Viele Plätze, wenig AzubisDas sagt die Agentur für Arbeit zum Ausbildungsmarkt im Kreis Euskirchen

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Harald Stolz, Waltraud Gräfen, Ralf Holtkötter, Anja Daub und Georg Stoffels stehen zwischen Deko-Tischen im Hagebau-Markt.

Zu Gast im Hagebau-Markt von Harald Stolz (o.l.) waren Ralf Holtkötter (Geschäftsführer der Agentur für Arbeit Brühl, o.m.), Georg Stoffels (Handwerkskammer Aachen), Waltraud Gräfen (IHK Aachen, u.l.) und Anja Daub (Agentur für Arbeit Brühl, u.r.) Foto: Katrin Krause

Die Agentur für Arbeit Brühl beleuchtet die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt im Kreis Euskirchen. Im Ausbildungs-Jahr 2021/22 gab es mehr Ausbildungsplätze, wenig Bewerber und eine hohe Abbrecherquote.

„Die Schüler werden von den Schulen schlecht auf das Berufsleben vorbereitet“, sagt Harald Stolz, Inhaber des Euskirchener Hagebau-Marktes. Schüler würden häufig in ein Praktikum geschickt und säßen dann ihre Zeit ab. „Und die Zeugnisse aus den Corona-Jahren sind katastrophal“.

Der Notendurchschnitt der Bewerber liege oft zwischen 4,5 und 5. „Ein Bewerber aus Dresden hat sich mit einem Abiturschnitt von 4,7 beworben. Ich wusste gar nicht, dass das möglich ist. Aber wir haben ihn genommen und sind sehr zufrieden mit ihm.“ Stolz ist auch aufgefallen, dass die Bewerber immer älter würden.

Vor einiger Zeit seien Azubis noch mit 17 Jahren in das Berufsleben eingestiegen. Heute seien sie 20 Jahre alt. Stolz: „Jedes Elternteil rät seinem Kind dazu, zu studieren – oder zumindest dazu, Abitur zu machen.“ Danach gingen viele noch ins Ausland oder absolvierten ein Freiwilliges Soziales Jahr, um sich auszuprobieren. In seinen zwei Betrieben bildet Stolz in Erftstadt und in Euskirchen junge Menschen zu Verkäufern im Einzelhandel aus.

Kaum Bewerbungen während Pandemie

Doch in den Corona-Jahren habe es einfach keine Bewerber gegeben. Auch für das kommende Jahr sah es zunächst schlecht aus. Deswegen meldete der Ausbilder seinen Betrieb zur Last-Minute-Ausbildungsbörse der Agentur für Arbeit Brühl an. Jetzt sind seine drei freien Ausbildungsstellen für das kommende Jahr besetzt.

Doch der Hagebau Stolz ist nicht der einzige Ausbildungsbetrieb im Kreis, der händeringend sucht und auf vielfältige Probleme stößt. Viele Ausbildungsstellen Nach dem Ende des aktuellen Ausbildungsjahres zum 30. September habe es im Kreis Euskirchen noch 99 offene Ausbildungsstellen gegeben. Dem gegenüber standen 55 Jugendliche, die noch eine Ausbildungsstelle suchten, teilt Anja Daub, operative Geschäftsführerin der Bundesagentur für Arbeit Brühl, mit: „Es kommen also auf jeden Jugendlichen, der gerade sucht, noch zwei offene Ausbildungsstellen.“

Das Ausbildungsjahr in Zahlen

  • Das Ausbildungsjahr läuft vom 1. Oktober bis zum 30. September des nächsten Jahres. Doch auch nach Ablauf des 30. Septembers sind Betriebe noch auf der Suche nach Azubis. Im Kreis Euskirchen wurden für das Ausbildungsjahr 2021/22 insgesamt 946 Bewerber registriert, das sind 29 Bewerber mehr als noch im vergangenen Jahr.
  • Im Kreis Euskirchen standen der Bundesagentur für Arbeit im 2021 insgesamt 793 Ausbildungsstellen zur Verfügung.
  • Unbesetzte Ausbildungsstellen im Kreis Euskirchen sind unter anderem: Kaufmann//-frau im Einzelhandel, Verkäufer, Fachverkäufer, Bäcker, Fachkraft Lagerlogistik, Handelsfachwirtin, Zahnmedizinischer Fachangestellter und Hörakustiker.
  • Jugendliche, die eine Ausbildungsstelle suchen, können sich unbürokratisch unter der Tel. 0 22 51/ 79 79 79 melden.
  • Arbeitgeber, die eine Ausbildungsstelle anbieten möchten, können sich unter der Rufnummer 08 00/ 4 55 55 20 melden.
  • Jederzeit können sich Arbeitnehmer und -geber mit der Agentur für Arbeit in Verbindung setzen. (kkr) bruehl@arbeitsagentur.de

Auf der einen Seite sind das erfreuliche Nachrichten für den Kreis Euskirchen: „Was die Stellenanzahl angeht, haben wir schon fast wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht“, sagt Ralf Holtkötter, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit Brühl: „Es ist erfreulich, dass die Betriebe nach und nach ihre Zurückhaltung aufgeben, die sie noch in der Coronazeit an den Tag gelegt hatten.“ Obwohl es durch den Ukraine-Krieg und die Gaskrise noch einige Unsicherheiten gebe, sehen die Betriebe Holtkötter zufolge die Notwendigkeit, selber auszubilden. Denn nur so könne man dem Fachkräftemangel begegnen.

Schüler wollen nicht von Schule abgehen

Wenige Bewerber „Doch was die Bewerber angeht, haben wir noch lange nicht das Niveau erreicht, das wir vor Corona einmal hatten“, so Holtkötter. „Die jungen Menschen trauen sich einfach nicht“, sagt Waltraud Gräfen von der Industrie- und Handelskammer Aachen. Die Schüler drehten am liebsten noch eine Schleife in der Schule. Denn dort sei alles geregelt, dort müsse man sich nicht kümmern, nicht ins kalte Wasser springen. Zudem sieht Gräfen ein schwerwiegendes Problem darin, dass das Gymnasium zur Regelschule geworden ist.

70 bis 80 Prozent der Schüler gingen heute zum Gymnasium. Eltern schicken ihre Kinder Gräfen zufolge nach der vierten Klasse dorthin, auch wenn die Lehrer eine Realschullaufbahn vorschlagen. „Erstmal Abitur – und dann sehen wir weiter“, sei das Motto. Das führe dazu, dass die Jugendlichen bei Ausbildungsbeginn heute älter seien als vor einigen Jahren. Damals sei das Alter von 17 Jahren nach dem Realschulabschluss der Normalfall gewesen. Nach dem Abitur begingen viele junge Menschen dann ein Studium. Das sei nicht zielführend, sagt Gräfen.

„Wir brauchen zwar Akademiker, aber wir brauchen auch Facharbeiter.“ Zudem entschieden sich Studierende oft für einen Fachbereich, der in der Region gar nicht zu bedienen sei. So hat Gräfen selbst eine Auszubildende beraten, die Ägyptologie studiert habe, nun aber in der Region keinen Job finde. „Sie macht jetzt eine Ausbildung in einem Reisebüro. Aber sie könnte schon viel weiter sein.“

Wechsel sei leicht möglich

Bei einem großen Angebot an Ausbildungsstellen und wenigen Auszubildenden gebe es eben auch eine große Möglichkeit zum Wechsel, so Gräfen. Anja Daub bestätigt das: „Aktuell werden 28 Prozent aller Ausbildungen abgebrochen. Das ist eindeutig zu viel.“ Gräfen hat sich Gedanken über die hohe Abbrecherquote gemacht: „Die Auszubildenden haben so viele Möglichkeiten. Deswegen können sie es sich leisten, schneller wieder aufzuhören.“ Das sei zum Beispiel der Fall, wenn es in der Probezeit nicht richtig gut laufe. Wenn der Schüler sich unter seinem Beruf etwas anderes vorgestellt habe. Oder wenn man ein besseres Angebot von einem anderen Arbeitgeber bekommen habe.

In ihrer beratenden Tätigkeit habe Gräfen sogar schon das Argument gehört, dass der Fußweg zu der neuen Ausbildungsstelle kürzer sei als der zur alten. Lösungsansätze „Man darf nicht warten, bis bessere Jugendliche kommen“, sagt Holtkötter. Möglicherweise hätten die Auszubildenden bedingt durch die Corona-Jahre schlechtere Zeugnisse – schlechter, als man das als Arbeitgeber gern hätte.

Doch sollten Zeugnisse Holtkötter zufolge nicht mehr die höchste Maßeinheit sein. Es stellten sich viel mehr neue Fragen nach den jeweiligen Kompetenzen der Auszubildenden. Oder etwa die Frage, ob der Bewerber ins Team passe. „Jugendliche fallen auf dem Papier häufig durchs Raster“, sagt der Geschäftsführer. Aber er sagt auch, dass Betriebe sich genau diese Jugendlichen genauer ansehen sollten. Weiterhin sei es wichtig, den Jugendlichen eine Orientierungshilfe zu bieten in den über 300 Ausbildungsberufen, die es gibt.

Viele Ausbildungsberufe seien einfach nicht bekannt. Und: „Nur wenn man seine Möglichkeiten kennt, kann man sich auch bewusst entscheiden.“

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