektiven Vergangenheit sowie Erfahrung angeregt.“
Gerade dieser bedächtige Blick sei es, der auch ganz ohne erklärende Worte, einfach nach und nach einwirkend, die im Eigenen und den Alltagszwängen verhaftete Weltsicht aufbrechen könne. Und: „So ist beider Werk filmisch im besten Sinne – es steht jedem offen, versteht sich als Einladung zum geteilten Erleben, nicht als Belehrung.“