GeschichteSpaziergang durch Hitdorf

Das hat sich damals folgendermaßen zugetragen...: Klaus Werner (links) und Karlheinz Lange stehen auf der Rheinstraße und erzählen von „ihrem“ Stadtteil.
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Hitdorf – Dafür, dass Hitdorf ein wenig abseits dessen liegt, was den Kern der Stadt Leverkusen ausmacht, war seine Rolle einmal umso wichtiger. So wichtig gar, dass Ortsansässige wie Karlheinz Lange (71) und Klaus Werner (65) mit Stolz vom „Hitdorfer an sich“ sprechen, wenn es um ihre knapp 2000-köpfige Nachbarschaft geht. „Wir“, sagt Werner und klingt dabei nicht im Geringsten nach Scherz, „waren nämlich lange Zeit Handelszentrum und das Tor zum Bergischen Land.“ Sprich: Ohne Hitdorf und die Hitdorfer – die ja eigentlich erst seit 1975 zu Leverkusen gehören – hätte das Hinterland ganz schön blöd dagestanden. Das beweist ein Rundgang durch Hitdorf an fast jeder Ecke.
Als im Ort geborener Vorsitzender (Werner) sowie hier aufgewachsener Schifffahrtsexperte (Lange) des Heimatvereins Hitdorf ist das Duo übrigens die beste Wahl für einen solchen Rundgang: Wenn die beiden über die Rheinstraße als Seele des Stadtteils spazieren, dann wissen sie alle paar Meter etwas zu erzählen und zu zeigen. Da ist zum Beispiel das Kran-Café am Hafen, das hinsichtlich Urigkeit, Exklusivität und deutlich beschränktem Platzangebot seinesgleichen sucht in der Region. Oder einmal quer über die Straße das Hotel „Bergischer Hof“, das seinen Namen nicht umsonst trägt: Dort trafen früher – genauer gesagt zwischen der Mitte des 14. Jahrhunderts und den 1970er Jahren – die den Rhein befahrenden Holz-, Lebensmittel- und wer weiß in welchem Metier sonst noch tätigen Händler mit den hiesigen Geschäftsleuten zusammen. Per Handschlag wurden beim Bier in der Stube Verträge ausgehandelt. „Und hin und wieder wurde das beim Handel eingenommene Geld auch schnell wieder versoffen“, weiß Lange nach jahrelangen Recherchen.
Geschichte der Hochwasser
Apropos Handel: Lange und Werner zeigen an vielen Häusern entlang der Rheinstraße auf die zugemauerten und trotzdem noch deutlich zu erkennenden, niedrigen Fenster: Durch die wurde damals die per Schiff angelieferte und oft verderbliche Ware in die Kühle der Hauskeller gereicht und bis zum Weitertransport gelagert.
Weiter oben an den Hauswänden befinden sich zudem noch heute Hochwassermarken. Sie zeigen, was ein durch Regen und Schneeschmelze angewachsener und über die Ufer getretener Rhein in Zeiten vor dem 2010 errichteten Schutzwall anrichten konnte: So stand das Wasser nicht nur am Vorweihnachtstag 1993 auf Höhe der Fensterbänke und bedeutete für manchen Hitdorfer tagelange Schufterei, um die eigenen vier Wände wieder halbwegs trocken und frei von Schmutz und Schlamm zu bekommen. „Heute“, sagt Werner, „sind wir bis zu einem Pegel von 9,50 Meter sicher.“ Was bedeutet: Viel passieren kann eigentlich nicht mehr, wenn der Fluss mal wieder anschwillt.
Alte Fabriken
Auch wenn dieser manchmal gehasste, aber immer geliebte Rhein wie kaum etwas anderes untrennbar zu Hitdorf gehört, so ist er übrigens doch keines von jenen örtlichen Aushängeschildern, die hier der „Hitdorfer Dreiklang“ genannt werden. Der „Dreiklang“, das sind vielmehr die drei Standbeine des Handels, die den ältesten weil bereits 1151 urkundlich erwähnten Stadtteil Leverkusens vor allem im 19. und 20. Jahrhundert zu wirtschaftlicher Blüte führten: Tabak, Holz und Bier.
Dort, wo heute zwischen der Rheinstraße und der Hitdorfer Straße – sie ist Verkehrsader und somit das Herz des Stadtteils – viele Neubauten mit Wohnungen und Büros stehen und als „Rheinpark“ firmieren, lagen früher nämlich neben dem alten Rathaus (bis 1961) auch die von Johann Michael Fitzen geführte Zündholz-Fabrik (ab 1841), die Tabakfabrik des Unternehmers Johann Peter Dorff (ab 1765), die 1915 von Zigarrenfabrikant Lorenz Cremer übernommen wurde. Und eben jene Brauerei, in der nach Ende des Zweiten Weltkrieges das „Hitdorfer Pilsner“ gebraut wurde. Sie wurde erst 1990 mitsamt ihrem weithin sichtbaren Turm des Sudhauses abgerissen. „Der Turm mit seiner Leuchtwerbung in Form eines Bierglases war natürlich eine Attraktion“, sagt Lange. So wie das Bier selbst, das allseits beliebt und für eine bestimmte Klientel sogar unverzichtbar war: Wenn die Flößer – die noch bis in die 1970er Jahre Holz aus Süddeutschland den Rhein hinab in die Hitdorfer Holzfabrik brachten – ihre Ladung gelöscht hatten, löschten sie mit dem Gerstensaft auch ihren Durst.
Früher ein Wirtschaftsstandort
Seitdem schritt der Wandel Hitdorfs voran – weg vom Wirtschaftsstandort, hin zum Naherholungs- und Freizeitgebiet: Heutzutage kommen die Leute her, um im Schatten des Kirchturms von St. Stephanus und der zur Zeit noch an der Rheinstraße geparkten kultigen „Persil“-Lokomotive Picknick am Rhein zu machen. Sie kommen, um im Hitdorfer See zu baden oder zu tauchen. Sie besuchen das Matchbox-Theater als Ur-Heimat des landesweit bekannten Hitdorfer Kabarettisten Wilfried Schmickler und trinken anschließend noch ein Kölsch in der ältesten Kneipe vor Ort, „Em Schokker“. Oder sie setzen mit der 1962 in Betrieb genommenen Fähre nach Köln über.
„Die Jungfernfahrt der Fähre habe ich damals als Messdiener begleitet“, erzählt Lange noch heute begeistert – und hat noch eine schöne Anekdote parat: „Dass Hitdorf überhaupt eine Fähre hat“, sagt er, „verdanken wir unserem alten Bürgermeister Müller.“ Dieser habe sich nämlich zu Beginn der 1960er Jahre dem großen Kölner OB Konrad Adenauer widersetzt, als dieser lieber eine Brücke über den Rhein bauen wollte.
Diese Brücke führt nun ein paar Kilometer stromaufwärts über den Fluss – mit Autobahn, während die Hitdorfer ihre Ruhe haben und durch die Fähre ihrer Liebe zum Wasser ein herrliches, kleines Denkmal setzen konnten. Keine Frage: Der Hitdorfer an sich freut sich bis heute darüber.
