DigitalisierungDrei Monate E-Rezept-Pflicht – Akteure im Kreis Euskirchen ziehen Bilanz

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Ein Kunde schiebt seine Gesundheitskarte in ein Lesegerät.

Nach einer langen Hängepartie haben sich Vertreter des Gesundheitswesens auf die weiteren Schritte zur Einführung des E-Rezepts geeinigt. Seit 1. Januar ist es Pflicht.

Vor drei Monaten wurde das E-Rezept Pflicht. Die Akteure im Kreis Euskirchen ziehen eine erste Bilanz. Sie fällt in Teilen kritisch aus.

Frank Gummelt kann dem E-Rezept einiges abgewinnen. „Es ist schon eine Entlastung“, sagt der Mechernicher Arzt und Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung im Kreis Euskirchen (KV). Weniger Papier und weniger Hand-zu-Hand-Kontakte, was die Ausbreitung von Krankheiten verringere, zählt Gummelt einige der Vorteile auf. Die Drucker machten auch nicht mehr so viel Krach. Aber, schränkt Gummelt ein, es gebe auch noch einige Schwachstellen.

Seit Anfang des Jahres ist das elektronische Rezept Pflicht. Das erste Quartal ist also geschafft. Zeit für eine erste Bilanz. Frank Gummelt gehört zu der Berufsgruppe, die das digitale Rezept ausstellt, Dr. Thomas Göbel zu der, die es hinterher einlösen muss. Der Sprecher der Apotheker im Kreis Euskirchen sieht ebenfalls einige Vorteile des neuen Systems, aber auch die Tücken im Alltag.

„Wir Apotheker haben uns nie quergestellt bei dieser Entwicklung“, sagt Göbel. Umso enttäuschter zeigt er sich über die Umsetzung des Vorhabens. Es gebe noch viele Kinderkrankheiten, die hätten vermieden werden können, so Göbel: „Im Grunde hat man eine Lösung, die im vergangenen Jahr weitgehend gut funktioniert hat, sehr schnell, vielleicht zu schnell skaliert auf die Versorgung der gesamten Bevölkerung“, bilanziert er.

Sprecher der Apotheker im Kreis Euskirchen übt Kritik an Umsetzung

„Klar, jede neue Technik hat Kinderkrankheiten“, konstatiert der Apotheker: „Ich finde aber, dass solche Kinderkrankheiten bei einem System, das 80 Millionen Leute versorgen soll, nicht passieren sollten.“

Die hätten mit mehr Testläufen vermieden werden können, findet Göbel. „Vor ein paar Wochen hatten wir die Nachricht erhalten, dass an einem Samstag eine Wartung des Zentralservers stattfindet und kein E-Rezept abrufbar ist. Das darf doch nicht passieren.“ Überhaupt versage die Technik (noch) zu oft, das hebe nicht gerade die Stimmung – sowohl vor als auch hinter der Theke.

Dr. Thomas Göbel in seiner Apotheke, hinter ihm sind Regale mit Medikamenten zu sehen.

Dr. Thomas Göbel, Sprecher der Apotheker im Kreis Euskirchen, bemängelt die häufigen technischen Ausfälle.

Größere Ausfälle der Technik hat Frank Gummelt nicht zu verzeichnen. „Meine Telematik ist in dem Quartal zweimal für wenige Stunden in der Zeit ausgefallen, in der ich sie nutzen wollte. Das ist zwar blöd, aber in der Zeit kann ich immer noch auf das Muster 16 umsteigen“, sagt der Internist.

Muster 16 – das sind die alten rosafarbenen Druck-Rezepte, die eigentlich mehr und mehr der Vergangenheit angehören sollten, die aber, unter anderem, wenn es an der Technik hapert, aus der Schublade gezogen werden. Damit könnten dann Ärzte und Apotheker so lange arbeiten, bis die Technik wieder funktioniere, sagt Gummelt.

Vieles muss sich wohl noch einspielen. Auch die Patientinnen und Patienten haben nicht nur gute Erfahrungen mit dem neuen Verfahren gemacht. So kann es passieren, dass man die Praxis verlässt, hoffnungsfroh mit der Gesundheitskarte in die nächste Apotheke läuft – und erstmal nichts erhält.

Mechernicher Arzt erklärt, warum noch viele Rezepte gedruckt werden

Einige Ärzte, so Apotheker Göbel, seien es aus der Vergangenheit gewohnt, einen Teil der Rezepte erst am Abend nach der Sprechstunde zu unterschreiben, weil die Patienten sie dann am nächsten Tag in der Praxis abholen kamen.

Das habe für Apotheken in größeren Städten in der Nähe von Facharzt-Praxen unangenehme wirtschaftliche Folgen. „Es fährt ja niemand am nächsten Tag, wenn das Rezept elektronisch signiert ist, zurück in die Stadt, um es dann einzulösen“, sagt Göbel. Er wisse von Apotheken, die habe dieses Problem ein Drittel des Umsatzes gekostet.

Es kommt immer darauf an, wie und vor allem wann der Arzt das E-Rezept signiert.
Frank Gummelt, Vorsitzender Kassenärztlichen Vereinigung im Kreis Euskirchen

Auch Gummelt kennt die Problematik. „Es kommt immer darauf an, wie und vor allem wann der Arzt das E-Rezept signiert“, sagt er. Ein Arzt oder eine Ärztin könnte natürlich jedes Rezept einzeln elektronisch signieren: „Da tippt man sich auf dem Computer aber dumm und dusselig.“ Im Zweifel verlängere das auch die Wartezeiten für die Patienten.

Er persönlich, so Gummelt, nutze in seiner Praxis die Möglichkeit der sogenannten Komfort-Signatur: „Ich signiere morgens ein Rezept und teile dem System mit, dass es automatisch auch die nächsten 150 Rezepte signiert.“ Bei Rezept 151 frage der Computer dann schon mal freundlich nach, aber auch das lasse sich lösen. Der Patient jedenfalls könne das Rezept sofort einlösen, nachdem er die Praxis verlassen habe. Sofern es, wie gesagt, mit der Technik klappt.

Das Bild zeigt Frank Gummelt.

Sieht viele Vorteile beim E-Rezept, auch wenn es in der Umsetzung noch hier und da an der Technik scheitere: KV-Kreisvorsitzender Frank Gummelt.

Das Rosa-Rezept habe aber auch aus anderen Gründen noch nicht ganz ausgedient, auch wenn es nur noch in Ausnahmefällen genutzt werden solle. „Im ärztlichen Fahrdienst etwa habe ich ja gar keine andere Möglichkeit“, berichtet Gummelt aus dem Alltag. Er könne in der Praxis auch ein E-Rezept ausdrucken, das sei aber ohnehin technisch nur möglich, wenn es auch elektronisch signiert sei. „Dann bekommt der Patient ein DIN-A4-Blatt mit einem Code“, erklärt der Mediziner.

Privatpatienten erhalten bis auf Weiteres gedruckte Rezepte

Auch das sollte die Ausnahme sein. Für diesen Code-Ausdruck brauche es schon einen vernünftigen Laserdrucker, der reichlich Toner verschlinge –  bei der großen Zahl an Rezepten, die in einer Praxis so anfallen, ist das also auch eine Kostenfrage. Ein Grund für die Einführung des E-Rezepts waren schließlich der geringere Papierverbrauch und die damit verbundene Schonung der Umwelt.

Für Patienten, die bettlägerig sind, ist das aktuelle Verfahren auch noch keine große Hilfe. „Darum erhalten meine Hausbesuchspatienten und die Patienten, die ich in Pflegeeinrichtungen betreue, automatisch den Code-Ausdruck“, sagt Gummelt: „Die Leute müssen ja versorgt werden.“ Das hat den Vorteil, dass das Personal der Einrichtung die Abholung des Rezepts in der Praxis übernehmen und die Einlösung in der Apotheke koordinieren kann.

Die Hemmschwelle ist bei den Jüngeren etwas geringer. Aber dass die älteren Menschen alle gemeckert hätten, kann man nicht sagen.
Dr. Thomas Göbel, Sprecher der Apotheker im Kreis Euskirchen, über das E-Rezept

Vor der ersten Rezeptur sollte aber in jedem Quartal die Karte eingelesen sein. Auch das mache in der Regel das Personal der Einrichtungen, so Gummelt: „Oder ich mache das, wenn ich in der Einrichtung bin.“ Ist die Karte eingelesen, vereinfacht das neue Verfahren vieles, zum Beispiel bei Dauermedikationen. Auch Online-Apotheken brauchen den Rezept-Code, der ausgedruckt werden muss, wenn die Patienten keine App nutzen möchten.

Gut sei, so Frank Gummelt, dass die Mediziner seit dem 1. April auch die „grünen Rezepte“ elektronisch ausstellen können. Bis Ende März mussten Verschreibungen von Medikamenten, die apotheken-, aber nicht rezeptpflichtig sind, wie etwa Nasenspray oder Paracetamol, noch ausgedruckt werden. „Wenn man das Update aufgespielt hat, geht das jetzt auch elektronisch“, erklärt der KV-Kreisvorsitzende:  „Ich habe das direkt mal versucht. Es funktioniert.“

Auch für Privatpatienten ist das neue Verfahren nur bedingt tauglich. „Sie erhalten weiterhin gedruckte Rezepte – schlicht, weil die meisten gar keine Karte haben“, erläutert Gummelt. Das solle sich auch noch ändern, dauere aber wohl noch etwas. Auch Betäubungsmittel-Rezepte müssten noch ausgedruckt werden, so der Arzt. „Bis auf wenige Einzelfälle läuft es ganz gut“, lautet seine erste Quartalsbilanz zur E-Rezept-Pflicht.

„Ich habe das Rezept auf der Karte“: Dieser Satz stimmt nicht ganz

Für die Apotheken sei die Umstellung mit einigem Aufwand verbunden gewesen, sagt Dr. Thomas Göbel. Neben der Anschaffung von Lesegeräten mussten die EDV, die Hardware und die Verwaltung umgestellt werden. Dafür haben die Apotheken einen Pauschalbetrag erhalten: „Ob das im Einzelnen immer kostendeckend ist, sei mal dahingestellt“, so Göbel.

Das E-Rezept werde alles in allem von den Patienten und Kunden ganz gut angenommen. „Die Hemmschwelle ist bei den Jüngeren etwas geringer. Aber dass die älteren Menschen alle gemeckert hätten, kann man nicht sagen“, stellt Göbel fest. Der häufige Ausfall der Technik sei aber alles andere als eine vertrauensbildende Maßnahme. 

Dann nämlich helfe auch die E-Gesundheitskarte nicht. Zwar habe sich der Satz „Ich habe das Rezept auf der Karte“ eingebürgert, doch technisch betrachtet stimme das nicht ganz.  „Die Karten sind nur der Schlüssel, mit dem man die Daten vom zentralen Server abrufen und freischalten kann“, stellt Göbel klar. Auf denen befinde sich das Rezept.

Wenn aber die Technik gut laufe, sei genau das der Vorteil, sagt Frank Gummelt und weist auf die neuen Möglichkeiten hin: „Wenn Sie in den Schwarzwald fahren und stellen plötzlich fest, dass Sie Ihr Blutdruckmedikament vergessen haben, dann rufen Sie bei mir an, ich kann das Rezept signieren und Sie können das Medikament auch im Schwarzwald kaufen.“ 


AOK-Regionaldirektor sieht große Vorteile beim E-Rezept und bei der E-Gesundheitsakte

Die Einführung des E-Rezepts sei „sinnvoll“, erklärte der Regionaldirektor der AOK Rheinland/Hamburg, Helmut Schneider. Bedauerlich sei nur, dass es mit der Technik zuweilen noch hapere. Dennoch sei die Einführung ein weiterer Schritt in die Digitalisierung gewesen, die den Patienten nutze. Auch für Heimbewohner, denen das E-Rezept noch nicht allzu sehr weiterhilft, zeichne sich eine Lösung ab, damit die Pflegeheime für ihre Bewohner E-Rezepte einlösen können.

Schneider weist auch darauf hin, dass mit der Rezept-App Verwandte oder Bekannte von dem betroffenen Patienten bevollmächtigt werden können, Rezepte in der Apotheke einzulösen.

Das Bild zeigt Helmut Schneider im Gespräch.

Helmut Schneider, Regionaldirektor der AOK Rheinland/Hamburg, sieht viele Vorteile beim E-Rezept.

Ein weiterer Schritt wird laut Schneider die Elektronische Patientenakte (ePA) sein, die für jeden Versicherten ab dem 1. Januar 2025 eingerichtet wird. Sie biete unter anderem dem Hausarzt einen Einblick in Befunde und Arzneimittelverordnungen anderer Ärzte.

„So können eventuelle schädliche Wechselwirkungen verhindert werden“, so Schneider. Gerade für Menschen, die viele Medikamente einnähmen, sei das sinnvoll. Die ePA sei eine weitere sinnvolle digitale Einrichtung, die dem Patienten nutze.

„Wichtig ist, dass der Patient auch hier entscheidet, welche Ärzte Berichte anderer Ärzte sehen können. Er ist also der Souverän über seine Gesundheitsdaten“, stellt Schneider klar. Auch könne der Patient der Einrichtung der ePA widersprechen. Dann werde für ihn keine ePA angelegt. „Krankenkassen haben übrigens keinen Einblick in die ePA“, so Schneider.

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