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Seit 1961 produziert Bayer AntibabypilleWarum junge Frauen heute hormonfreie Verhütung bevorzugen

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Schering Archiv/Bayer AG: Erste Pille, die 1961 in deutschland auf den Markt kam

„Anovlar“ war die erste Pille, die 1961 auf den Markt in Deutschland kam – von Schering, das später von Bayer übernommen wurde.

1961 brachte Schering, heute Bayer, mit „Anovlar“ die erste Pille auf den Markt. Zwei Frauenärztinnen und eine Sexualpädagogin aus Leverkusen erklären, wie es um Verhütungsmittel zurzeit bestellt ist.

Das Kondom ist wieder auf der Überholspur: Mittlerweile hat es die Antibabypille als beliebtestes Verhütungsmittel von jungen Menschen in Deutschland abgelöst. Laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nutzen knapp zwei Drittel von jungen Leuten zwischen 16 und 25 Jahren ein Kondom (67 Prozent). Die Pille wird von nicht ganz der Hälfte der Befragten verwendet (46 Prozent). Die Antibabypille ist rückläufig – und das 65 Jahre, nachdem sie in den USA auf den Markt gekommen war. 1960 war das. Ein Jahr später gab es sie auch in der Bundesrepublik: Bayer, damals noch Schering, brachte „Anovlar“ auf den Markt.

Nach wie vor ist das ein großes Geschäft: 21 hormonelle Verhütungsmittel aus dem Hause Bayer (beziehungsweise von der 100-prozentigen Bayertochter Jenapharm) werden aktuell in Deutschland vertrieben. Die Pillen Yasmin und Yasminelle tauchen unter den umsatzstärksten „Pharmaceutical“-Produkten im Geschäftsbericht auf. 658 Millionen Euro Umsatz hat der Pharmariese aus Leverkusen 2024 damit gemacht. Allerdings hat es das Unternehmen in der Vergangenheit auch viel gekostet: Gerade Klagen in den Vereinigten Staaten hätten das Unternehmen mehr als zwei Milliarden Euro Schadenersatz gekostet.

Expertinnen: Frauen sehen Hormone mittlerweile kritisch

Viele junge Frauen lehnen die Pille mittlerweile ab, Hormone sind in den vergangenen Jahren in Verruf geraten. Das kann die Leiterin der Frauenklinik des Schlebuscher Klinikums, Ines Beyer, bestätigen: „Tatsächlich hat sich das Verhalten über die letzten Jahre verändert. Junge Frauen nehmen wieder mehr Kondome zur Verhütung als die Pille, weil sie sich Sorgen machen, dass die Pille sie körperlich und seelisch negativ beeinflusst.“ Da sei was mit dran, die Pille könne Einfluss haben auf die Stimmung, könne „depressive Stimmungen begünstigen und auch die Libido beeinflussen“.

Pro Familia Leverkusen, Pia Heck (Blond, Leiterin) mit Miriam Pouget (dunkelhaarig, Frauenärztin)

Pia Heck leitet den Pro-Familia-Standort in Wiesdorf in der Nobelstraße.

Aber auch durch das Auftreten von Thrombosen sei die Pille in Verruf gekommen, hat Beyer beobachtet. „Das war vor allem in den USA ein großes Thema. Dort haben es viele Frauen genommen, die übergewichtig waren. Bei kombinierten Pillen mit manchen neuen Gestagenen steigt das Thromboserisiko, vor allem, wenn man Risikofaktoren besitzt.“ Hier geht es um Rauchen, Übergewicht, üblicherweise mache die Ärztin oder der Arzt eine Anamnese, ob es schonmal jemanden mit einer Thrombose in der Familie gab. „Das ist vielen Frauen so nicht bewusst gewesen, Ärzte haben da vielleicht auch nicht genügend darauf geachtet.“ Es gebe aber bei uns „langjährig erprobte Gestagene, die ein niedriges Risiko für eine Thrombose haben. Prinzipiell ist die Pille ein zuverlässiges Verhütungsmittel“, betont die 47-jährige Frauenärztin.

Ines Beyer Direktorin Frauenklinik Klinikum leverkusen Schlebusch

Ines Beyer ist Direktorin der Frauenklinik im Klinikum in Schlebusch.

Auch die Beraterinnen von Pro Familia in Leverkusen haben beobachtet, dass mehr junge Frauen der Pille kritisch gegenüber stehen. Allerdings: „Es gibt viel Halbwissen und auch Falschinfos durch Social Media“, erklärt Miriam Pouget. Die Gynäkologin arbeitet seit knapp einem Jahr am Wiesdorfer Standort und berät auch zum Thema Familienplanung und Verhütung. Ein wenig Schuld gibt sie auch der Tatsache, dass der Aufklärungsunterricht zurückgefahren wird. Grundsätzlich hat sie festgestellt: „Es fehlt das Wissen, dass die Verhütungsmittel nicht gleichwertig sind.“ Und der Ärzteschaft fehle die Zeit für intensive Beratungen: „Es gibt knapp 30 verschiedene Pillen, man braucht Zeit, um Ängste ernst zu nehmen und individuell zu beraten.“

Pro Familia Leverkusen, Pia Heck (Blond, Leiterin) mit Miriam Pouget (dunkelhaarig, Frauenärztin)

Miriam Pouget arbeitet als Frauenärztin bei Pro Familia in Leverkusen.

Zeit, die niedergelassene Gynäkologen und Gynäkologinnen oftmals nicht haben, bei Pro Familie hingegen schon. Deren langjährige Leiterin Pia Heck hat festgestellt, dass es nicht ein Verhütungsmittel für die gesamten Jahre gebe. „Viele steigen mit dem Kondom ein, dann gehen nach wie vor viele Frauen auf die Pille, bevor sie mit Mitte oder Ende 20 sagen: ,Ich möchte keine Hormone mehr schlucken'“ – sei es wegen der Nebenwirkungen, viele Frauen hätten auch Angst vor einer Gewichtszunahme oder Depression.

Im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung steht, dass geprüft werden soll, ob nicht die Kosten der Pille bei Frauen bis zum Alter von 24 Jahren für zwei weitere Jahre übernommen werden soll. Das findet Ines Beyer vom Klinikum in Schlebusch, „prinzipiell gut“. Nach wie vor, so empfindet sie das, sei Verhütung „gesellschaftlich betrachtet Frauensache“. Der große Durchbruch bei Alternativen für den Mann ist aktuell nicht zu beobachten, es gab in den vergangenen Jahren immer mal wieder Ansätze für Hormonspritzen für Männer. „Da geht die Forschung natürlich weiter“, erläutert Beyer. „Aber bislang ist kein Produkt auf dem Markt, das so eine hohe Akzeptanz finden würde.“