Jüdische Opfer bleiben unvergessenKreis Euskirchen erinnert an Pogromnacht

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Viele Schüler beteiligten sich in Mechernich am Gedenktag der Pogromnacht am 9. November. Er begann mit einer Ansprache von Franz-Josef Kremer auf dem alten jüdischen Friedhof an der Straße Im Steinrausch.

  • Über 100 Bürgerinnen und Bürger nahmen in Mechernich an der Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht am 9. November 1938 teil.
  • Zur Vorbereitung haben Schülerinnen und Schüler die Gräber auf dem Alten Jüdischen Friedhof von Laub befreit.
  • Franz-Josef Kremer von der St. Johannes Baptist Kirchengemeinde in Mechernich erinnerte an das Schicksal der jüdischen Gemeinde in Mechernich.

Mechernich/Euskirchen/Weilerswist – Mehr als 100 Teilnehmer nahmen in Mechernich an der Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht am 9. November 1938 teil. Schon am vergangenen Montag hatten die Vorbereitungen für die Gedenkveranstaltung auf dem Alten Jüdischen Friedhof begonnen.

„Um die Toten und ihre Gräber zu ehren, haben wir drei Stunden lang Laub zusammengekehrt“, so Raphaela. Sie ist Schülerin der Klasse 10a an der Gesamtschule Mechernich. Ganz zufällig war die freiwillige Aktion von insgesamt einem Dutzend Schülern nicht, die Schule hat in Nachfolge der Hauptschule die Pflegepatenschaft für die Friedhofsanlage übernommen.

Über 70 Schüler dabei

Die Klasse 10a und die Parallelklasse 10c der Gesamtschule hatten zudem mit den Lehrern Ralf Hennecke und Alexandra Ackermann im vergangenen September eine Studienfahrt nach Lidice und Terezin (Theresienstadt) unternommen. Dort hatten sie die Stätten besichtigt, die an die Zerstörung eines Dorfes durch die nationalsozialistische Gestapo, SA und SS erinnern. Auch hatten sie das Ghetto-Museum in Terezin besucht.

So war es kein Zufall, dass unter den zahlreichen Teilnehmern des Gedenkgangs zur Erinnerung an die Pogromnacht mehr als 70 Schüler waren. „Das ist keine schulische Veranstaltung, die Schüler und Schülerinnen machen das freiwillig“, betonte Lehrer Hennecke.

Franz-Josef Kremer von der St. Johannes Baptist Kirchengemeinde in Mechernich jedenfalls hatte „eine so große Zahl junger Menschen bei einer Pogromveranstaltung seit mehr als 20 Jahren nicht erlebt“, wie er feststellte.

Mechernicher Synagoge in Brand gesetzt

Kremer erinnerte zunächst an das Schicksal der einstigen jüdischen Gemeinde in Mechernich: „1936 fand auf dem Friedhof die letzte Beerdigung statt. Danach ist die jüdische Gemeinde Mechernichs untergegangen. Sie ist vernichtet worden. Nur einer Minderheit gelang die Flucht.“ Am 9. November 1938 brannte nicht nur die Mechernicher Synagoge, sondern auch ein Kaufhaus, dessen Inhaber die Brandstifter der Unterstützung der jüdischen Bevölkerung bezichtigten.

An sie erinnert heute in Mechernich neben dem Gedenkstein unweit der einstigen Synagoge nur noch der vermutlich 1847 angelegte Friedhof. Hier stehen noch 43 Grabsteine, vereinzelt und in Reihen. Kremer mahnte in der Folge – unter dem Eindruck der jüngsten rechtsextremistischen Gewalttaten wie der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 2. Juni und der beiden Toten des versuchten Massenmordes in Halle vom 9. Oktober – „dass es zwar eigentlich unvorstellbar war, aber wir sind tatsächlich wieder so weit, dass eine aufrechte Haltung gegen Rechts das Leben kosten kann“.

Umso notwendiger sei es, Widerstand zu leisten. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an die verschiedenen Widerstandsgruppen gegen den Nationalsozialismus, etwa den aus den Reihen der Wehrmacht um Graf von Stauffenberg oder den „Kreisauer Kreis“. Kremer zitierte den damaligen SPD-Abgeordneten Otto Wels (1873-1939), der für seine Fraktion im Reichstag die Ablehnung des sogenannten „Ermächtigungsgesetzes“ am 23.März 1933 mit dem berühmt gewordenen Satz begründete: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“.

420 rechtsextreme Übergriffen in NRW

Nach dem Auftakt im Friedhof wurde der Gedenkgang mit Stationen in der Gesamtschule und am Gymnasium am Turmhof fortgesetzt. Auch in der Mensa der Gesamtschule in Euskirchen fand am Samstag eine Gedenkveranstaltung anlässlich der Opfer der Pogromnacht statt. Bürgermeister Dr. Uwe Friedl richtete seine Eröffnungsrede nicht nur an die versammelten Gäste, sondern an alle Mitmenschen, denen Frieden wichtig ist. 

Stolpersteine gereinigt und poliert

Vor der Pogromnacht haben Mitglieder der Weilerswister SPD die Stolpersteine an der Kölner Straße in Weilerswist sowie am Schweinemarkt und in der Zunftgasse in Lommersum vor den Wohnhäusern der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus gereinigt und aufpoliert. Diese sollen die Erinnerung an die ehemaligen Mitbürger wach halten.

„Diese Nacht stellte eine brutale geschichtliche Zäsur dar“, so Daniel Rudan, Vorsitzender der Weilerswister SPD. „Der Terror gegen unsere jüdischen Mitmenschen wurde immer vehementer und mündete schließlich im schlimmsten Verbrechen der neueren Geschichte.“ Die 20 Stolpersteine in Weilerswist seien heute „Mahnmale gegen Menschenhass, gegen eine Ideologie der Ausgrenzung und auch gegen Gleichgültigkeit“, sagte Rudan weiter.

„Gerade heute, da sich der rechtsextreme Rand in Deutschland unter dem Deckmantel einer demokratisch gewählten Partei zu etablieren versucht, dürfen wir nicht wegsehen und müssen ein Zeichen setzen.“ (smh) 

Auf etwa 24 000 werde die Anzahl der Träger rechtsextremen Gedankenguts in Deutschland geschätzt, sagte er. Ein Gedankengut, dessen Werk im vergangenen Jahr allein in NRW zu 420 Übergriffen auf jüdische Mitbürger geführt habe. Oder zum Tod zweier Menschen in Halle vor nur einem Monat. „Erschreckend“, wie Friedl meinte, „traurig und beschämend zugleich!“

Der Bürgermeister machte ausdrücklich klar, dass die Tatsache, dass nur die Tür der Synagoge in Halle und nicht etwa wachsame Mitmenschen oder die verantwortungsvolle Gesellschaft eine noch größere Tragödie verhindert hätten, eine erschreckende Parallele zur damaligen Situation darstelle.

Gemeinsames Gebet

Im Rahmen der Veranstaltung haben auch Schüler der Gesamtschule Euskirchen, der Marienschule und des Emil-Fischer-Gymnasiums ihre unterschiedlichen Projekte vorgestellt: Patenschaft über die Stolpersteine in der Stadt, philosophische Auseinandersetzung mit der Frage, warum es noch Menschen gibt, die an der NS-Doktrin festhalten, und das Erinnern an das tragische Schicksal von Eltern und Kindern, die durch den gewaltsamen Tod voneinander getrennt wurden.

Den Abschluss der Gedenkveranstaltung gestalteten Pfarrer Edgar Hoffmann als Vertreter der evangelischen und der Pastoralreferent Robert Sins der katholisch Stadtpfarrei Euskirchens. In einem gemeinsamen Gebet gedachten die beiden Geistlichen der Opfer des Holocausts und führten anschließend die Lichterprozession von der Neustraße in Richtung Annaturmplatz zum Denkmal der ermordeten jüdischen Mitbürger. Etwa 150 Menschen nahmen daran teil und erhellten den Weg mit Kerzen, die sie in der Hand hielten.

Dort, wo einmal die Euskirchener Synagoge stand, erwiesen die Anwesenden durch ein auf Deutsch von Pfarrer Hoffmann vorgetragenes jüdisches Gebet und eine Schweigeminute den Opfern der Nationalsozialisten ihre Ehre.

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