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Selbständige aus MechernichErste Zeit ist immer schwierig

Lesezeit 6 Minuten

Viktor Müller uns sein Sohn Andreas haben den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt. Bereut haben sie den Schritt nicht.

Mechernich-Satzvey – Der Schritt in die berufliche Selbstständigkeit erfordert ein hohes Maß an Risikobereitschaft, Selbstdisziplin und Organisationstalent.

Anträge und bürokratische Vorgaben, die eigene Verwaltung und Buchführung und das finanzielle Risiko stellen jedoch eine nicht geringe Hemmschwelle dar.

Chancen und Risiken einschätzen

Wer zudem lange Zeit als Arbeitnehmer berufstätig war, hat kaum eine Vorstellung, welche Kompetenzen über das fachliche Know-how hinaus für eine Existenzgründung benötigt werden. Selbstständige müssen mit dem Markt vertraut sein und die Chancen und Risiken ihres Angebotes einschätzen können. Sie müssen sich um Krankenversicherung und Altersvorsorge kümmern und auch mit unvorhersehbaren Ereignissen umgehen können.

Darüber hinaus ist die Kommunikation mit Ämtern und Verbänden gefordert sowie die Fähigkeit, Kalkulationen zu erstellen und Erfolg oder Misserfolg objektiv gegeneinander abzuwägen. Wer all diese Hürden nimmt, kann die Vorteile der Selbstständigkeit genießen: Er kann selbst entscheiden, wann, wie und wie viel er arbeitet, ohne dass ihm ein Chef im Nacken sitzt – und er weiß, dass er für Erfolg oder Misserfolg verantwortlich ist. Im Idealfall ist man so erfolgreich, dass man sich, seine Mitarbeiter und die Familie dauerhaft finanziell absichern kann.

Viel Arbeit, viele Unsicherheiten

Viktor Müller (54) und sein Sohn Andreas (27) haben sich aus unterschiedlichen Gründen jeder für sich selbstständig gemacht. Der eine wollte sein Studium finanzieren, der andere der drohenden Arbeitslosigkeit entgehen. Beide sind heute froh, den Schritt gewagt zu haben, obwohl damit viel Arbeit und gerade in der Anfangszeit viele Unsicherheiten verbunden sind.

Andreas Müller (27) wollte sich eigentlich nur sein Studium finanzieren. Das Maschinenbau-Studium an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen inklusive Studenten-WG ließ die Kasse des Satzveyers schnell schrumpfen. Weil er die Prüfungen nicht in der vorgegebenen Zeit absolvierte, wurde das Bafög gestrichen, das Geld aus einem 400-Euro-Job reichte hinten und vorne nicht und nahm obendrein noch die Zeit in Anspruch, die er dringend zum Lernen gebraucht hätte. „Schlimmer konnte es eigentlich nicht mehr werden“, erzählt er. Deshalb wagte er den Sprung ins kalte Wasser und machte sich selbstständig. Er nahm sich eine Auszeit vom Studium, um sich als Kurierdienst das nötige Geld für das nächste Semester zusammenzusparen.Oft auf's Amt gelaufenErstmal war mit dem Schritt in die Selbstständigkeit aber eine dreimonatige Lauferei zwischen Ämtern und Behörden verbunden. Nur Stück für Stück wurde dem 27-Jährigen klar, um was er sich nun alles kümmern muss. „Ich habe vorher andere Leute um Rat gefragt, aber für die sind viele Dinge so selbstverständlich, dass sie es gar nicht mehr für nötig befanden es zu erwähnen.“ Zusätzlich zu den Bergen an Papierkram waren für Andreas Müller auch Kosten mit dem Projekt verbunden. In vielen Stunden Arbeit baute er sich einen Transporter zu seinem zweiten Zuhause um. Zum Schutz gegen Kälte kleidete er den Bus komplett mit Styropor aus. Ein Stromaggregat speist den Heizstrahler und den Kühlschrank auf der Ladefläche, auf der er es sich nachts auf einer Luftmatratze bequem macht. Als Kurierfahrer führt er jetzt ein typisches Lkw-Fahrer-Leben.In ganz Deutschland unterwegsIn der Regel ist der Satzveyer montags bis freitags in ganz Deutschland unterwegs. Er transportiert vor allem Industriegüter, zum Beispiel Maschinenteile, die so schnell wie möglich repariert werden müssen, um nicht einen ganzen Betrieb lahmzulegen. Wenn er einen Auftrag annimmt, weiß er allerdings nur den Start- und Zielpunkt sowie den Preis, den er für seinen Kurierdienst erzielt. Was genau transportiert werden soll, erfährt er erst vor Ort. So musste er beispielsweise einmal einen ganzen Bus voller Zigaretten im Wert von einer Viertelmillion einmal quer durch Deutschland transportieren. „Wichtig ist es in diesem Job, die Touren gut zu planen. Im besten Fall findet man am Zielort sofort einen weiteren Auftrag und kann direkt die neuen Güter aufladen.“Glücklich über UnabhängigkeitAls Kurierfahrer ist Andreas Müller glücklich über seine Unabhängigkeit. Wenn es gut läuft, kann er mit vergleichsweise weniger Aufwand als zuvor in seinem 400-Euro-Job mehr Geld verdienen.Außerdem kommt er bei seiner Arbeit viel rum und kann sich auch mal Zeit nehmen, um einzelne Städte genauer zu erkunden. So hat er etwa einen ganzen Tag in Dresden verbracht und erst am Abend seine Tour wieder fortgesetzt.

Nachdem Viktor Müller 17 Jahre lang bei einer Firma für Fenster- und Türenbau angestellt war, kam ein neuer Junior-Chef und nach Müllers ersten Krankmeldung postwendend die Kündigung. „Ich habe im Job immer alles gegeben, nie hat sich ein Kunde beschwert.“ Für den 54-jährigen gelernten Autotechniker war es schwierig, nach diesem Ereignis beruflich wieder Fuß zu fassen, zumal er sich sein Arbeitszeugnis erst gerichtlich erstreiten musste. Alternative Berufe, wie Autoschlosser oder Busfahrer, fasste er ins Auge, doch es war klar, dass der Lohn dann nicht mehr für die Abzahlung des Hauskredits reichen würde. Also hörte Viktor Müller auf den Rat seines Sohnes Andreas: „Mach dich selbstständig!“An Gründertraining teilgenommenFür Viktor Müller bedeutete das einen großen Schritt und ein großes Risiko: Von seinem Einkommen hängt eine ganze Familie ab. Wäre sein Sohn zu diesem Zeitpunkt nicht schon ein Jahr als selbstständiger Kurierfahrer tätig gewesen, hätte er diesen Schritt vielleicht nicht gewagt. Obwohl die Erfahrungen seines Sohnes den bürokratischen Angelegenheiten bereits den größten Schrecken genommen hatten, stand der 54-Jährige in der ersten Zeit immer noch „wie der Ochs vorm Berg“.Vater und Sohn nahmen deshalb an einem Gründertraining teil und erstellten mit einem Unternehmensberater einen Businessplan, in dem sie alle ihre Pläne, Einnahmen und Ausgaben für die kommenden drei Jahre festhielten. Zu dem schriftlichen Teil des Businessplans gehören etwa die Zukunft und die Vermarktung des Produkts, die Einschätzung der Konkurrenzlage, ein Investitionsplan und ein Finanzplan. Drei Monate dauerte das Zusammentragen der Daten, die Belohnung dafür war der Gründungszuschuss, der dem Satzveyer über das erste halbe Jahr den Rücken freihält.Als „Fensterdoktor“ unterwegsSeit dem 1. Januar ist Viktor Müller selbstständig als „Fensterdoktor“ in der Region unterwegs. Er übernimmt die Reparatur und Montage von Fenstern, Türen und Rollläden sowie die Installation von Insekten- und Einbruchschutz. Aufträge hat er bisher hauptsächlich über Mundpropaganda bekommen, denn durch seine Berufserfahrung ist er schon vielen bekannt. An Ausschreibungen im Internet hat sich der „Fensterdoktor“ dagegen bisher nicht beteiligt, denn er ist überzeugt, mit dem niedrigsten Preis nicht die gewünschte Qualität liefern zu können. „An diesen Unterbietungsbörsen möchte ich mich gar nicht erst beteiligen.“Sein eigener HerrSeit er sein eigener Herr ist, verdient er mehr an seiner eigenen Arbeitszeit. Allerdings ist die Auftragslage noch nicht stabil – auf mehrere Wochen, die der 54-Jährige am Stück arbeitet, folgen andere Wochen, in denen er zu Hause auf den nächsten Auftrag wartet. Gerne würde er regelmäßiger arbeiten, schließlich müssen auch die Anschaffungskosten für Fahrzeug und Werkzeuge mit der Zeit wieder reinkommen. „Klar macht man sich Sorgen, wie es am nächsten Tag weitergeht. Aber die erste Zeit ist immer schwierig. Irgendwann läuft die Kiste.“