Hilfeschreie an der BushaltestelleZwei Frauen in Euskirchen wegen Freiheitsberaubung angeklagt

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Es ist ein Schild für eine Bushaltestelle zu sehen.

M. und A. der Frau und ihrem Sohn an einer Haltestelle aufgelauert haben. (Symbolbild)

Nach dem Verschwinden einer Frau und ihrem kleinen Sohn aus Meckenheim stehen nun zwei Frauen vor Gericht. 

Die Polizei ging von einer Entführung aus, als am 10. Juni 2021 in Meckenheim eine Frau und ihr kleiner Sohn verschwanden. Schnell geriet der Ehemann und Vater in Verdacht, von dem sich Adelina F. (Namen geändert) sieben Monate vorher nach gewalttätigen Übergriffen getrennt hatte.

Während international nach der damals 34-Jährigen und dem drei Jahre alten Luan gesucht wurde, nahm die Polizei den Vater in Ratingen vorläufig fest. Nach kurzer Zeit kam er aber wieder auf freien Fuß. Später gerieten zwei Frauen ins Visier der Ermittler.

Anklage wegen Freiheitsberaubung

Die Bonner Staatsanwaltschaft hat sie jetzt vor dem Jugendschöffengericht in Euskirchen wegen Freiheitsberaubung angeklagt. Am ersten Prozesstag unter Leitung der Vorsitzenden Richterin Stefanie Diel beteuerten sie ihre Unschuld.

Das Verfahren ist komplex. Allein die Ermittlungsakten umfassen mehr als 500 Seiten. Bei den Angeklagten handelt es sich um Adelina F.s Schwägerin Donika M. (35) und ihre zehn Jahre ältere Lebensgefährtin Jeta A., beide aus Ratingen.

Spekulationen über mögliches Motiv

Die Staatsanwaltschaft legt ihnen zur Last, Mutter und Sohn gegen deren Willen in einem Auto in den Kosovo gebracht zu haben. Über ein mögliches Motiv wurde vorerst nur spekuliert. Adelina und Luan F. lebten damals in einer Mutter-Kind-Einrichtung in Meckenheim.

Als die Frau ihren Sohn per Linienbus zur Frühförderung bringen wollte, sollen M. und A. ihnen an der Haltestelle aufgelauert haben. Laut Staatsanwaltschaft stürmten sie auf Mutter und Kind zu. Eine der beiden habe den Jungen aus dem Kinderwagen gezogen und in den Wagen gebracht.

Mutter habe nach Leibeskräften geschrien

Zusammen hätten die Frauen dann an den Haaren und am Körper der Mutter gezerrt und sie in den Wagen gestoßen, in dem auch ein bisher unbekannter Mann gesessen habe. Die Mutter habe nach Leibeskräften geschrien, sei jedoch gegen die körperliche Übermacht nicht angekommen, hieß es in der Anklageschrift weiter.

Über Österreich, Ungarn und Serbien hätten die beiden Frauen ihre Opfer zum Bruder von Adelina F. in den Kosovo gebracht. Dort seien sie und Luan notgedrungen bis zum 30. Juni geblieben. Jeta K. bestritt, dass Zwang im Spiel gewesen sei. Ihre Lebensgefährtin und sie hätten damals kurz vor einer Urlaubsreise nach Kroatien gestanden, und Adelina F. habe sie gebeten, sie mitzunehmen.

Termin sollte Sorgerecht klären

Von Kroatien aus, so die weitere Schilderung, wollte sie sich von ihrem im Kosovo lebenden Bruder abholen lassen, um „Kraft zu schöpfen vor einem bevorstehenden Gerichtstermin“, wie Donika M. ergänzte. „Wir haben sie dann zu ihrem Bruder gebracht.“

Bei dem Termin vor dem Jugendgericht sollte es um das Sorgerecht für Luan gehen. Ob das Verfahren in einem entscheidenden Zusammenhang mit dem Verschwinden des Jungen und seiner Mutter stand, wurde am ersten Prozesstag nicht klar.

Adelina F. machte von Aussageverweigerungsrecht gebrauch

Die als Zeugin geladene Adelina F. hätte Licht ins Dunkel bringen können. Sie machte aber von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch, das ihr zusteht, weil sie nach wie vor mit der Angeklagten Donika M., der Schwester ihres Mannes, verschwägert ist. Denn die von ihr angestrebte Ehescheidung ist noch nicht vollzogen.

Die Angeklagten beteuerten, die Mutter sei aus freien Stücken mit ihnen gefahren. Dies war auch der Tenor eines Vermerks der Polizei. Ihr war es am 11. Juni gelungen, telefonisch Kontakt zu der Frau im Kosovo herzustellen.

Mitarbeiterin der Einrichtung berichtet

Sie habe befürchtet, dass das Jugendgericht ihr das Sorgerecht für ihren Sohn entziehen könne, begründete sie ihre Ausreise und erklärte, dass sie nach vorheriger Absprache mit den beiden Frauen ohne Zwang in deren Auto gestiegen sei. Eine Mitarbeiterin der Einrichtung hatte das Geschehen ganz anders wahrgenommen.

Demnach gingen Mutter und Kind nach einem Frühstück im Garten in Richtung Bushaltestelle, als sie Hilfeschreie gehört habe, sagte die 53-Jährige. Sie sei zur Straße gerannt und habe gesehen, dass Adelina F. hinten rechts in einem Auto gesessen habe.

Chat belastet Angeklagte

„Ich riss die Tür auf und konnte noch sehen, dass ein tätowierter Arm sie festhielt. Ihr Gesichtsausdruck ließ erkennen, dass sie Hilfe brauchte.“ Gesprochen habe die Mutter nicht. Sie, so die 53-Jährige weiter, habe noch „Halt“ gerufen, doch das Auto sei davongefahren.

Belastet werden die Angeklagten auch durch einen von der Polizei sichergestellten Chat in einem Messenger-Dienst vom 2. Juni 2021. Darin beraten die beiden Frauen darüber, „wie wir den kleinen Mann retten könnten“. Auch von „Wegklauen“ ist die Rede. Man könne ihn nach Serbien oder in den Kosovo bringen, die keine EU-Länder seien, sodass auch das Jugendamt dort keinen Zugriff habe.

Der Großvater des Jungen könne dort bei ihm bleiben, „bis wir eine neue Identität für ihn haben“. Donika M. wollte sich nicht konkret zu dem Dialog äußern, erklärte aber, das darin beschriebene Vorhaben sei nicht in die Tat umgesetzt worden. Zum nächsten Hauptverhandlungstag werden weitere Zeuginnen und Zeugen geladen.

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