Chempark kommt nicht zur RuheCurrenta spielt wohl nicht mit offenen Karten

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Chempark Lev dpa

Am Mittwochabend platzte ein Rohr im Leverkusener Chempark, die Feuerwehr fing die Chemikalie mit einem Wasserschleier ein.

Leverkusen – Früher hat das kaum jemanden berührt in der Nachbarschaft des Bayer-Kreuzes. Ein Knall, kurz darauf hörte man Sirenen hinter der Werksmauer. Eine Rohrleitung, die sich über viele Kilometer durch das Leverkusener Chemiewerk windet, war am Mittwochabend geplatzt. Dieses Mal trat 3,4-Dichlornitrobenzol aus, das ist eine Basischemikalie, man braucht sie für Kosmetika ebenso wie für Farbstoffe oder Herbizide. Der Unfall ereignete sich an einem Betrieb von Lanxess, der schon vor Jahren von Bayer ausgegliederten Chemie-Sparte.

Dieses Mal war aber etwas anders: die Reaktion derer, die nah am Werk leben. Von einer großen Zahl Notrufe berichtete die Rettungsleitstelle auf der Feuerwache der Stadt, die seit kurzem nahe des Chempark an der B 8 angesiedelt ist. Das ist natürlich Zufall, aber inzwischen gibt es Leverkusener, die das beruhigt.

Große Anspannung in Leverkusen

Die Anspannung ist sehr groß geworden in der Stadt, die „vom Bayer“ lebt – und darin auch nichts ändern will. Was sich aber geändert hat seit jenem 27. Juli, an dem sich am Sondermüllofen des Chempark eine Explosion ereignete, ist der Blick auf die Verantwortlichen im Werk: „Da ist sehr viel Vertrauen zerstört worden“, sagte am Freitag zum Beispiel der Politiker Dirk Loeb.

Im Umweltausschuss der Stadt wurde hingebungsvoll über die Lehren gestritten, die aus der Katastrophe zu ziehen sind, die sieben Menschen das Leben kostete. Das zeigt: Das grundsätzliche Vertrauen, dass hinter der Werksmauer oder im riesigen Entsorgungszentrum ein paar hundert Meter den Rhein hinunter alles perfekt abläuft, hat einen Riss bekommen. Und der ist in den sieben Monaten, in denen die Kölner Staatsanwaltschaft und eine Vielzahl Gutachter herauszufinden versuchen, was da eigentlich passiert ist an jenem Sommermorgen im Stadtteil Bürrig, eher tiefer geworden.

Chempark Explosion dpa

Eine große Rauchwolke ist nach einer Explosion im Chempark am Donnerstagabend sichtbar.

Denn es hat den Eindruck, dass es mit der Kontrolle des Giftmüllofens, in dem pro Jahr 264.000 Tonnen hochgefährliche Stoffe verbrannt werden können, nicht so weit her ist. Die Kölner Bezirksregierung hat die Anlage weniger oft gecheckt, als sie könnte. Und je mehr Details ans Licht kommen, desto offenkundiger wird auch, dass es Lücken im Sicherheitssystem des Betreibers Currenta gibt.

Einige Bürger boykottieren „Begleitkreis“

Zwar werden die jetzt von einem erfahrenen Mann untersucht. Aber die Mission von Christian Jochum leidet darunter, dass der Chemie-Professor, der auch mal die Störfallkommission beim Bundesumweltministerium geleitet hat, von Currenta bezahlt wird. Ausgesucht hat ihn zwar die Bezirksregierung, also die Aufsichtsbehörde. Nur, dieser Aspekt spielt vor allem für die Anwohner des Sondermüllofens in Bürrig keine Rolle.

Das hat sich in den beiden ersten Treffen des von Jochum ins Leben gerufenen „Begleitkreises“ gezeigt: Das Gremium, in dem Jochum Vertreter von Currenta und den Aufsichtsbehörden mit einigen Politikern sowie einer handverlesenen Gruppe von Nachbarn des Katastrophen-Ofens zusammenbringt, tagt unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Und einige boykottieren den „Begleitkreis“, weil sie ihn für ein Abnick-Gremium halten, das dazu dient, längst feststehende Entscheidungen zu begleiten.

Explosion in der Entsorgungseinheit des Chempark im Sommer 2021

Der Bürriger Immo Filzek zum Beispiel hat das in einem Brief an Currenta so ausgedrückt: Er glaube nicht, dass im Begleitkreis ein „ernsthafter Arbeitsprozess eingeleitet werden soll, der dazu führt, dass alle relevanten Fakten nachweislich ehrlich und überprüfbar auf den Tisch kommen“ – aber nur dann könne er das angestrebte Wiederanfahren der Anlage beruhigt zur Kenntnis nehmen. Einen Fahrplan dafür will Jochum übrigens am 23. Februar im „Begleitkreis“ vorlegen.

Immo Filzek hat Ursula Heinen-Esser angeschrieben. Um die Umweltministerin daran zu erinnern, dass sie im Herbst 2021 angekündigt hatte, die Explosion in der Entsorgungseinheit des Chempark lückenlos aufzuklären und die Verantwortung des Betreibers herauszuarbeiten, aber auch mögliche Lücken in der Überwachung durch die Behörden zu erkennen und abzustellen.

Da gibt es einiges: So teilten weder Currenta noch das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz mit, dass nach dem Unfall bisher über 30.000 Tonnen eines problematischen Cocktails aus Lösch- und normalem Abwasser in den Rhein gelassen wurden. Damit ist das verbotene Insektengift Clothiniadin in bisher nicht denkbarer Konzentration in den Strom gelangt, aus dem Millionen Menschen ihr Trinkwasser beziehen. Eingeräumt wurde das erst, nachdem Journalisten sich in das Thema eingearbeitet hatten.

Kommunikationspanne zwischen Bezirksregierung und NRW-Ministerium

Die Ministerin wusste davon ebenso nichts wie der örtliche Wasserversorger: Eine Kommunikationspanne zwischen Bezirksregierung und Ministerium hieß es zur Erklärung. Die fünf Monate lang unbemerkt gebliebene Leckage in einem weiteren Tank, in dem Currenta nach der Explosion und dem von ihr angefachten Großbrand massenhaft Lösch- und Abwasser gebunkert hatte, wurde zwar kommuniziert. Aber da hatte sich längst der Eindruck verfestigt, dass die Betreiberfirma des Chempark nicht mit offenen Karten spielt.

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So sieht es inzwischen sogar der Wirtschaftsminister: Für Andreas Pinkwart war der Zwischenfall vom Mittwochabend Anlass für Fragen nach der Sicherheit in einem Schlüsselbereich der größten Chemieregion Europas. Wenn hier das Vertrauen in die Sicherheit schwindet, haben alle ein Problem. Nicht nur die Leverkusener. 

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