Nutzgarten angelegtZülpicher Familie will sich mit Gemüse komplett selbst versorgen

Lesezeit 6 Minuten
Michaela Fischer und Chris Voigt

Lieben ihren wilden Garten und das Leben als Selbstversorger: Manuela Fischer und Chris Voigt aus Zülpich-Mülheim. 

Zülpich-Mülheim – Michaela Fischer nimmt sich die Hacke und haut sie mit Wucht in den Boden. Sie kniet sich hin, holt eine Karotte aus der aufgerüttelten Erde und reicht sie Chris Voigt, der mit dem Erntekorb hinter ihr her geht. Mehr als 300 Quadratmeter ist ihr Nutzgarten groß. Angelegt haben die beiden Mülheimer ihn erst in diesem Jahr. Denn sie wollten ausprobieren, ihre fünfköpfige Familie mit Gemüse komplett selbst zu versorgen. „Mir war es immens wichtig, weil ich mitbekommen habe, dass Gemüse immer teurer wird“, sagt Fischer.

Die 43-Jährige liebt ihren Garten, dabei ist sie eigentlich geborene Städterin: In Berlin aufgewachsen sehnte sie sich mit Anfang 20 nach mehr Natur und Dorf. Sie zog nach Bayern und ein paar Jahre später dann nach Mülheim in den Kreis Euskirchen. Vor 15 Jahren habe ihr Gemüsegärtnerinnen-Dasein mit ein paar Tomaten begonnen. Und dann sei es immer mehr geworden.

Fischer ist eine kleine Frau mit einem sehr ansteckenden Lachen. Was die Körpergröße angeht, sind sie und ihr hünenhafter Lebensgefährte ein ungleiches Paar. Was die Liebe zum Gärtnern und der Natur angeht nicht. Voigt, 35 Jahre, lange Haare und Vollbart, geht in der Gartenarbeit voll auf. „Es gibt nichts Schöneres, als Holz zu hacken und zu wissen, dadurch wird es warm“, schwärmt er.

Selbstversorger-Dasein erfüllt Zülpicher Paar

Der große Selbstversorger-Nutzgarten mache zwar viel Arbeit, aber: „Das selber zu machen, ist so viel besser, als erst Zeit gegen Geld und dann Geld gegen Ware zu tauschen.“ Ihm und Fischer ist anzumerken, wie sehr sie der Garten und damit das Leben als Selbstversorger erfüllt und glücklich macht. Irgendwo anders Urlaub machen, das brauchen sie nicht, sagen beide. Ihr Garten reicht ihnen völlig aus.

Michaela Fischer bei der Ernte

Die Ernte versetzt Manuela Fischer nach wie vor in Staunen.

Wer sich deshalb nun einen akkurat geschnittenen Garten mit Pool und fein säuberlich angelegten Beeten mit Pflanzen in Reih und Glied vorstellt, liegt falsch. Der Garten von Fischer und Voigt schlängelt sich von der Küchentür ihres Hauses aus wie ein langes grünes Band bis hin zu einem Feld. Überall grünt und wächst es, aus den Beeten der Kinder ragen vertrocknete Pflanzen in die Höhe – der Garten macht eher einen verwilderten Eindruck. Im hinteren Teil stehen Obstbäume, auf dem Boden picken Hühner nach Essbarem. Dahinter liegt das Feld. Und genau dort haben die beiden ihren großen Nutzgarten angelegt. Inzwischen ist schon viel geerntet und für einen Laien kaum noch zu erkennen, was eigentlich wo wächst – so groß sind die Pflanzen geworden.

Selbstversorger-Garten

Fast schon verwildert wirkt der große Gemüsegarten. Auf den ersten Blick ist kaum zu erkennen, was hier wächst.

Bevor das möglich war, mussten Voigt und Fischer erst den Boden bearbeiten und einiges an Erde umgraben. Und das mitten im nasskalten Februar. Es seien an einem Tag mehrere Kubikmeter Erde geliefert worden, berichtet Fischer. „Da kann ich nicht auf gutes Wetter warten.“ Zum Glück habe der Landwirt von nebenan sie beim Umgraben unterstützt.

Zur gleichen Zeit habe sie angefangen, Pflanzen vorzuziehen. Fertige Pflanzen zu kaufen, sei bei einem Projekt dieser Größe viel zu teuer. Also säte sie. Weil sie nur ein kleines Gewächshaus haben, mussten einige Pflanzen im Haus keimen. „Dann stand das Schlafzimmer voll“, berichtet Fischer. Jeden Morgen habe sie die Pflanzen vom Boden aufs Bett gestellt, damit sie mehr Licht bekommen konnten.

Selbstversorgergarten ist zeitintensiv

Ganz schön zeitintensiv, so ein Selbstversorgergarten. Dass Fischer und Voigt selbstständig sind, kommt ihnen da entgegen. Fischer hat sich in einem alten Wohnwagen im Garten eine kleine Töpferei eingerichtet. Sie töpfert Teekannen, Tassen, Vasen und vieles mehr. Die Produkte verkauft sie auf Mittelaltermärkten oder auch Gartenmessen. Voigt ist Tätowierer. Da er analog Bilder auf Haut steche, brauche er kein eigenes Studio, berichtet er. Der 35-Jährige tätowiert ebenfalls auf Mittelaltermärkten. Um die Fixkosten zu decken, geht er noch acht bis zehn Tage im Monat einer Lohnarbeit nach.

Nachhaltig ernähren in der Region

Inflation, Klimakrise, Krieg und Pandemie führen dazu, dass das Thema nachhaltiger und regionaler Lebensmittelanbau stärker in den Fokus rückt. Wir zeigen in dieser Serie unterschiedliche Ansätze nachhaltiger Ernährung vor der Haustür. Von Selbstversorgern, über umweltbewusste Metzgerei bis hin zu saisonalen und regionalen Rezepten.

Voigt und Fischer können sich durch ihre Selbstständigkeit ihre Zeit besser einteilen und auch zwischendurch immer mal wieder was im Garten machen. Dennoch sind beide der Ansicht, dass im Grunde jeder so einen Nutzgarten anlegen könne. „Man muss nur wollen und dann machen.“

Letzteres betonen die beiden immer wieder. Die meisten Leute machten sich zu viele Gedanken. „Einfach anfangen“, sagt Fischer. Es müsse ja nicht gleich ein riesiger Nutzgarten sein. Ebenso brauche es kein großes Equipment. „Ich habe auch alte Badewannen benutzt“, so Fischer. Aus einem alten Nachttischchen lasse sich prima ein Hochbeet bauen. Wichtig sei, einfach loszulegen – und sich nicht entmutigen zu lassen. „Wenn du eine Niederlage im Garten hast, dann ist das auch nicht schlimm!“

Ein Leben wie in Bullerbü

Misserfolge kennen Voigt und Fischer. Die Stangenbohnen seien bei der Hitze im Sommer vertrocknet und beim Mais hätten sie die ideale Zeit zum Ernten verpasst, berichten sie. Aber all das seien einfach Erfahrungen, aus denen man lernen könne, sagt Voigt. Kein Grund aufzuhören.

Chris Voigt bei der Ernte

Die Arbeit draußen macht Chris Voigt Spaß.

Wenn man den beiden in ihrer lehmverputzten Küche, von deren Holzdecke überall Kräuter zum Trocknen hängen, beim Erzählen über die Gartenarbeit lauscht und dabei die Sonne durchs Fenster scheint, bekommt man selbst Lust, den Spaten in die Hand zu nehmen. Das Leben der beiden, wie sie es beschreiben, klingt idyllisch. Ein bisschen nach Bullerbü. Aber so ein Nutzgarten muss auch dann bearbeitet werden, wenn es draußen regnet und stürmt und man eigentlich nur noch auf die Couch will. Für Voigt kein Problem, er sei sowieso am liebsten draußen. Bei Wind und Wetter. „Da freut man sich dann auf die Wanne.“

Zülpicher fahren üppige Ernte ein

Und die harte Arbeit lohnt sich: Die Ernte der beiden ist üppig ausgefallen. Auf einem Tisch am Gemüsebeet haben die beiden ein bisschen was gesammelt. Dicke gelbe Zucchini reihen sich an Kürbisse und lange Rote-Bete-Knollen, daneben liegen Möhren, Tomaten und Kohl, in einem Korb stapeln sich dicke und lange Gurken zum Einmachen. Zu sehen, was aus den kleinen Pflänzchen geworden sei, bringe sie nach wie vor zum Staunen, berichtet Fischer. „Ich freue mich wie ein kleines Kind“, sagt sie und lacht.

Üppige Ernte

Reichlich Ernte konnten Fischer und Voigt einfahren.

Sie haben so viel geerntet, dass sie vieles an Nachbarn und Freunde verschenkt haben. Überhaupt habe der Nutzgarten eine ganz neue Verbindung zu den Menschen im Ort geschaffen, berichten die beiden. Die älteren freuten sich, endlich noch einmal einen Garten zu sehen wie in ihrer Kindheit und die Kinder zeigten sich fasziniert und wissbegierig. Sie hätten mit Nachbarn am Lagerfeuer gesessen, die sie vorher kaum kannten, so Fischer.

Das könnte Sie auch interessieren:

Den Sommer über hat das mit der Gemüseselbstversorgung bei ihr, ihrem Lebensgefährten und den drei im Haus lebenden Kindern gut geklappt, auch Obst hätten sie dank eigener Kirschen, Äpfel, Birnen, Himbeeren und mehr kaum dazu gekauft, berichtet Fischer. Nun wollen sie es mit dem Eingemachten und ein paar Wintersorten auch über die kalte Jahreszeit schaffen. „Schauen wir dann mal im Frühjahr, ob wir dazukaufen mussten“, sagt Fischer. Vorher müssen die beiden aber noch einiges ernten.

KStA abonnieren