Leichlinger Flut-Erinnerungen„Wildfremde Menschen haben sich gegenseitig unterstützt“

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Leili-Awo-Flutfest

Susanne Burgtorf und Rolf Brombach haben nach der Flut geholfen: zum Beispiel der alten Schulfreundin Conny. 

Leichlingen – Die DLRG rettet Menschen mit Schlauchbooten aus ihren Wohnungen und Häusern. Die Feuerwehr legt tagelang nicht ihre Uniformen ab. Kinder müssen zusehen, wie ihr Zuhause davon schwimmt. All diese schrecklichen Eindrücke sind gut 365 Tage her. Sie beschäftigen die Bewohner in Leichlingen, die Helfenden und vor allem die, die viel, manchmal alles verloren haben.

Zum Dank veranstaltet die Arbeiterwohlfahrt Leichlingen ein Sommerfest. „Das Engagement der Mitmenschen war während und nach der Flut fantastisch“, urteilt Awo-Chef Michael Altmeyer-Lange. „Der gesellschaftliche Zusammenhalt, den man beobachten konnte und die Solidarität, das gibt uns Hoffnung.“

Um 15 Uhr am Samstag ist noch nicht viel los. Rolf Brombach und Susanne Burgtorf sitzen mit Kuchen an einem Biertisch. „Wir wollten helfen und haben uns gefragt, warum wir weit wegfahren sollen. Hier gab es genügend zu tun. Müll lag auf den Straßen. Er türmte sich zu Meter hohen Haufen und hatte sich in Hecken und Büschen verfangen“, erinnert sich die 46-jährige Susanne Burgtorf.

Angst vor einer Rattenplage

Die Stadt habe Angst vor einer Rattenplage gehabt, deshalb hätten ehrenamtliche Helfer Gummihandschuhe, Plastiktüten und Müllzangen bekommen, um einen kleinen Teil des großen Chaos zu beseitigen. „Als wir so durch die Straßen liefen, hörte ich auf einmal meinen Namen. Ich erkannte meine alte Schulfreundin Conny, die direkt an der Wupper wohnt. Ihr ganzer Keller und ein Teil des Erdgeschosses waren vollgelaufen. Also habe ich meine kleine Zange in die Ecke gestellt und mir vorgenommen ihr ein, zwei Stunden zu helfen“, berichtet der 68-jährige Rolf Brombach, „Doch daraus wurden schnell mehre Tage.“

Im Keller seien ihnen Schränke, Pappe, vollgelaufene Weihnachtsbaumkugeln und Spielzeug entgegengeschwommen. „Der Anblick war grausam, aber der Geruch noch viel schlimmer.“ In dem Chaos habe seine Schulfreundin den Überblick verloren. „Wir mussten sortieren. Was schmeißen wir weg und was behalten wir. Oft war sie überfordert, Entscheidungen zu treffen. Sie war froh damit nicht allein zu sein“, so Brombach.

Schnell war das Hilfsnetzwerk geknüpft

„Schön war die Hilfsbereitschaft. Wildfremde Menschen haben sich gegenseitig unterstützt und sind sich beigestanden.“ Ziemlich schnell habe sich unter den Helfenden und Betroffenen ein Netzwerk gebildet. „Wenn was ist, ruf an, haben wir gesagt“, sagt Brombach. Die Menschen hätten erkannt was wichtig war: „Eine Frau ist mit einem Bollerwagen durch die Straßen gezogen und hat heißen Kaffee verteilt“, sagt Susanne Burgtorf. Am Wochenende nach der Flut hätten viele Häuser keinen Strom mehr gehabt, sagt Brombach. „Nicht jeder hatte einen Dieselaggregat, um den Keller leer zu pumpen. Da hatten wir bei meiner Schulfreundin im Haus großes Glück.“

Die Infrarotlampe ging in Flammen auf

Damals habe Brombach eine Infrarotlampe seiner Schulfreundin mitgenommen, um sie zu trocknen. „Der Wupperlehm ging nicht ab. Egal wie hartnäckig man die Lampe versucht hat, sauber zu machen. Als ich sie dann in die Steckdose gesteckt habe, hat sie angefangen zu brennen. Ich habe sie bis heute immer noch und wollte sie Conny wieder geben, aber leider ist sie im Urlaub“, berichtet er.

„Nach der Flut habe ich überlegt, mir einen Notfallkoffer mit unersetzlichen Dingen, wie Fotoalben und Dokumenten zuzulegen. Und der sollte besser wasserfest sein“, sagt Suanne Burgtorf und lacht. Im Kopf sollten wir alle besser vorbereitet sein, denn das Schicksal könne plötzlich einen anderen Weg einschlagen. „Ich befürchte, dass es irgendwann wieder kommen wird“, sagt sie.

Die Macht der Wupper

„Für uns war das jenseits der Vorstellungskraft, wie die Wupper aussah. Früher stieg sie ab und zu mal leicht an, aber so hätte sich das keiner ausgemalt“, so Susanne Burgtorf. Nun hätten viele Menschen das Gefühl bekommen was der Fluss alles könne, versichert sie. Sie habe die große Hoffnung, dass die Verantwortlichen alles tun, damit sich solche Katastrophen nicht wiederholen.

Rolf Brombach findet, dass Gebäude in Flussnähe umgebaut werden müssen. „Das Erdgeschoss sollte man vielleicht besser nicht mehr als Wohnfläche nutzen, sondern zum Beispiel als Garage für Autos.“ Oder man baue Stelzenhäuser wie in Hamburg oder schwimmende Häuser wie in den Niederlanden. Außerdem müssten Warnsysteme früher und schneller anspringen und funktionieren.

Ein neues Schulfach?

Für Schulkinder sollte es ein neues Fach geben, in dem der Bezug zur Natur hergestellt und ihr Schutz an Bedeutung gewinne. „Unsere Kinder müssen verstehen, wie man eine Flut oder weitere klimabedingte Naturkatastrophen verhindert, wenn wir Alten das schon nicht hinkriegen“, betont Brombach. Gegen das Vergessen könne man „hier in Leichlingen und in anderen flutbetroffenen Gebieten wetterfeste Schilder mit Bildern von beschädigten, überschwemmten Häusern aufstellen und einen Lehrpfad für Kinder, Jugendliche und Schulklassen daraus gestalten. Eine Art Stolpersteine, die den Kindern zeigen sollen, wie es hier einmal aussah.“

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Rolf Brombach und Susanne Burgtorf demonstrieren öfters an den Tagebauen Hambach und Garzweiler. „Die fossilen Energien sind zum Teil ein Grund dafür, warum viele Menschen durch die Flut ihr Zuhause oder Angehörige verloren haben“, sagt Burgtorf. Alle Planungen zur Stromerzeugung und Beschaffung von Energie seien veraltet. Jetzt müsse ein Umdenken stattfinden, und zwar schnell.

Astrophysiker, Naturphilosoph und Wissenschaftsjournalist Harald Lesch habe noch vor zwei Tagen in einer Sondersendung im Fernsehen gesagt: „Mir klingt das Wort Klimawandel viel zu friedlich. Klimakatastrophe ist ein besserer Begriff, denn mit der könne man keine Kompromisse machen.“ Rolf Brombach liest das Zitat aus seinem Notizbuch vor. Er hat es sich aufgeschrieben, weil es für ihn eindeutig ist.

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