Palliativpflege in EuskirchenIn Ruhe und Würde den letzten Weg gehen

Lesezeit 7 Minuten
Patienten können rund um die Uhr Pfleger erreichen

Patienten können rund um die Uhr Pfleger erreichen

Euskirchen-Euenheim – Morgendliches Meeting des Palliativteams SAPV in der Alten Tuchfabrik in Euenheim: Die Mitarbeiterinnen, allesamt Pflegefachkräfte mit der Palliativ-Care -Zusatzausbildung, besprechen Zustand und Befindlichkeit eines jeden Patienten, der zurzeit betreut wird. Zugeschaltet über den großen Monitor an der Wand ist an diesem Morgen Dr. Nina Jung, eine der acht Palliativärzte und -ärztinnen, die Hand in Hand mit den Pflegefachkräften arbeiten. Reihum berichten die Anwesenden über die Entwicklungen bei den betreuten Frauen und Männern, von denen viele unheilbare Krebserkrankungen haben, andere COPD oder ALS.

Besprochen werden der Allgemeinzustand, das Ess- und Trinkverhalten, veränderte Schmerzsymptomatik oder die Gabe von neuen Medikamenten. Aber auch die seelische Verfassung des kranken Menschen sowie der betreuenden Angehörigen steht im Fokus des Teams.

Lebensqualität

Spezialisierte ambulante Palliativ-Versorgung – kurz SAPV – wendet sich an Menschen mit schwerer, unheilbarer Erkrankung in der letzten Lebensphase. Ziel ist, die Lebensqualität der Patienten und deren Angehörigen durch spezialisierte Betreuung und Begleitung zu verbessern. Möglichst bis zuletzt sollen die Betroffenen ohne Schmerzen und andere belastende Begleiterscheinungen ihr Leben in der vertrauten Umgebung führen können.

Bei den meisten Menschen ist der Wunsch groß, trotz vielleicht großer Hilfsbedürftigkeit auch die letzte Lebensphase selbstbestimmt und würdevoll zu gestalten. Ein multiprofessionelle SAPV-Team aus Palliativärzten und -pflegekräften kann hier im Zuhause der Patienten oder auch in Altenpflegeeinrichtungen unterstützen.

Dabei wird auf ein breites Netzwerk aus ambulanten Hospizdiensten, Seelsorge, Sozialarbeitern, Psychoonkologen, Apotheken, Pflegediensten, Fachärzten und Krankenhäusern zurückgegriffen.

Einen gesetzlichen Anspruch auf SAPV haben Menschen mit einer nicht heilbaren, fortgeschrittenen und weiter fortschreitenden Erkrankung und einem besonders hohen Versorgungsaufwand in der letzten Lebensphase. Die SAPV-Leistungen sind für Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen kostenfrei.

Das Palliativteam SAPV Rhein-Erft-Bonn-Euskirchen ist seit 2012 im Einsatz. Im südlichen Rhein-Erft-Kreis, im Kreis Euskirchen und Bonn werden seitdem Patienten mit ausgeprägter und komplexer Symptomlast medizinisch begleitet. Das Büro des Teams Kreis Euskirchen befindet sich in der Joseph-Ruhr-Straße 30 und ist zu erreichen unter Tel. 02255/9469822 oder per E-Mail. (hn)

www.sapv-eifel.de

info@palliativteam-eifel.de

An den Wänden des Konferenzraumes reihen sich Dutzende von Trauerkarten. Jede Karte steht für einen Menschen, den man hier in der letzten Phase seines Lebens begleitet hat. Und auf nahezu jeder geben Angehörige ihrer großen Dankbarkeit Ausdruck für die Unterstützung, die ihr verstorbener Angehöriger und sie selber vom SAPV-Team erhalten haben.

Insgesamt 40 schwerkranke Menschen aus dem Kreisgebiet werden derzeit vom Palliativteam SAPV Rhein Erft/Kreis Euskirchen/Bonn betreut. Täglich werden Hausbesuche gemacht, heute fährt Judith Schmitz als erstes zu Margit Schwarzer (alle Patientennamen geändert). Eine ältere Dame, die erst kürzlich ihren Mann verloren hat und jetzt selber eine Krebsdiagnose bekommen hat.

Den Patienten und sich selbst gerecht werden

Auf dem Weg in den Euskirchener Außenort erzählt Judith Schmitz, examinierte Krankenschwester, dass sie viele Jahre in einem Seniorenheim gearbeitet hat. Solange, bis sie nicht mehr konnte: „Ich war einfach aufgebraucht, hätte fast komplett mit der Pflege aufgehört, obwohl es mein absoluter Traumberuf ist.“ Dann hat sie im SAPV-Team angefangen und lebe nun ihren Beruf so, wie sie ihn sich immer gewünscht hat: „Hier kann ich den Patienten, aber auch mir selber gerecht werden.“

Und dass, obwohl Judith Schmitz die Menschen, die sie betreut, niemals gesund werden sieht. „Ja, ich habe mich das anfangs auch gefragt, ob ich mich jeden Tag mit dem Tod auseinandersetzen kann“, sagt die 52-Jährige. Mittlerweile aber wisse sie, dass das Sterben ganz viel mit dem Leben zu tun habe, und dass es eine wichtige Aufgabe ist, Menschen an diesem Punkt ihres Lebens zu helfen.

Patientin Margit Schwarzer hat ihrem Krebs einen Namen gegeben: „Drecksack, so nenne ich ihn“, so die Seniorin, deren Gesicht voller Lachfalten ist. Die erste Chemo habe sie ganz gut vertragen, berichtet sie der Palliativ-Pflegerin. „Ich halte durch, so lange es geht“, versichert sie. Und dann erzählt Schwarzer, dass sie sich bereits um alles gekümmert habe: Um ihre Beerdigung, wer eingeladen wird, welche Lieder gespielt werden. Volker Lechtenbrinks „Es gibt eine Zeit“ und Heinos „Ave Maria“ sollen es sein. Bis dahin aber wolle sie noch soviel Lebenszeit wie möglich gewinnen und genießen. Das SAPV-Team wird seinen Teil dazu beitragen.

Patienten wollen ihre letzten Tage zu Hause verbringen

Die heutige Tour führt Schmitz zu der bald 97-jährigen Johanna Weinert. Von ihrem Sessel aus blickt die alte Dame in den Garten und auf einen wundervoll blühenden Magnolienbaum. Weinert wird von ihrer Tochter gepflegt, die betont, wie dankbar sie sei, dass ihre Mutter an die Betreuung durch das SAPV-Team angeschlossen ist: „Das gibt uns hier so viel Sicherheit!“ Die alte Dame weiß, dass ihr Leben bald enden wird. „Ich will nicht mehr ins Krankenhaus, meine letzten Tage möchte ich zu Hause sein“, erklärt sie. Auch bei ihr nimmt sich Judith Schmitz Zeit für ein Schwätzchen und lässt sich von den fünf Urenkeln erzählen, die der Patientin „sehr viel Kraft geben“.

Würdevoll soll es sein, das Sterben. Und dank der palliativen Versorgung scheint dies durchaus möglich zu sein - auch wenn die Krankheit starke Symptome fordert. Mit entsprechenden Medikamenten lassen sich selbst starke Schmerzen lindern, auch Angst und Unruhe oder Atemnot sind medikamentös in den Griff zu bekommen. „Ich selber habe durch meine Arbeit die Angst vor dem Sterben verloren. Ich weiß, dass man ganz in Ruhe gehen kann“, meint Judith Schmitz. Hat sich durch ihre Arbeit noch mehr verändert in ihrem Leben? „Einiges, ja. Ich lebe bewusster und genügsamer, gestalte meine Freizeit sinnvoller.“ Vor allem aber macht ihr der Beruf wieder Freude: „Ich kann mir Zeit nehmen für die Patienten, stehe nicht unter ständigem Zeitdruck.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Nicht immer nehmen die Patienten die harte Wahrheit an vom baldigen Tod. „Menschen, die nie darüber geredet haben mit Familie und Freunden, die fangen meistens auch nicht mehr damit an“, meint Pflegerin Schmitz. Bei manchen Patienten spielt Verdrängung eine gewichtige Rolle, was die Arbeit der Palliativteams erschwert. Und was ist, wenn jemand nicht mehr leiden möchte und sein Sterben herbeisehnt? „Wir verlängern kein Leben, verkürzen aber auch keins. Und wenn jemand klar sagt, dass er nicht mehr möchte und womöglich das Essen und Trinken einstellt, dann tragen wir diese Entscheidung mit.“

Natürlich ist die Arbeit mit den schwerkranken Menschen auch manchmal belastend. „Vor allem, wenn es junge Menschen sind, die womöglich auch noch kleine Kinder haben“, sagt Judith Schmitz. Einmal im Quartal gebe es deshalb Supervision für das Team. „Aber auch ansonsten haben wir ein Ohr füreinander, stützen uns gegenseitig.“

Hat ihren Beruf als Krankenpflegerin wieder lieben gelernt: Judith Schmitz auf ihrer täglichen Tour zu den Patientinnen und Patienten.

Hat ihren Beruf als Krankenpflegerin wieder lieben gelernt: Judith Schmitz auf ihrer täglichen Tour zu den Patientinnen und Patienten.

Im Gespräch mit den Patientinnen und Patienten fällt immer wieder ein Begriff: Sicherheit. Auch Holger Kramer kommt sofort darauf zu sprechen, wenn man ihn fragt, was er an der SAPV schätzt: „Zu wissen, es ist rund um die Uhr jemand erreichbar, beruhigt mich sehr.“ Manchmal, so der Mitte 50-Jährige, der eine Krebserkrankung hat, müsse es eben schnell gehen. Dan n gelte es, den Schmerz von verschiedenen Seiten einzukesseln, was die Palliativmedizin ermögliche.

Die Tour von Judith Schmitz endet heute bei Franziska Bucher, einer 85-Jährigen, die nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus ihr baldiges Sterben angekündigt hat. „Jetzt ist es gut, hat sie gesagt“, erzählt die Tochter. Mittlerweile ist die alte Dame nicht mehr bei Bewusstsein, liegt in ihrem Bett, liebevoll umsorgt von ihrer Familie – insgesamt sieben Kinder, 18 Enkel und sechs Urenkel. Es tut gut zu sehen, wie sterben auch sein kann - beschützt, respektvoll, in Liebe gehüllt.

Auf dem Weg zurück zur SAPV-Station in der Alten Tuchfabrik resümiert Judith Schmitz, dass sie ihren Beruf bei der SAPV wieder lieben gelernt hat. „Den Menschen zu helfen, in Ruhe und Würde ihren letzten Weg zu gehen, das ist eine besondere und wichtige Aufgabe.“

KStA abonnieren