KraftwerkÜber Leverkusen in den Musik-Olymp

Die „klassische“ Besetzung 1975 im Forum: Florian Schneider, Ralf Hütter, Karl Bartos, Wolfgang Flür (v. l.).
Copyright: BILDER: Eberhard Kranemann (2), HOLGER SCHMITT Lizenz
Leverkusen – Ob sich noch viele Leverkusener daran erinnern können, was sie am 15. Februar 1971 getan haben? Vermutlich nicht. Dabei hat dieser Tag vor fast 43 Jahren mit drei großen Dingen zu tun: mit Los Angeles, dem Grammy und der international einflussreichsten deutschen Band aller Zeiten. Die Band heißt Kraftwerk. Die Düsseldorfer gelten als Pioniere des Elektropop – dafür bekommen sie am Sonntag den wichtigsten Musikpreis der Welt verliehen: den Grammy. Ort der Zeremonie ist Los Angeles. Und was nun Leverkusen angeht, so ist erwiesen, dass Kraftwerk einen ersten großen Schritt auf dem Weg hinauf in jenen Pop-Olymp, den sie heute betreten, in Leverkusen setzten.
In der jüngst erschienenen, bislang umfassendsten aller Biografien dieser Band – verfasst vom Engländer Tim Buckley – steht es auf Seite 63 als Zitat des Gründungsmitgliedes Eberhard Kranemann schwarz auf weiß: „Eines der größten Konzerte der Band fand 1971 im Forum in Leverkusen statt. Wir spielten vor etwa 1200 Zuschauern, ein Konzert von zwei bis drei Stunden Länge.“ Mittlerweile, nach einigen Recherchen, sagt der heute in Solingen lebende Kranemann sogar: „Das Leverkusener Konzert war damals das bis dato größte Kraftwerk-Konzert überhaupt.“ Zuvor sei die Band vor allem durch Clubs getingelt. Dann kam das Forum. Von der heutigen Kraftwerkbesetzung war damals zwar niemand dabei – auch Ralf Hütter nicht, der neben Florian Schneider als der Macher der Band gilt. Kranemann erinnert sich: „Sein Vater hatte ihn dazu gedrängt, erstmal zu studieren anstatt Musik zu machen.“
Aber auch ohne Hütter – dafür mit Kranemann, Schneider, Michael Rother, Klaus Dinger und Houschäng Nédjadepour – sei der Auftritt legendär gewesen: „Da ging die Post ab. Florian mit seinen Flöten und ich mit meiner Hawaiigitarre waren die coolen Burschen vorne. Die anderen hinter uns haben mit voller Hingabe einen ordentlichen Rhythmus gefetzt.“ Vor allem der damals erfolgreichste Song der Band, „Ruckzuck“, habe die Zuschauer elektrisiert.
Der „Leverkusener Anzeiger“ titelte damals entsprechend „Ruckzuck: Forum voll“. Autorin Theresia Schräder schrieb über „Hippies, Fast-Hippies und langhaarigen Heiße-Höschen-Mädchen“, die auf den Stufen des Terrassensaales standen oder saßen und sich am Ende als „wildbewegte Menge nicht satthören“ konnten. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtete von 300 zu wenig gedruckten Eintrittskarten für das Konzert, das ursprünglich im kleinen „Vortragssaal“ sein sollte und wegen des Andrangs verlegt wurde.
Unter den Zuschauern befand sich 1971 auch der heutige Organisator der Leverkusener Jazztage, Eckhard Meszelinsky. Dem Ankündigungsplakat nach zu urteilen, hatte er für dieses „Beat-Konzert“ fünf Mark Eintritt bezahlt. „Und es war ziemlich wild. Als ich rauskam, hatte ich dieses Stück – „Ruckzuck“ – für Wochen im Kopf.“ Aber auch so habe ihn die Darbietung dieser Band beeindruckt, die damals zwar noch nicht so vollelektronisch daherkam wie zu späteren Erfolgszeiten, die aber schon erahnen ließ, welcher Ideenreichtun in ihr steckte: „Ich war fasziniert von diesen Parkhütchen, die sie überall aufgestellt hatten und die ja auch auf dem Cover ihrer ersten Platte waren“, weiß Meszelinsky noch heute. Und er lacht, wenn er sagt: „Und natürlich hatten sie da all dieses Gerümpel, auf dem sie Musik machten.“
Auch Michael Rother – der heute in Norddeutschland lebende Musiker war damals mit Klaus Dinger erst kurz vor dem Konzert zur Band gestoßen und hatte Peter A. Schmidt ersetzt – weiß noch um die Besonderheit des Augenblickes: „Es war eine neue Situation, plötzlich so viele junge, begeisterte Menschen vor der Bühne zu sehen. Aber genau darum ging es ja auch: um diese Rückkopplung, diese Spannung zwischen Band und Zuschauern.“ Kranemann spricht von „lauten „Zugabe!“-Rufen“. „Die Leute haben sich nicht mehr eingekriegt.“
Falsches Datum?
Vier Jahre später – am 27. Februar 1975 – traten Kraftwerk übrigens noch einmal im Forum auf: Diesmal in der als „klassisch“ geltenden Besetzung mit Ralf Hütter, Florian Schneider, Wolfgang Flür und Karl Bartos. Von diesem Auftritt existiert sogar ein Audiomitschnitt auf der Internetplattform „You Tube“. Als Datum angegeben ist dabei – aus welchen Gründen auch immer – allerdings der 22. April 1974. Oder waren Kraftwerk gar dreimal in Leverkusen zu Gast? „Ich vermute, dass dieses ominöse, dritte Datum einfach falsch angegeben ist“, sagt Horst Scholz vom Kulturbüro der Stadt. „Erstens stimmen die gespielten Liedtitel genau mit denen aus dem Jahre 1975 überein. Und zweitens liegen uns auch keine Unterlagen über ein weiteres Konzert vor.“ Wie auch immer: Vor Los Angeles war Leverkusen. Soviel steht fest.