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Interview

Frauenklinik-Leiterin
„Die Wünsche an die Geburt sind gestiegen“

Lesezeit 6 Minuten
Ines Beyer, Direktorin der Frauenklinik im Klinikum Leverkusen

Ines Beyer leitet die Frauenklinik am Klinikum in Schlebusch – und hat vor drei Jahren die Endometriose-Sprechstunde ins Leben gerufen.

Ines Beyer leitet die Frauenklinik am Klinikum Leverkusen. Sie spricht über die Erwartungen von Eltern und ob Ärzte gerne Kaiserschnitte durchführen.

Anfang Mai hat der hebammengeführte Kreißsaal eröffnet. Warum liegt dieses Konzept gerade so im Trend? Weil das den Anschein von „mehr Natürlichkeit oder mehr Ursprünglichkeit“ hat?

Das ist sicher ein Aspekt. Strukturell gibt es vielleicht auch nicht mehr so viele Hebammen, die Hausgeburten oder Geburten in Geburtshäusern anbieten. Da ist sicher der Bedarf bei den Frauen da. Von der Weltgesundheitsorganisation gibt es weltweite Untersuchungen, dass Frauen mit niedrigem Risiko (unter 35 Jahren, normalgewichtig, Nichtraucherinnen) in Hebammen-geleiteten Geburten sehr gut betreut sind und auf keinen Fall schlechter, als wenn die Geburt ärztlich geleitet ist. So breitet sich dieses Konzept gerade bei uns aus.

Meinen Sie nicht, dass da auch Misstrauen gegenüber Ärztinnen und Ärzten mitschwingt? In den vergangenen Jahren hat das Thema „Gewalt unter der Geburt“ beziehungsweise Eltern, die sich nicht gut aufgehoben gefühlt haben, mediale Aufmerksamkeit erhalten.

Die Gewalterfahrungen sind, glaube ich, unabhängig von Berufsgruppen. Tatsächlich ist der prinzipielle Anspruch für die Geburtshilfe in der Bevölkerung gestiegen. Man möchte, dass die eigenen Vorstellungen und Wünsche auch umgesetzt werden können. Natürlich bietet ein Konzept wie der hebammengeführte Kreißsaal auch mehr Möglichkeiten, individueller darauf einzugehen.

Das heißt, die Wünsche der Eltern an die Geburt sind gestiegen?

Auf jeden Fall. Wenn man überlegt, wie Geburtshilfe vor 40 Jahren war: Da lagen die Frauen nebeneinander, da wurde nicht groß auf das persönliche Empfinden der Mutter eingegangen – und das ist in manchen Ländern bis heute so. Auch, dass Männer dabei sein dürfen. Das hat sich alles geändert. Wir denken familienorientierter, ganzheitlicher.

Die Kaiserschnittrate ist hoch in Deutschland, mehr als jede dritte Geburt ist ein solcher Eingriff. Warum steigen die Zahlen seit Jahren? Und will das Klinikum diese Zahlen senken oder sagen Sie: „Das kommt uns eigentlich entgegen“?

Nein, das tut es nicht. Aber ein Trend, den wir nicht vernachlässigen dürfen: Wir Frauen entscheiden uns deutlich später im Leben – aus gesellschaftlichen und privaten Gründen – schwanger zu werden. Das hört keiner gern, aber ab 35 Jahren steigt das Risiko für vieles. Überhaupt schwanger zu werden und schwanger zu bleiben und gesund zu entbinden. Es ist auch kein Geheimnis, dass die Gesellschaft heutzutage deutlich übergewichtiger ist, dass wir teilweise eine Rate von mehr als 30 Prozent der Schwangeren haben, die krankhaft übergewichtig sind, das schlägt zu Buche. Diese Frauen haben deutlich höhere Risiken, dass sie einen Kaiserschnitt erleiden. Wenn man schonmal einen Kaiserschnitt erlebt hat, kann man medizinisch betrachtet – je nachdem, warum es diesen Eingriff gab – zwar durchaus wieder spontan entbinden.  Aber dann sinkt vielleicht auch die persönliche Motivation der Frau.

Ist das so, dass sich Frauen, die beim ersten Kind per Kaiserschnitt entbunden haben, auch beim zweiten dafür entscheiden?

Ja, das ist tendenziell schon so. Da sagen welche: Ich habe das probiert, dann hat das nicht geklappt, und das möchte ich so nicht nochmal erleben.

Böse Zungen behaupten, Ärzte mögen Kaiserschnitte auch, weil sie solche Eingriffe besser timen könnten. Was antworten Sie solchen Menschen?

Wenn es keinen medizinischen Grund für einen Kaiserschnitt gibt, dann sagen wir den Frauen ganz aktiv, dass sie sich das sehr gut überlegen sollen. Das ist ein operativer Eingriff – sicher ein Routineeingriff, aber nichtsdestotrotz ein Eingriff in den Körper. Wenn die Frau spontan entbindet und die Hebamme sich kümmert, ist unser Anteil doch geringer! Wir am Klinikum führen Kaiserschnitte auch so spät wie möglich durch. Nicht so weit vor dem Termin, sondern erst paar Tage um den Termin und das führt natürlich dazu, dass manche Frauen von sich aus Wehen bekommen und dann in der Nacht zu uns kommen und ihren Kaiserschnitt brauchen: Da kann man den Ärzten nicht mehr vorwerfen, dass man das „aus dem Komfort“ heraus macht. Klar, die Routine-OP läuft von 8 bis 16 Uhr, aber wir machen das ja 24/7.

Das Thema Endometriose ist ebenfalls in den vergangenen Jahren viel präsenter geworden.

Endometriose ist eine häufige Erkrankung von jungen Frauen im gebärfähigen Alter, ungefähr jede zehnte Frau ist betroffen. Diese Diagnose hat in der Tat mehr Aufmerksamkeit erfahren, durch verschiedene Bücher und Influencer und durch Prominente, die ihre Erkrankung öffentlich gemacht haben. Auch unter den Frauen selber hat sich was getan: Früher ist da die Oma gewesen, die gesagt hat: „Stell dich nicht so an, bei mir hat es auch immer ein bisschen wehgetan.“ Dann ist das immer so weiter transportiert worden. Es ist aber nicht normal, dass man während der Periode so starke Schmerzen hat, dass man nicht mehr am alltäglichen Leben teilnehmen kann.

Mittlerweile werden mehr Diagnosen gestellt, wir haben am Klinikum ungefähr hundert Patientinnen pro Jahr, die wir auch operativ betreuen. Es gibt aber auch Frauen, die sich beraten lassen und zu denen wir sagen: Es ist nicht so sinnvoll, zu operieren. Endometriose ist eine chronische Erkrankung, die man nicht mit einer Methode heilen kann. Das ist schwierig für die Betroffenen, aber auch für die Ärzte in der Behandlung, weil man das eben nicht als ein einzelner Arzt betreuen kann. Sie brauchen eine gute Kommunikation mit dem niedergelassenen Frauenarzt, manche Frauen brauchen vielleicht eine psychologische Anbindung oder eine Schmerztherapie. Wir wissen nach wie vor auch nicht genau, wieso Endometriose entsteht und was wirklich die zugrundeliegenden Ursachen sind.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Man versucht zunächst eine Therapie, beispielsweise durch die Gabe eines Hormonpräparats, in Kombination mit Schmerzmitteln, die antientzündlich wirken. Das kann kombiniert werden mit einer Operation, mit Physiotherapie oder Entspannungstherapie. Wir raten den Patientinnen darüber hinaus zu Yoga und Sport. Es gibt auch ergänzende Maßnahmen wie unter anderem eine Ernährungsberatung.

Ist die Operation die einzige Methode, um Gewissheit über die Diagnose zu erlangen?

Es gibt in Deutschland mittlerweile auch einen Speicheltest, der mit einer knapp über 90-prozentigen Wahrscheinlichkeit den Verdacht auf eine Endometriose stellen kann und dann auch richtig liegt. Aber eben nicht immer. Das ist bislang eine Selbstzahlerleistung. Und es gibt einen Bluttest, der jetzt erstmal in Australien eingeführt wird, der auch anhand von Biomarkern mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent das Vorliegen einer Endometriose erkennen soll. Den gibt es noch nicht in Deutschland.

Aber wenn jemand deutliche Symptome hat, die sich unter der Einnahme einer Pille bessern, dann ist das schon sehr beweisend für eine Endometriose. Manchmal kann man was im Ultraschall erkennen, dann bräuchte man die Operation zunächst erstmal nicht. Meistens kommt die aber schon irgendwann im Verlauf dazu.

Das Thema Schwangerschaftsabbruch taucht mit wenigen Sätzen im Koalitionsvertrag auf. Man prüft eine Ausweitung der Kostenübernahme und will mehr medizinische Weiterbildungsmöglichkeiten. Was sind Ihre Erwartungen an die neue Koalition bei diesem Thema?

Frauen im Raum Leverkusen sind gut versorgt und haben Ansprechpartner – sowohl im niedergelassenen Bereich und auch, was die Konfliktberatung angeht. Hier in der Region besteht für die Frauen keine Unterversorgung. Wenn Sie sich die Entwicklungen in den USA anschauen, dass Frauen versterben, weil sie keinen Zugang dazu haben, dann ist das für mich eine Entwicklung, bei der ich hoffe, dass wir in Deutschland nie hinkommen: Aber das ist Aufgabe der Politik und der Gesellschaft.

Ich sehe eigentlich auch viel wichtigere Sachen, wenn man an Fertilität und Frauen denkt: zum Beispiel das Thema Eizellspende. Warum darf man in Deutschland Sperma spenden, aber eine junge Frau darf ihrer Schwester, die vorzeitig in die Wechseljahre gekommen ist, in Deutschland keine Eizelle spenden. Das ist doch unfair. Warum? Wir Frauen werden gesundheitspolitisch benachteiligt.


Direktorin der Frauenklinik seit drei Jahren

Ines Beyer Direktorin Frauenklinik Klinikum leverkusen Schlebusch

Ines Beyer hat zwei Kinder und arbeitet seit drei Jahren in Schlebusch.

Ines Beyer, 47 Jahre alt, arbeitet seit drei Jahren am Klinikum in Schlebusch. Sie leitet die Frauenklinik. Beyer hat in Würzburg studiert und ihre Assistenzarztausbildung in der Schweiz absolviert, bevor sie an die Uniklinik Düsseldorf gewechselt ist. Zwei Jahre hat sie für einen Forschungsaufenthalt in den USA verbracht. In Leverkusen hat sie auch die Endometriose-Sprechstunde ins Leben gerufen.