Nach 75 Jahren wieder im FamilienbesitzAkkordeon rettete US-Soldat das Leben

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Das Akkordeon wechselte nach 75 Jahren  den Besitzer: Scott A. Kindsvater (l.) überreichte das Instrument an Christel Nierhoff. Mit von der Partie war auch der Neffe der 87-Jährigen, Joachim Kupp.

  • Manchmal schreibt das Leben bessere Drehbücher als Hollywood: Nach 75 Jahren findet ein Akkordeon nun seinen Weg zurück in den Familienbesitz.
  • Das Instrument diente zu Kriegszeiten sogar als Lebensretter.
  • Christel Nierhoff aus Schleiden nahm das Instrument nun entgegen und erzählte dabei auch ihren Teil der Geschichte.

Schleiden – Ein kleines mit Perlmutt besetztes Akkordeon, daneben ein leicht ramponierter Koffer und ein schwarz-weiß Foto von einem Mann in Uniform – so unscheinbar die Zutaten sind, umso spannender ist die Geschichte dahinter. Eine Geschichte – Hollywood hätte sie nicht weniger bewegt und interessant schreiben können. Nach 75 Jahren fand das Instrument, das in den Wirren des Zweiten Weltkriegs vom Hürtgenwald bis in die USA reiste, unvermutet den Weg zurück in die Familie der Besitzerin. So war die Freude bei Christel Nierhoff und Tochter Brigitte Nierhoff-Schmitz groß. Bereits beim Betreten des Pauluskellers unter dem Schleidener Rathaus, wo das Erinnerungsstück feierlich übergeben werden sollte, breitete sich ein Lächeln auf den Gesichtern der beiden aus.

„Sie hat das Instrument Zeit ihres Lebens vermisst“

„Ich kann mich noch erinnern, wie meine Schwester immer darauf gespielt hat“, sagte Christel Nierhoff sichtlich gerührt mit Blick auf den Tisch, wo das Erbstück stand. „Sie hat das Instrument Zeit ihres Lebens vermisst“, so die 87-Jährige. Was war also geschehen? Wie war das Akkordeon verloren gegangen, um nach so langer Zeit wieder in die Eifel zurückzukehren? Das erklärte Bürgermeister Ingo Pfennings.

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Das Akkordeon sieht auch nach 75 Jahren noch ziemlich gut aus.

Andrew Kindsvater, ein amerikanischer Soldat, der im Zweiten Weltkrieg an der Westfront eingesetzt war, fand auf seinem Einsatz während des Vormarschs zum Rhein besagtes Instrument bei einem gefallenen Soldaten der Deutschen Wehrmacht im Hürtgenwald. Kindsvater nahm es an sich und verwahrte es in seinem Rucksack, als es für den Amerikaner weiter in Richtung Remagen ging. Dort sollte das Fundstück dann sogar zum mutmaßlichen Lebensretter werden. Ein Streifschuss traf Kindsvater, doch prallte er am Instrumentenkoffer ab, der im Rucksack verstaut war. Ein Loch im Deckel, wo die Kugel den Koffer streifte, ist bis heute noch sichtbar. Der Soldat überlebte den Beschuss. Nach der Rückkehr in die Heimat vererbte er das Akkordeon an seinen Sohn, der gab es wiederum schließlich an seinen Sohn, Lieutenant General Scott A. Kindsvater. In seinem Besitz befand sich das vielgereiste Instrument seit 2011.

Lieutenant bleibt hartnäckig

Außer einer unscheinbaren Notiz im Inneren des Koffers, mit Name – „M. Kupp“ war dort zu lesen – und einer Anschrift in Schleiden, gab es keine Rückschlüsse auf dessen Herkunft. Doch ließen sie dem Lieutenant je keine Ruhe. Wem hatte das Instrument zuvor gehört? Gab es Nachfahren des gefallenen Soldaten?

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Erinnerungen an eine frühere Zeit.

Mithilfe der Stadt Schleiden und dem Einsatz von dem, ebenso wie Kindsvater bei der Nato eingesetzten Oberstleutnant i. G. Aicke Lippert gelang es, die einstige Besitzerin ausfindig zu machen. Den entscheidenden Hinweis gab schließlich Joachim Kupp, ein Neffe von Christel Nierhoff. „M. Kupp, das ist meine Tante Mia. Ich wohne direkt gegenüber ihres Geburtshauses und wusste sofort, das sie die Gesuchte ist“, konnte Kupp berichten. Auch er bestätigte, dass die Tante dem verlorenen Instrument stets nachgetrauert habe. „Nach 75 Jahren schließt sich jetzt der Kreis“, so Kupp: „Gerade in den heutigen politischen Zeiten und in dem Jahr, wo sich die Ardennenoffensive jährt, ist das ein positives Zeichen der Völkerverständigung.“

Eine Frage bleibt unbeantwortet

Wie das Akkordeon den Weg zu dem bis dato unbekannten deutschen Soldaten gefunden hatte, konnte er nicht beantworten, ebenso wie Brigitte Nierhoff-Schmitz: „Wir wissen nur, dass das Akkordeon meiner Tante gehörte. Sie hatte es an eine Freundin verliehen, mit der sie die Ursulinenschule in Euskirchen besuchte.“ Dieser Teil der Geschichte werde daher wohl im Dunkeln bleiben.

„Das ist ein großartiger Tag heute“, stellte Scott A. Kindsvater fest. In seiner Familie habe man häufig über das Akkordeon und dessen Geschichte gesprochen. Von seinem Vater hatte er es als Geschenk bekommen, als er zum Ein-Sterne-General befördert worden war. 2011 sei das gewesen, so Kindsvater, im gleichen Jahr wie Mia Kupp verstarb, wie er im Nachhinein erfahren hatte. Dass er es nun ausgerechnet an dem Tag an deren Schwester Christel überreichen könne, an dem in den Vereinigten Staaten Thanksgiving, das amerikanische Erntedankfest, gefeiert werde, sei passend und freue ihn. „Wir haben uns sehr gewünscht, dass wir es zurückgeben können“, erläuterte er.

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Die Erzählungen seines Vaters und eine unscheinbare Notiz im Inneren des Akkordeonkoffers waren die einzigen Hinweise, die Scott A. Kindsvater als Anhaltspunkte für die Suche dienten.

„Das ist ganz besonderer Anlass. Die Suche wurde zu einer Art Traum für unseren Vater“, ergänzte Tochter Sydney. Die 16-Jährige war mit Schwester Samantha und Mutter Lisa aus den USA angereist, um die Übergabe mitzuerleben. „Ich habe das erste mal mit vier Jahren die Geschichte gehört. Das ist ein sehr aufregender Tag heute“, sagte sie. Gerne würden sie mit Christel Nierhoff in Kontakt bleiben, wenn die 87-Jährige es möchte, denn das Akkordeon habe stets eine wichtige Rolle für die Familie gespielt, äußerte sich Lisa Kindsvater: „Deshalb ist es auch ein wenig traurig heute für uns, aber die Freude überwiegt.“

Ehrenplatz im Wohnzimmer sicher

Die Freude über die Rückkehr war denn auch der neuen Besitzerin anzusehen, die das Erinnerungsstück auf dem Schoß hielt. „Das wird einen ganz besonderen Platz im Wohnzimmer bekommen“, sagte Christel Nierhoff lächelnd: „Und meine Tochter wird drauf spielen.“ Auf die Frage, ob diese denn überhaupt Akkordeonspielen könne, antwortete die Schleidenerin nur schmunzelnd: „Dann wird sie es eben lernen.“

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