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Mit RWTH AachenSchleiden will System für präzisere Vorhersagen bei Sturzfluten entwickeln

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Bürgermeister Ingo Pfennigs steht auf einer Treppe am Messpegel der Urft in Gemünd.

Will die Stadt und die Bürger mit präzisen Vorhersagen bei künftigen Flutkatastrophen besser schützen: Ingo Pfennings.

Um Sturzfluten nach Starkregenereignissen besser Vorhersagen zu können, will die Stadt Schleiden als Pilotkommune mit der RWTH Aachen ein neues System entwickeln.

Bei der Prognose von Starkregenereignissen und Sturzfluten will die Stadt Schleiden als Pilotkommune zusammen mit einem Team der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen ein neues Vorhersagesystem aufbauen. „FlootWaive“ heißt das Programm, das von Dr. Julian Hofmann von der RWTH Aachen und zwei weiteren Wissenschaftlern entwickelt wird. Das Projekt wurde jetzt von Bürgermeister Ingo Pfennings im Stadtrat vorgestellt und eine Absichtserklärung beschlossen.

Dr. Hofmann promovierte am Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft zu intelligenten Frühwarnsystemen und arbeitet dort in den Bereichen der Starkregen-Hochwasservorhersage, Hochleistungscomputern und Risikoanalysen. Adrian Holt befasst sich mit der Datenwissenschaft und maschinellem Lernen, Maike Kuchem macht aktuell ihren Master in Wirtschaftsingenieurwesen mit Fokus auf Wasserwirtschaft.

Bislang kein effektives Modell

Nach Angaben der Entwickler gibt es bislang kein effektives und flächendeckend einsetzbares Modellsystem, das Überflutungen und ihre Konsequenzen in Echtzeit vorhersagen kann. Aktuelle Modelle würden auf physikalisch-basierten Simulationsverfahren beruhen und extrem hohe Anforderungen an Computersysteme stellen. Deshalb würden sie am Rechenzeitproblem scheitern.

„Das Fehlen solcher Vorhersagen war beim Juli-Hochwasserereignis 2021 einer der maßgeblichen Ursachen für das Versagen des Katastrophenmanagements und damit auch für die hohe Anzahl an Todesopfern“, erklärt Dr. Hofmann in einem Thesenpapier.

Vor dem Hintergrund zunehmender Extremwetterlagen stellten Starkregenereignisse und dadurch ausgelöste Sturzfluten ein signifikant steigendes Risiko für Leib und Leben sowie die urbane Infrastruktur dar. Im Gegensatz zu Flusshochwassern, die sich nur auf flussnahe Bereiche auswirkten, könnten Sturzfluten nahezu überall mit einer sehr kurzen Reaktionszeit und einem enormen Zerstörungspotenzial auftreten.

Schleidener Stadtgebiet bereist

„Der Kontakt zu dem Team ist durch die Berichterstattung in den Medien über die Hochwasserkatastrophe vom Juli 2021 entstanden“, berichtete Pfennings. „Um reale Datensätze für die Entwicklung eines Systems für die Stadt Schleiden zur Verfügung zu haben, hat Dr. Hofmann in Abstimmung mit der Wehr- und Verwaltungsleitung in den vergangenen Monaten das Stadtgebiet bereist und anonymisierte Daten aus dem Einsatzgeschehen bei der Flut wie Wasserstände und Schadenmerkmale zur Verfügung gestellt bekommen“, sagte Pfennings. Bei den Ortsbesichtigungen sei stets ein Mitglied der Feuerwehr dabei gewesen.

Aktuell müsse noch die Künstliche Intelligenz (KI) und die verwendete Software für den Feldeinsatz verfeinert werden, um in einem späteren Schritt das neue System über die RWTH oder als Start-up auch vermarkten zu können. „Eine wesentliche Herausforderung ist auch noch die optische Aufbereitung der Daten für Entscheidungsträger, die keine tieferen Kenntnisse in Wetterprognose oder Wassertechnik haben“, führte der Bürgermeister aus. Darüber hinaus müsse die Künstliche Intelligenz wirkungsvoll in die Arbeitsabläufe, etwa eines Führungsstabes oder eines Stabes für außergewöhnliche Ereignisse, eingebunden werden.

„Dr. Gerd Demny vom Wasserverband Eifel-Rur ist auch der Meinung, dass die Betrachtung von Starkregenereignissen und ähnlichen Vorkommnissen Sinn macht“, betonte der Bürgermeister. Der Wasserverband unterstützt Kommunen im Südkreis bei der Entwicklung eines interkommunalen Hochwasserschutzkonzepts. „Beide Projekte müssten eng miteinander verzahnt werden“, sagte Pfennings.

Die Entwickler von FloodWaive seien an einer noch engeren Kooperation mit der Stadt Schleiden, beispielsweise als Pilotkommune, interessiert. „Die weitere Begleitung eines solchen Projektes als Pilotkommune, mit der etwaigen Möglichkeit, ein solches System zu geringen Kosten oder gar kostenneutral zu erhalten, ist aus Sicht der Verwaltung und der Wehrleitung zu begrüßen“, betonte der Verwaltungschef. Das sieht der Stadtrat genauso und stimmte einer entsprechenden Absichtserklärung zu. Bereits Anfang nächsten Jahres sollen die Arbeiten weitergeführt werden.


Nach Angaben der Entwickler Dr. Julian Hofmann, Adrian Holt und Maike Kuchem soll „FloodWaive“ das erste echtzeitfähige Vorhersagesystem zur Prognose von Sturzfluten und Überflutungen werden und für eine maximale Reaktions- und Handlungsfähigkeit im Ereignisfall sorgen.

Dafür werden nach Angaben der Entwickler neueste Verfahren der Künstlichen Intelligenz mit hydrodynamischen Modellen kombiniert. Um Aussagen treffen zu können, werde ein Netzwerk mit einer Milliarde Parameter trainiert, das die raumzeitlichen Strukturen zwischen Niederschlag und dynamischen Überflutungsprozessen effektiv erlernen könne. Dabei fließen Niederschlags- und Überflutungsdaten aus diversen Geodaten des Einzugsgebiets wie Gewässer, Topografie, Gefälleverhältnissen, urbane Infrastrukturen sowie daraus abgeleitete Daten ein.

Nur sehr wenige Frühwarnsysteme

Das Modell könne anschließend mit einer Rechenzeit von wenigen Sekunden auf unbekannte Starkregenereignisse mit hoher Ausdehnung angewandt werden. Mit den Niederschlagsvorhersagen könnten erstmalig auch Wassertiefen, Fließgeschwindigkeiten und andere Parameter ermittelt und weitere Gefährdungsindikatoren für Menschenleben und Infrastruktur abgeleitet werden.

In Deutschland besitzen laut Dr. Hofmann nur drei Prozent aller gefährdeten Kommunen ein Frühwarnsystem für gewässerbedingte Sturzfluten, die bislang aber auf reine Niederschlags- oder Pegelvorhersagen beruhten.

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